Keynes
Gesellschaft

A.II.13. The General Theory of Employment, Interest and Money, 1936 (C.W., Vol. XII)

 
Dt: Die allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes. 11. korrigierte und überarbeitete Auflage, Berlin (Duncker &Humblot) 2009.

 

In den Jahren während und nach der Weltwirtschaftskrise sah Keynes immer deutlicher: Seine wirtschaftspolitischen Vorschläge wiesen kein solides theoretisches Fundament auf und die notwendige neue Theorie müsse sich fundamental von der herrschenden neoklassischen Theorie unterscheiden. Aus diesem Grund schrieb er seine „General Theory“, deren vorläufige Abschnitte er mit Cambridger und anderen Kollegen intensiv diskutierte (Einzelheiten s. C.W., Vol. XIII). Am 1.1.1935 schrieb er an George Bernard Shaw (abgedruckt in C.W., Vol. XIII, S. 492f):

“To understand my state of mind, however, you have to know that I believe myself to be writing a book on economic theory which will largely revolutionise – not, I suppose, at once but in the course of the next ten years – the way the world thinks about economic problems. When my new theory has been duly assimilated and mixed with politics and feelings and passions, I can’t predict what the final upshot will be in its effect on action and affairs. But there will be a great change, and, in particular, the Ricardian foundations of Marxism will be knocked away.”

1936 legt Keynes in diesem seinem Hauptwerk das Ergebnis seiner theoretischen Analyse vor, die vielfach als „Keynes’sche Revolution“ bezeichnet wird. Das zentrale Ergebnis seiner „Allgemeinen Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes“ lautet: Die Zahl der Beschäftigten in einer Volkswirtschaft wird von dem Quantum an Gütern und Diensten bestimmt, das die Unternehmen erwarten verkaufen zu können; denn entsprechend dieser Erwartung produzieren sie und beschäftigen sie Arbeitskräfte. Entscheidend ist daher die effektive Nachfrage, mit der die Unternehmen tatsächlich rechnen und die sie ihrer Produktionsplanung zugrunde legen. Die effektive Nachfrage umfasst die inländische Nachfrage nach Konsum- und Investitionsgütern sowie die Nachfrage des Auslands. Nicht relevant ist dagegen die gewünschte Nachfrage bei gewünschten Einkommen der Haushalte, von der die neoklassische Theorie ausgeht.

Die Konsumgüternachfrage der privaten Haushalte hängt im Wesentlichen vom verfügbaren Einkommen ab, das ihnen in Abhängigkeit von der Höhe des produzierten Sozialprodukts in Form von Löhnen, Zinsen oder Gewinnen netto zufließt. Da die Haushalte jedoch einen Teil ihres Einkommens sparen, besteht eine Lücke zwischen der Nachfrage der Haushalte und der Produktionsmenge. Diese Lücke muss durch die Sachinvestitionen der Unternehmer geschlossen werden, damit die Produktion insgesamt abgesetzt werden kann und die Produktions- und Beschäftigungspläne der Unternehmen nicht nach unten revidiert werden.

Keynes weist die neoklassische These, die bereits im Say’schen Gesetz ihren Ausdruck fand, wonach diese Lücke durch den Zinsmechanismus geschlossen wird, indem der Zinssatz Investitionen und Ersparnis zum Ausgleich bringe, aus zwei Gründen zurück. Erstens wird der Zinssatz nicht direkt durch Ersparnisse und Investitionen bestimmt, sondern durch Angebot und Nachfrage nach Geld. Dabei bestimmt die Zentralbank das Geldangebot, während die Geldnachfrage sich aus dem Bedarf an Geld für Transaktions-, Vorsichts- und Spekulationszwecke ergibt. Zweitens werden die Investitionen nicht vom Marktzins allein bestimmt, sondern von der Differenz zwischen Marktzins und erwarteter Rendite aus den Investitionen. Die Abhängigkeit der Investitionen von den Renditeerwartungen macht sie zur Quelle der Instabilität.

