Keynes
Gesellschaft

B.VII.3 Schumpeter, Joseph Alois

I. Leben und Werk

Joseph Alois Schumpeter, geboren wie Keynes im Jahre 1883, ist unbestritten neben Keynes einer der zwei bedeutendsten Ökonomen des 20. Jahrhunderts. Schon im Alter von 25 Jahren veröffentlicht er seine Habilitationsschrift „Das Wesen und der Hauptinhalt der theoretischen Nationalökonomie“. Darin stellt er die neoklassische statistische Gleichgewichtsanalyse dar und arbeitet heraus, dass diese nicht geeignet ist, evolutorische Entwicklungsprozesse zu erklären. Dazu bedürfe es einer dynamischen Theorie.

Diese liefert er selbst wenige Jahre später mit seiner „Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung“ (1912), in deren Mittelpunkt der dynamische, Innovationen durchsetzende Unternehmer steht. Dessen schöpferische Taten schaffen neue Güter, neue Produktionsverfahren, neue Märkte, neue Marktformen usw. und zerstören zugleich Bestehendes („schöpferische Zerstörung“). Dieses Hauptwerk von Schumpeter stellt Heinz Kurz in zwei beigefügten Texten anschaulich und eindringlich vor.

In dem dritten beigefügten Text schildert derselbe Autor Schumpeters wechselvolles Leben (für weitere Biographien siehe Abschnitt IV). Dessen wichtigste Stationen sind:

1883 Geburt in Triesch (Mähren), Teil des Habsburger Reiches
1906 Promotion an der Universität Wien (Jura einschließlich Nationalökonomie)
1907 1. Heirat und Arbeit am Internationalen Gerichtshof Kairo
1908 Habilitation mit „Das Wesen und der Hauptinhalt der theoretischen Nationalökonomie“
1909 Professor in Czernowitz, ab 1911 in Graz
1912 Veröffentlichung der „Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung“
1919 Finanzminister in der 1. Regierung Österreichs nach dem 1. Weltkrieg
1921 – 24 Präsident der Biedermann & Co Bank-AG
1924 Dank einer Bankkonzession nach dem Ausscheiden als Finanzminister wird Schumpeter 1921 Präsident der Biedermann & Co. Bank-AG, die er 1924 wieder verlässt. Vor allem nach Aktiencrash und privater Bürgschaft ist Schumpeter hoch verschuldet.
1925 – 32 Professor in Bonn
1926 Tod seiner Mutter, seiner 2. Frau (im Kindbett) und des neugeborenen Sohnes
1932 Professor an der Harvard-Universität
1937 3. Heirat
1937 – 41 Präsident der Econometric Society
1939 Veröffentlichung (nach jahrzehntelanger Arbeit) des voluminösen Werks „Business Cycles – A theoretical, historical and statistical Analysis of the Capitalist Process“
1942 Sein populärstes Werk über „Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie“ erscheint
1948 Präsident der „American Economic Association”
1950 Tod
1954 Schumpeters Witwe veröffentlicht seine unvollendete “History of Economic Analysis”

II. Schumpeter und Keynes

Schumpeters Ziel, der bedeutendste lebende Ökonom der Welt zu werden, stand nur der seit 1919 durch seine Kritik am Versailler Friedensvertrag bereits weltberühmte Keynes im Wege.

Trotz dieser Konkurrenzbeziehung erkannten beide die Leistungen und Theorien des jeweilig anderen Autors an. So lobte Keynes in seiner „Abhandlung vom Gelde“ (1930, dt. 1932) Schumpeters Analyse des Konjunkturzyklus und schreibt zu dessen Begründung der konjunkturellen Schwankungen:

