Keynes
Gesellschaft

B.VII.1. Hayek

Friedrich August von Hayek und seine Auseinandersetzung mit Keynes

Dr. Ulrike Schenk (Berlin)

1. Biographische Vorbemerkung

August Friedrich von Hayek wurde am 8. Mai 1899 in Wien geboren. Er stammte aus einer sehr angesehenen Akademikerfamilie. Väterlicherseits dominierten die Naturwissenschaftler. So lehrten an der Wiener Universität sein Großvater Zoologie und später sein Vater Biologie. Sein Großvater mütterlicherseits war ein enger Mitarbeiter von Böhm – Bawerk, der die Familie Hayek sehr oft aufsuchte. In der Familie herrschte eine offene geistige Atmosphäre. Dass er von ihr zeitlebens beeinflusst war, zeigt sich unter anderem darin, dass er beide Strömungen in seinen späteren sozialphilosophischen Schriften zu verbinden versuchte.
Nach erfolgreicher Ablegung der so genannten „Kriegsmatura“ studierte er an der Wiener Universität zunächst Rechtswissenschaft, wobei er aber in der Hauptsache die Vorlesungen von Friedrich von Wieser, Othmar Spann, Ernst Mach und Max Weber besuchte. Nach seiner Promotion zum Dr. juris an der Universität entschloss sich Hayek zum zusätzlichen Studium der Sozialwissenschaften, das er 1923 mit dem Dr. rer. pol. abschloss. (Doktorvater: Wieser) Ein Stipendium ermöglichte es ihm, als Forschungsassistent an der New Yorker Universität zu arbeiten und an der Columbia Universität die Vorlesungen des damals führenden amerikanischen Konjunkturforschers Wesley C. Mitchell zu hören. Wieder nach Wien zurückgekehrt, gründete von Hayek gemeinsam mit Ludwig von Mises 1927 das Österreichische Institut für Konjunkturforschung, dessen Direktor er bis 1931 war. In dieser Zeit verfasste er seine wichtigen konjunkturtheoretischen Schriften, die trotz der bescheidenen Ressourcen des Institutes bald internationale Beachtung fanden und ihn schließlich auf Einladung Professor Robbins an die Londoner School of Economics führten.