„In the case of durable assets it is … natural and reasonable that expectations of the future should play a dominant part in determining the scale on which new investment is deemed advisable. But … the basis for such expectations is very precarious. Being based on shifting and unreliable evidence, they are subject to sudden and violent changes“ (1936, S.315).

Die Schwankungen in der Investitionsgüternachfrage breiten sich über die gesamte Volkswirtschaft aus; denn wenn die Produzenten von Industriegütern ihre Produktion reduzieren, dann verlieren dort Arbeitskräfte ihren Arbeitsplatz oder ihr Einkommen verringert sich durch kürzere Arbeitszeiten. Sie können dann weniger Konsumgüter kaufen; daraufhin geht die Nachfrage nach Konsumgütern und anschließend die Produktion dieser Güter ebenfalls zurück. Die sinkende Industriegüternachfrage löst also eine Spirale nach unten aus, in deren Verlauf die Einbußen an Einkommen und Produktion größer sind als der ursprüngliche Nachfrageeinbruch. Es ist das Verdienst von Kahn (1931), erstmals diesen multiplikativen Prozess nach unten (analoges gilt für einen Prozess nach oben) präzise analysiert zu haben.

Dieser Multiplikatorprozess unterstreicht die entscheidende Rolle der effektiven Güternachfrage für Produktion und Beschäftigung. Nach Ansicht von Keynes können die Schwankungen der Investitionstätigkeit und damit der Beschäftigung vom privaten Sektor auch nicht endogen durch flexible Löhne ausgeglichen werden, weil – im Gegensatz zur klassischen und neoklassischen Lehre – eine Senkung des allgemeinen Lohnniveaus keinen sicheren positiven Beschäftigungseffekt hat.

Dabei liegt der Unterschied zur damals herrschenden Lehre nicht in der Vermutung, eine allgemeine Senkung der Nominallöhne sei wegen des Widerstands der Gewerkschaften und der Arbeiter nicht durchsetzbar; diese Rigidität der Löhne nach unten war und ist die Grundlage für die neoklassische Erklärung der Arbeitslosigkeit. Der Unterschied liegt vielmehr darin, dass Keynes eine allgemeine Lohnsenkung, selbst wenn sie möglich wäre, für ein ungeeignetes Mittel der Beschäftigungspolitik hält:

„There is no ground for the belief that a flexible wage policy is capable of maintaining a state of continuous full employment … The economic system cannot be made self-adjusting along these lines“ (Keynes, 1936, S. 267).

Kahn, der in den Erläuterungen zu Nr. 9 erwähnte Mitstreiter von Keynes, berichtet, diese lohnpolitische Problematik sei Keynes‘ Hauptanliegen gewesen:

„Keynes was mainly concerned, in the General Theory, with the failure of economists and others to appreciate the reluctance of money wages to fall and to realize that even if they did fall, unemployment would not be diminished, except in industries subject to competition with overseas suppliers“ (Kahn, 1978, S. 554).

Die Weltwirtschaftskrise (s. dort) hatte dies deutlich gezeigt.

Aus dem Fehlen eines endogenen Stabilisierungsmechanismus, der die starken Schwankungen der Investitionstätigkeit ausgleichen könnte, folgert Keynes (1936, S. 320): „Die Aufgabe, das Volumen der Investitionen zu steuern, kann nicht in privaten Händen gelassen werden.“ Keynes meint allerdings, die Geldpolitik werde nicht immer in der Lage sein, diese Steuerungsaufgabe erfolgreich zu übernehmen. Schon 1933 hatte er in einem „Open letter“ (C.W., Vol. XXI, S. 289-297) geschrieben: In der Depression sei der Versuch, durch bloße Vermehrung der Geldmenge Produktion und Einkommen zu steigern, mit dem Versuch vergleichbar, dadurch dicker zu werden, dass man sich einen längeren Gürtel kauft. Entscheidend sei es vielmehr, dass von dieser Geldmenge auch Gebrauch gemacht und mehr Geld für Güter ausgegeben wird.