„Abgesehen von den vielen kleinen Gründen für diese Schwankungen unter wechselnden Verhältnissen kann Professor Schumpeters Erklärung der Grundbewegungen uneingeschränkt übernommen werden. Er verweist auf die ‚Neuerungen, die von Zeit zu Zeit von der relativ kleinen Anzahl von ausnahmsweise energischen Geschäftsleuten vorgenommen werden: die praktische Anwendung wissenschaftlicher Entdeckungen und mechanischer Erfindungen, die Entwicklung neuer Formen der Organisation von Industrie und Handel, die Einführung unbekannter Erzeugnisse, die Eroberung neuer Märkte, die Ausbeutung neuer Quellen, die Auffindung neuer Handelswege und dergleichen. Veränderungen dieser Art wandeln, wenn sie in großem Umfang vorgenommen werden, die Fakten, auf denen die Masse der geschäftlichen Routiniers ihre Pläne aufbaute‘.“ (1932, S. 321)

Schumpeter seinerseits beschließt im Jahre 1930, sein fast fertiges Buch über „Das Wesen des Geldes“ nicht zu veröffentlichen. Dazu mag Schumpeters Erkenntnis beigetragen haben (so vermutet auch Heinz Kurz), dass sein Buch in der vorliegenden Form einem Vergleich mit Keynes‘ „Abhandlung von Gelde“, die sofort weltweite Aufmerksamkeit fand, nicht standhalten konnte.

In den 1930er Jahren arbeitet Schumpeter weiter an seinem Buch über die Konjunkturzyklen; dabei verliert er sich in der Sammlung und Einordnung unzähliger statistischer und historischer Fakten, sodass es erst 1939 erscheint. Das Werk fand kaum Beachtung; denn 1936 hat Keynes sein Hauptwerk, die „Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und der Geldes“. Darin entwickelt er eine neue makroökonomische Theorie, deren Ziel es ist, die schon in den 1920er Jahren weit verbreitete, chronisch hohe Arbeitslosenquote und ihren katastrophalen Anstieg während der Weltwirtschaftskrise (1929 – 1933) zu erklären. Diese „keynesianische Revolution“ dominiert die Diskussion.

Die Bedeutung und den Beitrag dieses Werkes zur Volkswirtschaftslehre verkennt Schumpeter zunächst völlig. In seiner Besprechung im „Journal of the American Statistical Association“ (Vol 21, 1936) bezeichnet er Keynes zunächst als einen der brillantesten Köpfe, die jemals ihre Energie auf ökonomische Probleme verwendet haben; dann aber kritisiert er sein Buch heftig, vor allem mit drei Argumenten. Erstens suche er, eine Theorie zu entwickeln, die seine wirtschaftspolitischen Empfehlungen untermauern soll (was zutrifft). Dies bezeichnet sich als „unheilige Allianz“, die nichts mit Wissenschaft zu tun habe. Diese Sichtweise ist jedoch sehr einseitig und lässt erkennen, dass Schumpeter die wirtschaftspolitische Einstellung von Keynes missbilligt. Er war nämlich überzeugt, dass alle Krisen Reinigungskrisen seien, die man wirken lassen müsse.

Zweitens wendet Schumpeter ein, Keynes vernachlässige bei seiner Erklärung der Investitionen die zentrale Rolle der Innovationen. Dies tut Keynes in der Tat, aber er will ja auch keine Konjunktur- und Krisentheorie entwickeln, sondern die Möglichkeit einer dauerhaften Unterbeschäftigung begründen.

Drittens kritisiert Schumpeter Keynes‘ Verwendung einer statischen Gleichgewichtsanalyse, die ungeeignet sei, um dynamische Entwicklungsprozesse zu beschreiben. Dies ist zutreffend; Schumpeter übersieht aber, dass eine dynamische Theorie ohne ein statisches Gleichgewichtssystem kaum auf eine feste Grundlage zu stellen ist.