2. Hayeks Konjunkturanalyse in „ Preise and Produktion“

In diese Zeit fällt auch die mit John Maynard Keynes geführte Auseinandersetzung. Die Kluft zwischen Hayek und Keynes ist groß. Nicht nur hinsichtlich der ökonomischen Analysemethoden, sondern auch in ihren philosophischen Denkrichtungen unterscheiden sie sich voneinander. Während sich Hayek in der englischen liberalen Tradition des 18. Jahrhunderts sieht und die gesellschaftlichen Systeme als sich selbstregulierend begreift, ist es nach Ansicht des englischen Ökonomen John Maynard Keynes häufig nötig, deren Funktionstätigkeit durch staatliche interventionistische Maßnahmen zu sichern, die auch auf das Handeln der Individuen Einfluss nehmen. Während John Maynard Keynes das interventionistische Handeln des Staates legitimiert und sich so von dem individualistisch geprägten Liberalismus seiner englischen Vorfahren distanziert, bleibt Hayek dieser Tradition verpflichtet und legitimiert staatliche Maßnahmen nur insoweit, wie diese die Fähigkeit zur Selbstregulation stärken. Die Ansicht, dass durch ein System flexibler Löhne und Preise der Wettbewerbsprozess gefördert, und dass das Wirtschaftssystem zum Gleichgewicht bei Vollbeschäftigung tendiert, ließ Hayek zunächst zum Gleichgewichtstheoretiker walrasianischer Prägung werden. Doch die Erkenntnis über einen im walrasianischen Modell versteckten Zentralismus (vgl. Weizsäcker, C. C.:2005) führte zu einer späteren Revision dieser konstruktivistischen walrasianischen Position (s. Abschnitt 4). An die Stelle des walrasianischen Ansatzes setzt Hayek dann das Konzept einer spontanen Ordnung, das sich nicht mehr vordergründig an den Prinzipien der effizienten Allokation, sondern an jenen der kulturellen Evolution orientiert. (s. Abschnitt 4)
Die Debatte mit Keynes fällt in die dreißiger Jahre und somit in die Zeit der Weltwirtschafts-krise. Im Mittelpunkt standen vor allem Fragen der Konjunkturtheorie und der Konjunkturpolitik. Wenngleich sich Hayek wie Keynes in ihrer ökonomischen Analyse auf den schwedischen Ökonom Knut Wicksell (1851-1926) bezogen und die Divergenz zwischen Geldzins und natürlichem Zins zum Ausgangspunkt ihrer Debatte machten, waren ihre wirtschaftspolitischen Schlussfolgerungen entgegengesetzt.
Hayek, der in seinem 1931 veröffentlichten konjunkturtheoretischen Werk „Preise und Produktion“ wie der schwedische Ökonom Knut Wicksell zwischen dem natürlichen Zins und dem Geldzins unterscheidet, thematisiert im Unterschied zu letzterem nicht explizit die Veränderungen im Preisniveau, sondern die sich hieraus ergebenden Disproportionalitäten zwischen Produktions- und Konsumsektor. Galt Hayeks Hauptinteresse in der 1929 erschienen Habilitationsschrift „Geldtheorie und Konjunkturtheorie“ noch den monetären Ursachen des Konjunkturzyklus, so ging es ihm nun um das Zusammenwirken von monetärer und realer Sphäre. In der symbiotischen Verknüpfung beider Sphären unterschied sich sein Ansatz von anderen zeitgenössischen monetärkonjunkturtheoretischen Ansätzen, die auf vereinfachten quantitätstheoretischen Vorstellungen beruhten und eine eindeutige Kausalbeziehung zwischen Geldmengenänderungen und Änderungen des allgemeinen Preisniveaus aufstellten. Im Unterschied zu diesen vor allem im englischsprachigen Raum vertretenen monetären Ansätzen diskutiert Hayek die Einflüsse von Geldmengenänderungen auf die relativen Preise und die Produktionsstruktur. Dies war ein theoretisches Novum, das den überwältigenden Erfolg der Monographie „Preise und Produktion“ erklärt (Schumpeter, J.A.1954: 1120) und für das er gemeinsam mit dem schwedischen Ökonom Gunnar Myrdal 1974 den Nobelpreis erhalten sollte.

Hayek bedient sich in seinen konjunkturtheoretischen Schriften der traditionellen Gleichgewichtsanalyse, da „es uns mit [ihrer] Hilfe möglich ist, die große Zahl von Bewegungstendenzen, die in jedem Wirtschaftssystem in jedem Augenblick wirken, zusammenzufassen“ (Hayek, F.A. 1928: 247f.). In „Preise und Produktion“ bildet eine langfristige Gleichgewichtsposition mit vollausgelasteten Produktionskapazitäten und Vollbeschäftigung der Arbeit nicht nur den Startpunkt, sondern auch den Endpunkt der konjunkturtheoretischen Analyse.

