Keynes
Gesellschaft

F.III. Das Pro und Contra zur Staatsverschuldung

Diese Rubrik behandelt die Nachteile und Vorteile eines hohen Schuldenstands und einer hohen Netto- Verschuldung der öff. Hand. Eingang sei darauf hingewiesen, dass eine hohe Staatsschuld selbst dann einen gravierenden Nachteil aufweist, wenn die jährliche Neuverschuldung auf Null reduziert wird; denn selbst wenn der Staatsektor eines Landes keine neuen Kredite aufnimmt, bleibt er dennoch auf das „Wohlwollen“ der Finanzmärkte angewiesen, weil die zur Rückzahlung fällig werdenden Anleihen und Kredite durch neue Kredite ersetzt werden müssen. Die potentiellen Gläubiger müssen darauf vertrauen, ihr Geld bei Fälligkeit zurückzuerhalten.

Falsch ist dagegen die Behauptung, durch die Kreditfinanzierung von staatlichen Investitionen würden künftige Generationen belastet, weil sie durch höhere Steuern die Zinsen an die Eigentümer der Wertpapiere und der sonstigen Forderungen zahlen müssten. Dies trifft zwar für die künftigen Steuerzahler zu, nicht aber für die Generationen als Ganzes; denn die Empfänger der Zinszahlen gehören ja ebenfalls zur künftigen Generation. Vererbt wird allerdings ein Verteilungsproblem, falls die Vermögen stärker konzentriert sind als die Steuerzahlungen.

Zwei Argumente, die jüngst besonders häufig diskutiert werden, bilden den Gegenstand der beiden nachstehenden Unterrubriken.

F. III.1 Staatsverschuldung nach dem Ende der Kapitalknappheit

Aufgeschreckte Bürger fragen, ob der Staat seine Schulden jemals werde zurückzahlen können (als ob das ein sinnvolles Ziel sei). Gegen diese Vorstellung, der Staat solle oder sogar müsse seine Schulden irgendwann zurückzahlen, wendet sich Carl Christian von Weizsäcker in vielen Aufsätzen und Vorträgen aus kapitaltheoretischer Sicht. Er konstatiert das Ende der Kapitalknappheit, die die kapitalistischen Marktwirtschaften bislang geprägt hat; denn sowohl bei den Anbietern von als auch den Nachfragern nach Geldkapital haben grundlegende Änderungen stattgefunden. Auf der einen Seite legen – auch wegen der zunehmenden Lebensdauer – die privaten Haushalte einzelwirtschaftlich rational einen Teil ihres Einkommens zurück (sie sparen), um im Alter über genügend Einkommen zu verfügen oder um ihren Erben etwas zu hinterlassen. Um ihr gespartes Geld anzulegen, erwerben sie Forderungen. Verkäufer dieser Forderungen sind die Wirtschaftssubjekte, die bereit sind, sich zu verschulden. Zu Zeiten guter Konjunktur und funktionierendem Wettbewerb sind das die Unternehmen, die auf diese Weise ihre Investitionen (teilweise) finanzieren.

Ist jedoch die Investitionstätigkeit gering, die Gewinne aber dennoch hoch, wie derzeit in Deutschland, dann brauchen sich die Unternehmen insgesamt nicht zu verschulden. Dann muss der Staat in die Bresche springen, sich verschulden und zusätzliche Verbindlichkeiten gegenüber dem Privatsektor eingehen. Der Ausweg, durch Leistungsbilanzsüberschüsse das Ausland dazu zu bringen, sich gegenüber dem Inland zu verschulden, steht nur einigen Staaten offen, da dem Leistungsbilanzüberschuss der einen die entsprechenden Defizite der anderen Staaten gegenüberstehen; weltweit ist dies also keine Lösung.

Von Weizsäcker behandelt diese Frage u.a. in:

• Carl Christian von Weizsäcker (2010), Die Notwendigkeit von Staatsschulden. In : „Wirtschaftsdienst“ , 90. Jg. (2010) , S. 720-723.
• Ders., Das Janusgericht der Staatsschulden. FAZ vom 5.06.2010
• Ders. (2014), Wir leben in einem gänzlich neuen Zeitalter. Interview in den „Perspektiven der Wirtschaftspolitik“, 15. Jg. , S. 24-40.
• Ders. (2014), Public Debt and Price Stability. „German Economic Review” Vol. 15 (2014), S. 42-61.
• Ders. (2015), Kapitalismus in der Krise. „Perspektiven der Wirtschaftspolitik“, Band 16, S. 189-212
• Ders. (2016) , Keynes und das Ende der Kapitalknappheit, In: Harald Hagemann/ Jürgen Kromphardt (Hrsg.), Keynes, Schumpeter und die Zukunft der entwickelten kapitalistischen Volkswirtschaften. Marburg (Metropolis).