Schumpeter übersieht bei seiner Kritik völlig, dass Keynes‘ makroökonomischer Ansatz ihm und überhaupt der Konjunkturtheorie ein Instrumentarium liefert, die komplexen Zusammenhänge und Interdependenzen zwischen den gesamtwirtschaftlichen Aggregaten herauszuarbeiten und zu präzisieren. Dementsprechend verständnislos und enttäuscht stand er dem Enthusiasmus gegenüber, mit dem sich die jüngeren Ökonomen seinerzeit mit der „General Theory“ von Keynes auseinandersetzten.

In seinen zehn Jahre später kurz nach dem Tod von Keynes im Jahre 1946 geschriebenen Würdigung von dessen Leben und Werk wird er der „Allgemeinen Theorie“ von Keynes etwas gerechter, aber er spricht ihr die Berechtigung ab, als „allgemein“ bezeichnet zu werden (S. 286). Er interpretiert sie stattdessen als „economics of depression“, also nur für eine bestimmte Situation gültig. Die Bedeutung der „Allgemeinen Theorie“ für die Entwicklung der Volkswirtschaft als Wissenschaft vermag er nicht anzuerkennen.

Diese Abwehrhaltung ist umso bedauerlicher, als Schumpeter und Keynes in mindestens zwei wichtigen Punkten übereinstimmen, die mit der (neo-)klassischen Tradition brechen:

1. Sparen ist keine Voraussetzung für Investitionen. Vielmehr werden diese im Wesentlichen finanziert durch Bankkredite und führen bei Vollbeschäftigung zu erzwungenem Konsumverzicht (= Sparen) durch steigende Preise oder – bei Unterbeschäftigung – zu höheren Einkommen (Multiplikatorprozess). In diesem Prozess steigen die Ersparnisse. Fazit bei beiden Autoren: Die Investitionen bestimmen die Ersparnisse, nicht umgekehrt.

2. Die Unternehmerentscheidungen über Investitionen, Produktion und Beschäftigung sind die treibende und bestimmende Kraft der kurzfristigen und langfristigen Entwicklung.

III. Literatur zu Schumpeter

Harris, Seymour (1951) Hrsg., Schumpeter. Social Scientist. Cambridge (University Press). Mit Beiträgen seiner damaligen Kollegen und Schüler.

Kurz, Heinz (2012a) „Zum 100. Geburtstag von Joseph Schumpeters „Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung“. FAZ-Blog – zum Artikel

ders (2012b), Die Rastlosigkeit des Kapitalismus: Schumpeter und die Theorien der wirtschaftlichen Entwicklung – zum Artikel

ders (2012c), Joseph Schumpeter: Ein wechselvolles Leben. FAZ-Blog – zum Artikel

ders (2005), Joseph A. Schumpeter. Ein Sozialökonomie zwischen Marx und Walras. Marburg (Metropolis).

Kurz, Heinz / Sturn, Richard (2011), Schumpeter für Jedermann. Von der Rastlosigkeit des Kapitalismus. FAZ-Verlag, Frankfurt.

Heinz Kurz, Schumpeter’s New Combinations. „Journal of Evolutionary Economics, 2012, 22, S. 871-899. Dort insbesondere Abschnitt 5: Schumpeter and Keynes.

März, Eckhard (1989), Joseph Alois Schumpeter (1883 – 1946). In: Starbatty, Joachim, Hrsg., Klassiker des ökonomischen Denkens. Band II, S. 251 – 272.

McCraw, Thomas (2007), Prophet of Innovation. Joseph Schumpeter and Creative Destruction. Cambridge (Mass) und London (Harvard University Press). Deutsch: Joseph A. Schumpeter. Eine Biographie. Hamburg (Murmann) 2009.

Schumpeter, Joseph A. (1946), John Maynard Keynes (1883 – 1946). “The American Economic Review” Vol. 36. Wieder abgedruckt in: ders, Ten Great Economists. From Marx to Keynes. London (Allen & Unwin), 1951.

Swedberg, Richard (1991): Joseph A. Schumpeter. His Life and his Work. Princeton (University Press). Deutsch: Joseph A. Schumpeter. Eine Biographie. Stuttgart (Klett – Cotta).