Ungleichgewichtsprozesse ergeben sich bei Hayek aus einer Divergenz von Geld- und natürlichem Zins. Für das Auseinanderdriften zwischen dem von den Banken festgelegten Geldzins und dem natürlichem Zins gibt es unterschiedliche Gründe. Diskutierte er in seiner Habilitationsschrift „Geldtheorie und Konjunkturtheorie“ neben einer Erhöhung der Geldmenge und einer erhöhten freiwilligen Spartätigkeit auch den technischen Fortschritt als möglichen Einflussfaktor, reduzierte er die Untersuchungen hier auf die ersten beiden Faktoren (vgl.: Hagemann, H. 1996). Dadurch konnte er sich darauf konzentrieren, einem veränderten freiwilligen Sparverhalten eine Geldmengenausweitung der Zentralbank gegenüberzustellen.
Den Referenzfall seiner Konjunkturanalyse in „Preise und Produktion“ bilden Ungleichgewichtsprozesse infolge eines veränderten freiwilligen Sparverhaltens. Aufgrund des veränderten freiwilligen Sparverhaltens geht die aktuelle Nachfrage nach Konsumgütern zurück, die Kapitalbildungsquote nimmt zu; dafür muss der Geldzins sinken. Diese Zinssenkung meint Hayek daran ablesen zu können, dass die Konsumgüterpreise relativ zu den Kapitalgüterpreisen sinken. Dahinter steht die Überlegung, dass wegen der niedrigeren Konsumgüterpreise der Ertrag aus den Investitionen niedriger ausfällt. Setzt man dieser niedrigen Ertragsrate den Zinssatz gleich, erhält man einen niedrigeren Zins. Mit der so abgeleiteten Geldzinssenkung geht eine Senkung der Kapitalkosten einher, was ein Einschlagen längerer Produktionsumwe-ge lohnend macht. Hayek zufolge, der sich hier auf die zins- und kapitaltheoretischen Betrachtungen des österreichischen Ökonomen Böhm – Bawerks bezieht, werden in langen zeitraubenden Produktionsumwegen zusätzliche Zwischenprodukte wie Werkzeuge, Hilfsmittel usw. hergestellt, die schließlich zu technisch ergiebigeren Produktionsmethoden führen. Je ausgedehnter die Zeitdauer des Produktionsprozesses ist, desto „kapitalistischer“ die Produktion. In dem hier beschriebenen Referenzfall erfüllt das Sparen den ihm zugedachten Zweck: durch die Kapitalintensivierung sinken die Stückkosten und die Konsumgüterproduktion steigt an. Sofern keine neue Änderung der (aggregierten) Zeitpräferenz der Wirtschaftssubjekte eintritt, wird sich die Ökonomie zu einem ergiebigeren Gleichgewicht bewegen und dort verbleiben.
Solange die Ungleichgewichtsprozesse durch ein verändertes freiwilliges Sparverhalten der Marktakteure ausgelöst werden, wird sich der Marktprozess also zu einem Gleichgewicht mit größerem Gesamtprodukt hinbewegen. Anders verläuft dieser Prozess zu einem neuen Gleichgewicht jedoch dann, wenn dieses über eine expansive Kreditschöpfung der Banken bewusst herbeigeführt wird. Zunächst wird eine durch Kreditexpansion herbeigeführte Geldmengenerhöhung der Banken, genau wie das höhere freiwillige Sparen der Marktakteure, zu einer Senkung der Geldzinsen führen. Durch den niedrig gewordenen Geldzins erhöhen sich die unternehmerischen Investitionstätigkeiten und die Produktionsumwege verlängern sich. Die noch unveränderte Konsumgüternachfrage trifft nunmehr auf eine verringerte Konsumgüterproduktion. Damit wird ein Konsumverzicht im Ausmaß der von den Investoren zusätzlich beanspruchten Ressourcen erzwungen (erzwungenes Sparen). Die eingetretene Knappheit an Konsumgütern hat Preissteigerungen zur Folge. Damit ist im Aufschwung ein kritischer Punkt erreicht, es entsteht eine Tendenz steigender Konsumgüterpreise und damit steigender Geldzinssätze. Wird die Kreditexpansion nicht verstärkt fortgesetzt, tritt ein gegenläufiger Prozess ein, der zu einer Abnahme der Kapitalgüternachfrage führen wird. Hayek bezieht sich zur Erklärung des oberen Wendepunktes auf den bereits von Ricardo dargelegten Zusammenhang, nach dem unter den Bedingungen der Vollbeschäftigung eine Erhöhung der Konsumgüternachfrage mit einer gleichzeitigen Erhöhung der Kapitalintensität unvereinbar ist. Die durch den Aufschwung induzierte Zunahme nach Konsumgütern wird kürzere Produktionsprozesse zur Folge haben. (Klausinger, Hansjörg 1990: 77).

Der eintretende wirtschaftliche Abschwung ist nach Hayek auf intersektorale Disproportionalitäten zurückzuführen. In der Krise werden nun die durch Kreditexpansion herbeigeführten Kapitalfehlleitungen korrigiert und die Nachfragestruktur wird der im Aufschwung aufgebauten Produktionsstruktur wieder angepasst. Die Krise ist nach Hayek zwar ein schmerzhafter, gleichwohl aber notwendiger Prozess.

