Keynes
Gesellschaft

F.II. Höhere Staatsverschuldung:
Ursache oder Folge ?

In der wirtschaftspolitischen Diskussion wird der stark angestiegene Schuldenstand (in Relation zum BIP) häufig bezichtigt, die Ursache der wirtschaftspolitischen Probleme seit der Finanzkrise 2008 ff zu sein (dazu F.II.1). Dabei ist sie (außer in Griechenland- s. F.IV.5) eine Folge des Teufelskreises aus Banken-, Schulden- und Wirtschaftskrisen, den nur einige Staaten durchbrechen konnten. Nur die Staatsschuldenquote reduzieren zu wollen, ist ein Kurieren am Symptom (dazu F.II.2)

F.II.1 Private, nicht öffentliche Schulden haben die Finanzkrise 2008 ff ausgelöst

Die Finanzkrise 2008 ff wurde durch die übermäßige Verschuldung US-amerikanischer Privathaushalte zwecks Erwerb von Wohnimmobilien ausgelöst (ähnliches gilt für Spanien). Dennoch wird häufig die höhere Staatsverschuldung, die aufgrund der Finanzkrise und der zu ihrer Eindämmung zwecks Bankenrettung vorgenommenen staatlichen Maßnahmen eingetreten ist, höhere Staatsverschuldung zur Ursache der wirtschaftlichen Probleme Europas umgedeutet.

Dagegen wenden sich u.a.:

• Richard Koo (2014), It is Private, not Public Finances that are Out of Whack, In: “German Economic Review”, Vol. 15, S. 166-190
• Moritz Schularick (2014), Public and Private Debt: The Historical Record (1870-2010). In: “German Economic Review“, Vol. 15 (2014), S. 62-83.

Schularick arbeitet u.a. heraus, dass die private und nicht die öffentliche Verschuldung in früher nicht erreichte Höhen gestiegen ist und dass Finanzkrisen typischer Weise im privaten und nicht im öffentlichen Sektor ausgelöst wurden.

Eine ausführliche vergleichende Darstellung der modernen Finanz- und Schuldenkrisen seit 1971, also seit dem Ende des Bretton-Woods- Systems, findet man bei:

• Werner Kamppeter (2013), Schuldenkrisen, Finanzkrisen und überschießende Liquidität im internationalen Vergleich. In: Jürgen Kromphardt (Hrsg.), Zur aktuellen Finanz-, Wirtschafts- und Schuldenkrise. Marburg (Metropolis), S.15-56.

Der Anstieg der Staatsverschuldung begann allerdings schon vor 2008. Im Durchschnitt der wichtigsten 12 OECD-Staaten hat sich die Staatsschuldenquote (bezogen auf das BIP) von 1970 bis 2011 mehr als verdoppelt (von 40% auf 90% des BIP). Die entsprechende Graphik findet man in:

• Wolfgang Streeck (2014), The Politics of Public Debt: Neoliberalism, Capitalist Development and the Restructuring of the State. In:“German Economic Review“, Vol.15, S.143-165).

Streeck widmet seinen Beitrag der Frage nach den politischen Hintergründen dieser Entwicklung. Die betrachtete Periode ist u.a. durch schwaches wirtschaftliches Wachstum, zunehmende Arbeitslosigkeit und Ungleichheit der Einkommen gekennzeichnet, die alle zu einer relativ schwachen Entwicklung der Staatseinnahmen beitragen. Es sei – so Streecks vereinfachte These – dem dominierenden neoliberalen Zeitgeist zuzuschreiben, der Steuerbelastung und Staatstätigkeit tendenziell nur negativ bewertet, dass die notgedrungen steigenden Staatsausgaben nicht durch Steuererhöhungen finanziert werden; vielmehr wird auf Ausgabenkürzungen (am liebsten im Sozialbereich) und – sofern sich diese nicht durchsetzen lassen – auf höhere Neuverschuldung zurückgegriffen.

F.II.2 Der Teufelskreis der Banken-, Schulden- und Wirtschaftskrise

Die komplexe Problematik, in die der Euro-Raum nach der Finanzkrise 2008ff geraten ist, hat der Sachverständigenrat (SVR) in seinem Sondergutachten vom Juli 2012 in dem Schaubild „Teufelskreis der Banken -, Staatsschulden- und makroökonomischen Krise“ anschaulich dargestellt (s. Jahresgutachten des SVR 2012/13, Anhang mit dem Sondergutachten, Dort: S.394):

F1
(Quelle: Sachverständigungsrat, Sondergutachten 2012)

In Europa begann der Teufelskreis mit der Bankenkrise (links oben), führte – gegen den Uhrzeigersinn – zur Staatschuldenkrise (die die Bankenkrise weiter verschärfte); beide zusammen führten zur makroökonomischen Krise, mit verstärkenden Rückwirkungen auf die beiden anderen Krisen.

Nur Staaten, die auf den Finanzmärkten noch als kreditwürdig gelten, können den Teufelskreis durchbrechen und expansive Maßnahmen ergreifen, und eine weitere Erhöhung ihrer Neuverschuldung und ihrer Schuldenstands in Kauf nehmen und die Konsolidierung seiner öffentlichen Finanzen auf günstigere Zeiten verschieben. Dies geschah auch unmittelbar nach der Finanzkrise (sogar in Deutschland).