Keynes
Gesellschaft

Tagungen der Keynes-Gesellschaft

Bericht über die 7. wissenschaftliche Tagung der Keynes-Gesellschaft

in Izmir vom 21/22. Februar 2011

mit dem Rahmenthema „Keynes‘ „General Theory“ nach 75 Jahren“.

Auf Einladung von Prof. Hakan Yetkiner, Leiter der Forschungsgruppe LIDER, der auch die örtliche Organisation übernommen hatte, fand die diesjährige Jahrestagung der Keynes-Gesellschaft an der „Ökonomischen Universität Izmir“ statt.

An der Tagung nahmen etwas über 25 Personen teil, die der Vorsitzende zur Eröffnung begrüßte. Vor allem aber dankte er Prof. Yetkiner für die Einladung, in Izmir zu tagen, für die hervorragende Organisation des Tagungsablaufs und der Busexkursion an Vortage nach Ephesus.

Der Rektor der Universität, Prof. Atilla Sezgin, richtete anschließend ein Grußwort an die Tagungsteilnehmer, in dem er auch die Bedeutung von Keynes für die volkswirtschaftliche Diskussion unterstrich.

Als Einziger konnte Jan Priewe sein Referat wegen einer Erkrankung nicht halten. An seiner Stelle referierten Hauser/Krämer über die Entwicklung der Einkommens- und Vermögensverteilung.
Die 12 gehaltenen Referate, deren zeitliche Reihenfolge auch durch Terminzwänge bestimmt war, unterteile ich davon abweichend für diesen Bericht nach sachlichen Kriterien in vier Gruppen.

 

1. Auf dem Wege zur „General Theory“
In seinem Referat „Keynes und Roosevelts New Deal“ schilderte Reinhard Blomert die Hauptkomponenten von Roosevelts New Deal. Die Stellungnahmen von Keynes (insbesondere sein offener Brief von 1933) belegen, dass für Keynes die gesamtwirtschaftliche Nachfrage schon 1933 die zentrale Größe für die kurzfristige wirtschaftliche Entwicklung war.

 

2. Zur Interpretation zentraler Bestandteile der „General Theory“
2.1 In seinem Beitrag „Die effektive Nachfrage: Ein Prinzip und seine Varianten“ versuchte Fritz Helmedag, Streitpunkte der Interpretation und genauen Definition der „effektiven Nachfrage“ als zentralem Element der „General Theory“ zu klären. Er knüpft an die von Keynes im 3. Kapitel seines Hauptwerkes nur verbal beschriebenen D- bzw. Z-Kurven an, welche die Nachfrage- bzw. die Angebotsseite repräsentieren sollen. Helmedag diskutierte u.a. die Frage, ob in der „aggregierten Angebotsfunktion“ (Z) der „normale Profit“ i.S. einer „normalen“ Verzinsung des eingesetzten Kapitels enthalten ist und sein sollte.

Helmedag betonte, dass in der „General Theory“ im 3. Kapitel die Einkommensverteilung und die unterschiedlichen Sparquoten der Arbeitnehmer bzw. Unternehmerhaushalte kaum einbezogen werden, und er zeigte einige Konsequenzen auf, die sich bei ihrer Einbeziehung ergeben. Insbesondere über diesen Punkt entspannte sich eine lebhafte Diskussion.

2.2 Im nächsten Referat fragte Sebastian Gechert, welcher Erkenntnisgewinn sich ergibt, wenn man den üblichen realwirtschaftlichen Multiplikator gemäß den Vorschlag von Basil Moore durch die Einkommenskreislaufgeschwindigkeit des Geldes ersetzt. Er legt dar, dass im Zusammenhang mit dieser Frage u.a. das Problem der Periodenlänge im Multiplikatorprozess geklärt werden muss. In der Diskussion wurde Moore’s Ansatz sehr unterschiedlich bewertet.

2.3 Hermann Meemken widmete sich der Frage, in wie weit eine auf Niklas Luhmann aufbauende „Systemische Markttheorie“ dazu beitragen kann, die Theorie von Keynes besser in ihrem Aufbau zu verstehen. In der Diskussion überwogen Beiträge, die vor dem potentiellen Zugewinn an Verständnis und Erkenntnis noch nicht überzeugt worden waren.

2.4 Das Referat von Egmont K-Handtke diente dem Ziel, das Verständnis der Theorie von Keynes dadurch zu erleichtern und zu vertiefen, dass sie axiomatisch fundiert wird. Diese Fundierung erwies sich jedoch als sehr anspruchsvoll und komplex, sodass mit diesem Referat erst erste Schritte zu dem angestrebten Ziel gegangen werden konnten.

 

3. Wirtschaftspolitik angesichts dominanter Finanzmärkte
3.1 In seinem Beitrag „Liquiditätspräferenz, endogenes Geld und Steuerung der Finanzmärkte“ spannte Peter Spahn einen großen Bogen von Keynes‘ Erklärung des Zinses durch die von der Liquiditätspräferenz gesteuerte Geldnachfrage und das von der Zentralbank gesteuerte exogene Geldangebot über die Sichtweise eines endogenen Geldangebots bis zu Empfehlungen zur Geldpolitik in einer Welt, in der diese nicht nur die Inflation der Güterpreise verhindern soll, sondern auch Fehlentwicklungen auf den Finanzmärkten ins Auge fassen sollte. Die vielschichtigen Überlegungen des Referenten, die sich nicht in der gebotener Kürze wiedergeben lassen, mündeten u.a. in die Frage, ob nicht neben der Zinssteuerung auch verstärkt wieder eine Geldmengensteuerung eingesetzt werden sollte.