Von der Geldtheorie seines Mentors Ludwig von Mises geprägt, sieht auch Hayek die Ursache konjunktureller Prozesse in einer von politischen Instanzen herbeigeführten künstlichen Senkung der Kreditzinsen unter ein Niveau, das sich auf unbeeinflussten Kapitalmärkten eingestellt hätte. Da es den Währungsbehörden in der Realität nur schwer möglich sein wird, das Kreditangebot der Banken jederzeit zu kontrollieren und den Geldzins unter den natürlichen Zinssatz anzusetzen, ist sich Hayek der Nicht – Umsetzbarkeit des sich hierauf gründenden Konzeptes des neutralen Geldes bewusst. Getragen von der Erkenntnis, dass durch eine expansive Kreditpolitik „die realen Knappheitsverhältnisse und damit das ökonomische Problem einfach wegdefiniert werden“ (Hayek, F.A. 1984: 26), zieht er den pessimistischen Schluss, dass es sich bei den Konjunkturzyklen um unglückliche, aber notgedrungene Begleiterscheinungen einer modernen Kreditökonomie handeln muss. Durch das Eintreten des Geldes werde das in der Realsphäre existierende Gleichgewicht immer wieder gestört.

3. Die Auseinandersetzung über „Preise und Produktion“

Dem großen Erfolg, den das konjunkturtheoretische Werk „Preise und Produktion“ gleich bei seinem Erscheinen zu verbuchen hatte, standen zahlreiche kritische Einwände gegenüber, die gegen diesen Ansatz erhoben wurden. Abgesehen von dem Einwand, dass die Politik des neutralen Geldes in der Realität vor allem deshalb schwer durchzusetzen ist, weil niemand die Höhe des natürlichen Zinses kennt und in der Realität lediglich der Geldzins zu beobachten ist, wurde auch scharfe Kritik an dem dieser Politik zugrunde liegendem konjunkturtheoretischen Konzept Hayeks geübt.

John Maynard Keynes, der „Preise und Produktion“ rezensiert hatte, beurteilte das konjunkturelle Werk als „frightful muddles“ (Keynes, J.M.1931: 252). Keynes abfällige Reaktion, mit der er den konjunkturtheoretischen Ansatz Hayek aufnahm, erklärt sich aus dessen ablehnender Haltung, konjunkturelle Prozesse auf durch das Kreditsystem herbeigeführte Ungleichgewichte zwischen Investitionen und Ersparnissen zurückzuführen.

Keynes, der in seiner 1930 erschienenen Schrift „Treatise on Money“ wie Hayek die Divergenz zwischen natürlichem Zins und Geldzins zum Ausgangspunkt seiner theoretischen Analyse macht, führt diese, im Unterschied zu Wicksell und Hayek, nicht auf unbegrenzte Kreditvergabe der Banken, sondern auf die Entscheidungen der Vermögensbesitzer zurück, die zwischen der Anlage in Spareinlagen, Wertpapieren und Sachinvestitionen wählen müssen. Das vermögenstheoretische Argument, das sich in der „Treatise on Money“ schon ankündigte, fand in der 1936 verfassten „General Theory“ schließlich sein zinstheoretisches Pendant. Der Zinssatz bestimmt sich in der „General Theory“ durch die Liquiditätsneigung der Wirtschaftssubjekte. Die Liquiditätspräferenz hängt einerseits vom Kassenhaltungswunsch für Transaktionszwecke (Transaktionskasse)und andererseits von dem für Spekulationszwecke (Spekulationskasse) ab. Sowohl die Liquiditätsneigung der Akteure als auch deren Erwartungen hinsichtlich der Rentabilität eines geplanten Investitionsvorhabens bestimmen ihr Investitionsverhalten.
Im Gegensatz hierzu steht die von Hayek vertretene Theorie in Abschnitt 2 geschilderte der Kapitalgüterproduktion. Keynes, der in der General Theory auf den kapitalgütertheoretischen Ansatz eingeht, moniert, dass „Änderungen im Zinsfuß Änderungen in den verhältnismäßigen Preisniveaus von Konsumgütern und Kapitalgütern gleichgesetzt werden.“ (Keynes, J. M.1936: 162). In Wirklichkeit aber werde durch die veränderten Preisrelationen die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals verändert, und deren Sinken habe bei gegebenem Zinssatz eine ungünstige Wirkung auf die Investitionstätigkeit. (ebenda)
Hayek kontert indirekt hierauf in dem mit Keynes Anfang der dreißiger Jahre geführten Briefwechsel. Im Unterschied zu Keynes habe er nicht das Investitionsverhalten einzelner Marktakteure, sondern das Verhältnis von Gesamtinvestitionen und Konsumtion untersucht und Veränderungen der Produktionsstruktur in den Mittelpunkt seiner Untersuchungen gestellt. (Hayek, F.A. 1932a: 260)