Wegen dieser Grenzen der Geldpolitik müssen nach Ansicht von Keynes auch die Staatsausgaben und -einnahmen eingesetzt werden, um Einkommen und Beschäftigung zu stabilisieren. Diese wirtschaftspolitische Forderung erhebt Keynes freilich nicht als erster. Ganz im Gegenteil befürworteten damals viele Ökonomen öffentliche Ausgabenprogramme zur Senkung der Arbeitslosigkeit (s. Morgan, 1978, S. 2). Das Problem war jedoch, dass diese Forderung sich vor Keynes nicht aus der ökonomischen Theorie ableiten ließ, sondern ihr widersprach. Blaug formuliert daher die Quintessenz des Beitrags der Keynesschen Theorie zur Wirtschaftspolitik so (1978, S. 690/91):

„… the Keynesian Revolution succeeded because Keynes produced the policy conclusions most economists wanted to advocate anyway, but it produced these conclusions as logical inferences from a tightly knit if not always consistent theory, and not as endless epicycles on a full employment model of the economy“.

Ziel dieser wirtschaftspolitischen Empfehlungen ist die Steuerung des Investitionsvolumens. Damit verfolgt er das Ziel, das kapitalistische System für den Kampf zur Überwindung der Arbeitslosigkeit leistungsfähiger zu machen. Er fordert die Erweiterung der Aufgaben des Staates.

„… as the only practical means of avoiding the destruction of existing economic forms in their entirety and as the condition of the successful functioning of individual initiative“ (1936, S. 380).

Keynes möchte das kapitalistische System mit seinen individuellen Entscheidungsrechten wegen seiner Effizienzvorteile erhalten wissen, die aus der Dezentralisierung der Entscheidungen und dem „Spiel des Eigeninteresses“ resultieren. Vor allem aber sei das individualistische System der beste Garant der persönlichen Freiheit, indem es – verglichen mit jedem anderen System – einen größeren Freiraum für die Ausübung persönlicher Entscheidungen bietet (vgl. ebenda).

Es bleibt mithin als wesentliche wirtschaftspolitische Schlussfolgerung aus seiner Analyse die Forderung nach einer indirekten geld- und fiskalpolitischen Globalsteuerung der Investitionen und der Konsumgüternachfrage. Diese Nachfragesteuerung soll mit indirekten Mitteln erfolgen, die den privaten Entscheidungsträgern Anreize geben oder Belastungen auferlegen (Subventionen, Prämien, Steuern), sie aber nicht „direkt“ zu einer bestimmten Verhaltensweise verpflichten.

Vor dem Hintergrund der dauerhaften hohen Arbeitslosigkeit in England zwischen den beiden Weltkriegen hält Keynes dabei eine bloße Dämpfung der Fluktuationen, die die durchschnittliche Höhe der Gesamtnachfrage unverändert lässt, nicht für ausreichend. Vielmehr fordert er eine gleichmäßigere Einkommensverteilung, also eine Einkommensumverteilung zugunsten der Bezieher niedriger Einkommen mit hoher Konsumquote, und eine Reduzierung des Zinsniveaus:

„If capitalist society rejects a more equal distribution of incomes and the forces of banking and finance succeed in maintaining the rate of interest somewhere near the figure which ruled on the average during the nineteenth century [… ], then a chronic tendency towards the underemployment of resources must in the end sap and destroy that form of society“ (1937, S. 132)

Dieses Zitat belegt, für wie wichtig Keynes die andernfalls drohende Tendenz zur chronischen Arbeitslosigkeit hält.

Wegen der zentralen Bedeutung der „General Theory“ ist die gesamte Hauptrubrik B diesem Hauptwerk von Keynes gewidmet.

Literatur

Blaug, M. (1978): Economic Theory in Retrospect, 3. Aufl., London.

Kahn, R. (1978): Some Aspects of the Development of Keynes’s Thought. Journal of Economic Literature, Bd. 16.

Keynes, J.M., (1937): Some Economic Consequences of a Declining Population. Eugenics Review. Wiederabgedruckt in: Moggridge, D. (1973), The Collected Writings of J.M. Keynes, Bd. XIV: The General Theory and After, London/Basingstoke.

Morgan, B. (1978): Monetarism and Keynesianism. Their Contribution to Monetary Theory, London/Basingstoke.