3.2 Erinc Yeldan, Professor an der Bilkent Universität Ankara, schilderte in seinem Vortrag, mittels welchen Maßnahmen und mit welchem Erfolg die Türkei ihre Wirtschaft durch die weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise gesteuert hat, immer im Vergleich zu der Entwicklung in anderen großen Volkswirtschaften bzw. Wirtschaftsräumen. Er zog daraus Lehren für den Umgang mit solchen externen Schocks.

3.3 Stephan Schulmeister schlug eine generelle Finanztransaktionssteuer vor. Diese soll möglichst alle Finanztransaktionen umfassen, die nicht direkt mit realwirtschaftlichen Transaktionen verknüpft sind. Sein Vorschlag ist damit wesentlich umfassender als eine Börsenumsatzsteuer, die einzuführen Keynes in der „General Theory“ den USA empfahl – im Großbritannien bestand sie seit langem. Der Referent nannte und bewertete die Begründungen für eine solche Steuer, die sich in der Literatur finden, er präzisierte das Konzept und überlegte, ob diese Steuer die Finanzmärkte stabilisieren könnte, welche weiteren Auswirkungen sie haben dürfte und mit welchen Einnahmen gerechnet werden könnte.
In der Diskussion wurde besonders die Umsetzbarkeit des Vorschlags thematisiert. Der Referent betonte, dass eine weltweite Einführung zwar wünschenswert wäre, dass aber auch eine isolierte Einführung (z.B. in Deutschland oder in der EU) möglich wäre, indem nicht der Ort der Finanztransaktion über die Fälligkeit der Steuer entscheidet, sondern der Wohnsitz der Person, die die Transaktion in Auftrag gibt, wobei sich normalerweise jeder Auftrag in den Akten einer in Deutschland ansässigen (und daher für den Steuereinzug erreichbaren) Bank niederschlägt.

 

4. Änderungen der Einkommensverteilung: Tendenzen, Ursachen, Konsequenzen
4.1 Als Hintergrund für die nachfolgenden Referate berichteten Richard Hauser und Hagen Krämer über die eklatanten Änderungen in der Einkommens- und Vermögensverteilung, die insbesondere in Deutschland in den beiden letzten Jahrzehnten stattgefunden haben. Bei beiden Verteilungen hat sich die Schere zwischen „Arm“ und „Reich“ bzw. zwischen Niedrigverdienern und Beziehern hoher Einkommen weiter geöffnet.

4.2 Angesichts dieser Zahlen griff Jürgen Kromphardt das Problem auf, dass die Einkommensverteilung in der keynesianischen Literatur sehr lange fast keine Rolle gespielt hat, obwohl Keynes in der „General Theory“ besonders im 3. und im 24. Kapitel ihre Bedeutung für die Höhe der Beschäftigung wiederholt betont hat. In seinem Referat stellte er anschließend dar, dass erst um 1990 neue theoretische und empirisch fundierte Ansätze zu finden sind, um zu Aussagen über die zu erwartenden Auswirkungen der von Hauser/Krämer dargestellten Änderungen der Einkommensverteilung zu gelangen.
In der Diskussion wurde vor allem die Aussagekraft der vorgestellten empirischen Analysen erörtert und insbesondere davor gewarnt, dem Begriff des lohninduzierten bzw. profitgetriebenen Regimes einen Erklärungsgehalt für unterschiedliche Entwicklungen zuzuschreiben. Es sei klar, so der Referent, dass hier noch viel Forschungsbedarf bestehe.

4.3 Den dritten Beitrag zum Themenkomplex „Verteilung“ lieferte Herbert Schui. Er diskutierte ausgehend von Keynes‘ Äußerungen in der „General Theory“ und gestützt auf Äußerungen von Joan Robinson und Michael Kalecki die Möglichkeiten und Schwierigkeiten, die einer Politik der hohen Beschäftigung entgegenstehen, wenn sie bei unzureichender Nachfrage – hervorgerufen durch hohe private Ersparnisse – versucht, die Lücke zwischen Investitionen und potentiellen Ersparnissen bei Vollbeschäftigung zu verringern oder gar zu schließen.

4.4 Die Einkommensverteilung spielte auch in dem Referat von Hagen Krämer über „Keynes, Globalisierung und Strukturwandel“ eine Rolle, das sie vom Prozess der Globalisierung betroffen ist, aber auch auf ihn zurückwirkt. Der Referent erörterte Keynes‘ Stellungnahmen zur Globalisierung und zum Strukturwandel und diskutierte die Zusammenhänge zwischen diesen beiden Phänomenen, womit er eine rege Diskussion auslöste.

Zum Abschluss der Tagung wies der Vorsitzende darauf hin, dass er an alle Referenten im Hinblick auf die Veröffentlichung ihrer (überarbeiteten) Referate als Band 5 der Schriften der Keynes-Gesellschaft schreiben werde.

Der Vorsitzende schloss die Tagung mit einem Dank an alle Referenten und alle Teilnehmer sowie insbesondere an Hakan Yetkiner für die vorzügliche Organisation und an Bedia Sahin für ihre Mithilfe bei deren reibungsloser Umsetzung. Er lädt die Anwesenden zu der nächsten Tagung der Keynes-Gesellschaft am 20/21. Februar 2012 in Linz bei der dortigen Arbeiterkammer ein und wünscht allen eine gute Heimreise.

 

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