Zeitlebens in dem klassischen Investitions- und Sparmechanismus gefangen, war es Hayek unmöglich, auf eine vermögenstheoretische Weiterführung des Wicksell`schen Ansatzes einzugehen und diese in seine kapitaltheoretischen Untersuchungen zu integrieren.
Die Kritik von Hayek richtet sich gegen das kapitaltheoretische Defizit in der keynesschen Theorie. Schon in dem mit Keynes intensiv geführten Briefwechsel bemängelt Hayek das Fehlen kapitaltheoretischer Aussagen in dem zweibändigen konjunkturtheoretischen Werk „Treatise on Money“. Diese Kritik äußert Hayek auch an der 1936 erschienenen „General Theory“. Aus Keynes fehlendem Bezug zu einer Theorie des Kapitals schließt Hayek, der dargelegte Zusammenhang zwischen Unterbeschäftigung und Nachfrage sei „übervereinfacht und eindimensional“ (Hayek, F.A. 1984: 12). In selbiger Schrift moniert Hayek auch Keynes vereinfachte Darstellung von Nachfrage und Beschäftigung als Folge seines mangelnden Verständnisses der Faktoren, die die „aufeinanderfolgenden Stufen im Produktionsstrom lenken und abwechselnd Kapitalakkumulation und – dekumulation mit sich ändernden Raten bewirken“ (Hayek, F.A. 1984:12). „Zwischen beiden Enden [Nachfrage und Beschäftigung] liegt ein elastisches und veränderliches Reservoir, dessen Größe von einer Reihe von Umständen abhängt, die in der Keynesschen Analyse weitgehend vernachlässigt werden.“(Hayek, F.A. 1984:12). Hayek begründet aus dem Fehlen des kapitaltheoretischen Bezugs das Scheitern des makroökonomischen Ansatzes und die sich aus den wirtschaftspolitischen Empfehlungen ergebenden Fehlentwicklungen.
Kritische Einwände gab es auch gegen Hayeks Vorstellung von der Existenz eines einheitlichen natürlichen Zinssatzes. Vorgebracht wurden diese zunächst von dem italienischen Ökonomen Piero Sraffa. Das damalige Mitglied des Cambridge Circus wendet gegen das Konzept eines einheitlichen natürlichen Zinssatzes ein, dass jedes Gut über einen eigenen Zinssatz verfüge und von einer aggregierten Größe nicht auszugehen sei (Sraffa, P. 1932a: 50 f.). In der Replik stimmt Hayek ihm zu und setzt an Stelle des einheitlichen Zinssatzes einen durch die Anzahl der Güter bestimmten Vektor gleichgewichtiger Zinssätze (Hayek, F. A. 1932: 237f.). In der Erwiderung auf Hayeks Replik entgegnet Sraffa, dass Hayeks Konzept eines Vektors gleichgewichtiger natürlicher Zinssätze logisch unvereinbar mit einem Konzept sei, das wie bei Wicksell auf einer Anpassung des Geldzinssatzes an den natürlichen Zinssatz beruhe (vgl. Riese, Hajo 1994).

Die Debatte zwischen Sraffa und Hayek sollte auch in die keynessche Theorie Eingang finden. Keynes, der in der „Treatise on Money“ Wicksells Konzept eines natürlichen Zinssatzes noch als tragfähig betrachtet und aus ihm wirtschaftspolitische Empfehlungen ableitet, distanziert sich hiervon in der 1936 erschienen „General Theory“. Im Unterschied zu Piero Sraffa monierte Keynes an dem Konzept des natürlichen Zinssatzes, dass dieses „unbekümmert um das Niveau der Beschäftigung“ (Keynes, J. M. 1936: 203 f.) von einem einzigartigen Wert des Zinses ausgehe. Keynes setzt an Stelle dessen das Konzept eines neutralen Zinsfußes (Keynes, J. M. 1936: 203), den er als Gleichgewichtszins unter den Bedingungen der Vollbeschäftigung definiert. Abweichungen von diesem und somit von der Vollbeschäftigungslösung führt Keynes auf eine unzureichende effektive Nachfrage zurück. Während er den Zustand der Vollbeschäftigung wie die Vertreter der neoklassischen Theorie weiterhin als idealen Zustand aufrechterhält, hält er es dann, wenn die effektive Nachfrage zu niedrig ist, für nötig, dass der Staat mit seinen fiskal- und geldpolitischen Instrumentarien in das Marktgeschehen eingreift (vgl. Klausinger, Hansjörg 1991: 188 f.). Durch eine direkte oder indirekte Nachfragesteuerung auf Beschäftigung und Produktion kann der Staat positiv Einfluss nehmen.

