Keynes
Gesellschaft

A.II.5. A Tract on Monetary Reform, London (Macmillan) 1923 (C.W. Vol. IV)

Dt: Ein Traktat über Währungsreform, München 1924
Peter Spahn (Uni Hohenheim)
 
Während Keynes in seinem Werk „Indian Currency and Finance“ (1913) die Geldpolitik noch ganz dem Ziel des außenwirtschaftlichen Gleichgewichts unterordnete und damit der traditionellen Norm des internationalen Goldstandards folgte, setzt er im „Tract“ die Prioritäten neu. Im Zentrum seines Interesses steht nun nicht länger der externe, sondern der interne Geldwert. Der Ausgangspunkt des aus einigen Zeitungsartikeln hervorgegangenen Buches ist eine Untersuchung der „sozialen Auswirkungen von Veränderungen im Geldwerte“, wobei Keynes den typischen Produktions-, Nachfrage- und Verteilungswirkungen von Inflations- und Deflationsphasen nachgeht und hier die Wohlfahrtseffekte bei drei Gesellschaftsgruppen: den Sparern, Unternehmern und Arbeitnehmern abzuschätzen sucht.

Er fasst seine Analyse so zusammen, „dass Inflation das Vermögen in einer Weise neu verteilt, die sehr schädlich ist für den Sparer, sehr vorteilhaft für den Unternehmer und wahrscheinlich […] vorteilhaft für den Lohnempfänger. Ihre augenfällige Wirkung ist ihre Ungerechtigkeit gegenüber denen, die in gutem Glauben ihre Ersparnisse lieber Geldverschreibungen als Sachgütern anvertraut haben. […] Die Inflation […] bedeutet Ungerechtigkeit […] insbesondere gegenüber den Sparer; und ist daher ungünstig für den Spartrieb. Die Deflation […] bedeutet Verarmung für die Arbeiterschaft und das Unternehmertum, indem sie die Unternehmer in ihrem Streben, sich Verluste zu ersparen, zur Einschränkung der Produktion führt; sie ist daher vernichtend für den Arbeitsmarkt.“

Der letzte Halbsatz zeigt, dass Keynes Instabilitäten im Preisniveau mit Blick auf Produktion und Beschäftigung diskutiert. Gleichwohl nennt er als wirtschaftspolitische Empfehlung (noch) nicht, ein Vollbeschäftigungziel zu verfolgen; es ist die Stabilität des internen Geldwertes, die den Vorzug erhalten solle, wenn sie im Konflikt mit der Stabilität des Wechselkurses stehe. Keynes nimmt damit eindeutig Stellung in der zentralen Kontroverse der zeitgenössischen währungspolitischen Diskussion, die um die Frage kreiste, ob und zu welchen Bedingungen England sich wieder dem internationalen Goldstandard anschließen solle. Gegen seinen Rat erfolgte ein Wiedereintritt zur Vorkriegsparität und England geriet – wie von ihm befürchtet – in eine lang anhaltende Stagnationsphase, begleitet von deflationären Tendenzen und hoher Arbeitslosigkeit.

Ein weiteres Thema des „Tract“ ist das Problem der Staatsverschuldung. Keynes setzt ich hier mit den Vor- und Nachteilen radikaler Maßnahmen auseinander, die notwendig werden können, wenn die Zinsbelastung ein politisch tragbares Maß überschreitet. „In keiner Sozialorganisation, weder in einer antiken noch in einer modernen, werden die Erwerbstätigen und schaffenden Elemente damit einverstanden sein, mehr als einen bestimmten Teil ihres Arbeitsertrages der Rentner- oder Obligationärklasse zu überlassen.“ Faktisch wurde oft ein Ausweg über die inflationäre oder währungspolitische Entwertung der Staatsschuld gesucht; Keynes empfiehlt demgegenüber das Instrument
einer Kapitalsteuer.

Im Hinblick auf die Geld- und Wechselkurstheorie liefert der „Tract“ zum einen eine Ausarbeitung der von Marshall und Pigou entwickelten Geldnachfragetheorie, die den Weg für Keynes‘ innovative Beiträge in der „Treatise“ und der „General Theory“ bereitete. Zum anderen setzt er sich mit der Theorie der Kaukraftparität auseinander, die er angesichtser damals verfügbaren Datenmaterials für „leidlich bewährt“ erachtet, und behandelt auch die Theorie des Devisenterminmarktes. Keynes zeigt hier, dass die Spanne zwischen Kassa- und Terminkurs einer Währung mit einer internationalen Zinsdifferenz einhergeht, so daß die Notenbanken auch umgekehrt über die Fixierung beider Kurse eine gewünschte Zinsspanne an verschiedenen Finanzplätzen aufrechterhalten können.

Der „Tract“ schließt mit konkreten Empfehlungen zur Geld- und Währungspolitik in Großbritannien und in den Vereinigten Staaten. Keynes‘ allgemeine Kritik, eine Wiederaufnahme des Goldstandards werde den historisch veränderten Präferenzen zugunsten eines höheren Stellenwerts binnenwirtschaftlicher Ziele nicht gerecht, geht einher mit der Vermutung, dass angesichts der Neuverteilung der Goldvorräte in Zukunft das amerikanische Federal Reserve Board die Geschicke der Weltwirtschaft zinspolitisch lenken werde, ein – wie sich zeigen sollte – realistisches Szenario, das selbst für einen Liberalen wie Keynes offenbar als eine Bedrohung britischer Nationalinteressen erschien.