In den drei letztgenannten Beiträgen vertieft und erweitert von Weizsäcker seine Analyse. Er zeigt auf, dass ohne Staatsverschuldung heute ein Kapitalmarktgleichgewicht nur bei einem negativen Realzins (Nominalzins minus Inflationsrate) möglich ist. Nur dieser kann private Investitionen hervorrufen, die ausreichen, um die Spartätigkeit des privaten Sektors auszugleichen. Wäre dagegen der Staat zu einer negativen Ersparnis bereit, so fiele die gesamtwirtschaftliche Ersparnis niedriger aus, die durch Investitionen „aufgefangen“ werden muss. Die Nullverschuldung des Staates („Schwarze Null“) dagegen verschärft die Tendenz zu negativen Realzinsen. Nur in wenigen Staaten springt das Ausland als Schuldner ein.

Weitere Überlegungen darüber, wie man auf diese neue Situation des Verschwindens der Kapitalknappheit wirtschaftspolitisch reagieren sollte, findet man in
• Gunther Tichy (2016), Vom Kapitalmangel zum Savings Glut. Ein Phänomen der Wohlstandsgesellschaft ? Enthalten in dem bereits genannten, von Harald Hagemann und Jürgen Kromphardt herausgegebenen Tagungsband. Dort S. 33-68.

Tichy dokumentiert, dass die nichtfinanziellen Kapitalgesellschaften sich in Europa immer weniger verschulden, sodass den Spar-(Finanzierungs-)Überschüssen der privaten Haushalte immer weniger Defizite dieses Sektors gegenüberstehen. Tichy schlägt daher Maßnahmen vor, die die privaten Spartätigkeit verringern und die (privaten und staatlichen) Investitionen erhöhen.

F.III.2 Belastung des wirtschaftlichen Wachstums?

Vielfach wird behaupte, eine zu hohe Staatsverschuldung belaste das wirtschaftliche Wachstum. Diese Position haben zwei US-amerikanische Forscher stark betont:

• Kenneth Rogoff / Carmen Reinhart (2010), Growth in Time of Debt. “The American Economic Review”, Papers and Proceedings, Vol. 100, S.573-78
• Dies. (2011) This Time is Different. Eight Centuries of Financial Folly. Princeton (University Press)
• Dies. (2012) Public Debt Overhangs: Advanced- Economy Episodes since 1800. “Journal of Economic Perspectives”, Vol. 26, S.69-86.

Die beiden Autoren behaupteten, empirisch nachgewiesen zu haben, dass eine die Marke von 90% übersteigende Staatsschuldenquote das Wachstum beeinträchtige. Erfreulicherweise haben kurz danach
• Herndon/Ash/ Pollin (2014) Does High Public Debt Consistently stifle Economic Growth ? A Critique of Reinhart and Rogoff. ”Cambridge Journal of Economics”, Vol. 38, S. 257-279.
die Daten erneut untersucht und die These von Rogoff /Reinhart widerlegt. Sie konnten zeigen, dass selektiver Ausschluss von verfügbaren Daten, Kodierungsfehler und unangemessene Gewichtung von statistischen Angaben zu ernsthaften Fehlkalkulationen geführt haben. So hatten z.B. von 1946-2009 die Staaten mit einer Staatsschuldenquote über 90% ein durchschnittliches reales Wachstum von 2,2% und nicht von -0,1%, wie behauptet worden war.

Auch drei Mitarbeiter des Internationalen Währungsfonds (IWF) nämlich:
• Pescator / Sandri/ Simon (2014), Debt and Growth. Is there a Magic Treshold? IMP Working Paper 14/34
widerlegen Reinhart/Rogoff mit einem Datensatz des IWF. Sie ermitteln keinen derartigen Einfluss auf das Tempo des Wachstums, wichtig sei vor allem die Entwicklung der Schuldenquote. Allerdings schwanke in Staaten mit hoher Staatsverschuldung das Wachstum im Zeitablauf stärker.