Diese Unterschiede in den wirtschaftspolitischen Empfehlungen beruhen drauf, dass für Hayek, der sich auf die österreichische Kapitaltheorie stützt, die Arbeitslosigkeit „nicht so sehr eine Funktion der „aggregierten Nachfrage“ als vielmehr „der fehlenden Elastizität der Pro-duktionsstruktur“ ist (Hayek, F.A. 1984: 17). Dass sich Hayek in seinen frühen preistheoretischen Erklärungen auf die Annahme der Vollbeschäftigung bezog und diese als Ausgangs- und Endbedingung der Kreislaufbewegung setzte, wurde ihm von zahlreichen seiner keynesianisch orientierten Zeitgenossen vorgeworfen. Hayek, der sich noch in seinen späteren Schriften dieses theoretischen Defizits bewusst war, argumentiert damit, dass die keynessche Annahme einer „Verfügbarkeit ungenutzter Ressourcen jeder Art die entscheidende Wirkung der Veränderungen relativer Preise aus seiner Darstellung der Zusammenhänge vollständig eliminiert.“ (Hayek, F. A. 1984: 26) Wenngleich Hayek die von Keynes Seite geführte Kritik an den Vollbeschäftigungsannahmen somit partiell nachvollziehen kann, sieht er sich der Tradition der klassischen Ökonomie verbunden und hält die Annahme der Vollbeschäftigung weiterhin aufrecht, um „das Funktionieren des Preismechanismus, die Bedeutung der Verhältnisse zwischen verschiedenen Preisen und der Faktoren, die zu einer Veränderung dieser Verhältnisse führen, zu verstehen.“ (Hayek, F. A. 1984: 26)

4. Hayeks Theorie des Wissens

Abgesehen von dem konjunkturtheoretischen Werk „Der Strom der Güter und Leistungen“ (1984) ging Hayek in seinen späteren Schriften nur noch sporadisch auf ökonomische Probleme ein. Umso mehr verfolgte er dagegen einen sozialphilosophischen Ansatz, mit dem er sowohl das „etatistische“ Denken von Keynes als auch die in der Nachkriegsära erstarkten zentralistischen Planungsökonomien angreifen konnte. Bestimmend für diesen Ansatz waren die in den dreißiger Jahren vorgebrachte Kritiken seitens schwedischer Wirtschaftswissenschaftlern und jene der Kieler Schule am konjunkturtheoretischen Ansatz. So berief sich Hayek beispielsweise in seinem sehr bekannt gewordenen, 1937 erschienen Aufsatz „Wirtschaftstheorie und Wissen“ explizit auf den schwedischen Ökonom Erik Lindahl, der seine Konjunkturanalyse vor allem deshalb kritisiert, weil Probleme, die mit Risiken und Ungewissheit verbunden sind, nicht in Betracht gezogen wurden. Auch die in einer Debatte mit Hayek Ende der zwanziger Jahre aufgeworfene Frage des Kieler Ökonomen Adolph Lowe, ob es überhaupt möglich sei, eine Konjunkturtheorie im analytischen Rahmen der Gleichgewichtstheorie zu formulieren, prägt das spätere sozialtheoretische Denken Hayeks. In dem Aufsatz formuliert Hayek erstmals seine Theorie zur Wissensnutzung und Wissensgenerierung; dabei stellt er die im allokationstheoretischen Ansatz gesetzte Annahme vollständigen Wissens und vollkommener Informationen in Frage. Hieran anlehnend distanziert er sich vom allokationstheoretischen Preiskonzept und stellt diesem eines gegenüber, in dem die unvollständig wissenden Akteure durch das System der Preise in verkürzter Form über die mannigfaltig eingetretenen räumlichen und zeitlichen Veränderungen informiert werden. Der anonyme Koordinationsmechanismus, nach Hayek das Spezifikum von Märkten, ist personellen Strukturen deshalb überlegen, weil weder der einzelne Verstand noch die Vernunft eines Kollektivs befähigt sind, das individuelle Wissen aller am ökonomischen Prozess Beteiligten zu erfassen. Solange die Fähigkeit zur Selbstregulierung bewahrt bleibt und seitens des Staats in das System der relativen Preise nicht bewusst eingegriffen wird, wird sich der gesellschaftliche Wohlstand erhöhen. Sein schärfstes Plädoyer gegen den Interventionismus verfasste Hayek 1944 mit dem Buch „A road to serfdom“.

Seine liberal – ökonomische Auffassungen hinsichtlich einer flexiblen Preis- und Lohngestaltung wurden durch seine sozialphilosophischen Betrachtungen legitimiert. In denen konstruierte er in Anlehnung an Alfred Whitehead ein Gesellschaftsmodell, nach dem der gesellschaftliche Wohlstand auf einer Anpassung an Vorgänge beruht, von denen die Individuen keine Kenntnisse haben. Die Aussage, nach der die Katallaxie, also ein sich durch allgemeine Regeln spontan koordinierendes Tauschsystem, a priori zu einem hohen Wirtschaftswachstum führen wird, stieß schon zu Hayeks Lebzeiten auf zahlreiche Kritik. Karl Popper, der in Abgrenzung zum strikten Anti – Interventionismus Hayeks von einer Stückwerk –Technologie und Stückwerk – Technik spricht, argumentiert, „dass [nur] eine Minderheit sozialer Institutionen bewusst geplant wird, während die große Mehrzahl als ungeplantes Ergebnis menschlichen Handelns einfach gewachsen ist.“ (Popper, K. 1965: 52)
Solange die politischen Entscheidungsträger nicht den Anspruch auf eine totale gesellschaftliche Umgestaltung erheben und sich auf partielle Markteingriffe wie die Durchführung konjunktur- oder steuerpolitischer Maßnahmen beschränken, ist diesen, so Karl Popper, nicht ablehnend gegenüberzustehen. James Buchanan, der in eine andere Kerbe schlägt, macht Hayek den Vorwurf, das Versagen der spontanen Ordnung nicht gesehen und kein Kriterium für das Auslösen selektiver Intervention geliefert zu haben (Buchanan, J. 1977: 25 f.) Abgesehen von der Kritik an dem von Hayek vertretenen „evolutionären Teleologismus“ und den hiermit einhergehenden Anti – Interventionismus, ist aber auch zu konstatieren, dass er seine früheren zinstheoretischen Überlegungen in die spätere Analyse nicht mehr einbezieht. Misst man Hayek an dem Anspruch seiner eigenen früheren geldtheoretischen Studien, so muss man gegen ihn den Vorwurf erheben, den evolutionären preistheoretischen Ansatz zu Lasten einer Zins- und Beschäftigungstheorie aufgestellt zu haben.

Jüngst stellte C. Christian von Weizsäcker in seinem Artikel „Hayek und Keynes – eine Synthese“ einen Zusammenhang zwischen der keynesschen Unterbeschäftigung und dem evolutiven preistheoretischen Ansatze her. Im Unterschied zu den hayekschen Betrachtungen werden auf kurze Sicht geld- und fiskalpolitische Maßnahmen in spontanen Systemen zu Beschäftigungseffekten führen. Weizsäcker, der das sozialphilosophische Konzept des spontanen Marktes mit der technisch – analytischen Frage nach der Entstehung und Aufhebung der Unterbeschäftigung zu verbinden sucht, betrachtet im Unterschied zu Hayek das System der Preise nicht als vollkommen flexibel, sondern als langsam und träge (sticky prices). Die nur langsam reagierenden relativen Preise verzögern eine Anpassung der Marktakteure an die eingetretenen räumlichen und zeitlichen Gegebenheiten. In Situationen kurzfristig eintretender Nachfrageänderungen werden diese sich zunächst in Mengeneffekten und erst später in Preiseffekten niederschlagen. Eine Schlüsselrolle kommt bei Weizsäcker daher den Reservekapazitäten zu, die sich aufgrund von Nachfrageänderungen ändern werden. Weizsäcker, der das Beschäftigungsproblem durch die technische Größe der Reservekapazitäten zu fassen sucht und damit Aussagen zur Zinstheorie auszuweichen sucht, muss sich somit auch die Frage nach dem Verhältnis zwischen Zinstheorie und Preistheorie stellen lassen.

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