E.III. Keynesianische Inflationstheorien

Als Keynes während der Weltwirtschaftskrise seine „General Theory“ schrieb (siehe die entsprechende Rubrik), war Inflation kein aktuelles Thema. Sorgen bereitete ihr Gegenstück, die Deflation mit sinkenden Preisen und Löhnen, die damals zu beobachten war (siehe Unterrubrik „Weltwirtschaftskrise“). Schon deshalb werden in der „General Theory“ die Ursachen der Inflation nicht behandelt.

1. Nachfragesog- Theorie

Eine neue und ganz andere Situation ergab sich nach dem Ausbruch des 2.Weltkriegs; denn nun mussten in Großbritannien alle freien Arbeitskräfte und Ressourcen für die Produktion von Rüstungsgütern verwendet werden, und die staatlichen Ausgaben dafür mussten finanziert werden. Durch die Ausdehnung der Rüstungsproduktion fanden alle Arbeitssuchenden einen Arbeitsplatz und erzielten dadurch höhere Einkommen, aus dem sie mehr konsumieren wollten. An eine Steigerung der Konsumgüterproduktion war jedoch nicht zu denken.

Beide Probleme griff Keynes (1940) in seiner Publikation „How to pay for the war?“ auf (siehe die Unterrubrik 14 in der Rubrik „Monographien“). Dort entwickelt er einen Vorschlag, der zugleich die Finanzierungsfrage lösen und eine inflationäre Entwicklung verhindert sollte. Der Vorschlag basiert auf der Anwendung seines theoretischen Instrumentariums auf den Fall der Vollbeschäftigung. Keynes bedient sich nicht der Quantitätstheorie, wonach die Inflationsrate von der Entwicklung der Geldmenge bestimmt wird, sondern macht diese von der Entwicklung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage abhängig. Keynes Grundidee lautet: Wenn die Nachfrage das Angebot übersteigt, dieses aber begrenzt ist, dann führt die Übernachfrage nicht zu mehr Produktion, sondern zu steigenden Preisen.

Diese Preissteigerung birgt in sich die Gefahr, dass die Arbeitnehmer in der nächsten Lohnrunde einen Ausgleich für diesen Verlust an realer Kaufkraft verlangen. Wird dieser Forderung nachgegeben, erhöht sich erneut die nominale Nachfrage, was – bei unverändertem Angebot – zu erneuten Preissteigerungen führt. Auf diese Weise wird eine Preis-Lohn-Spirale in Gang gesetzt.

In einem solchen Inflationsprozess ist die Nachfrage ständig größer als das Angebot; mithin erklärt die Nachfragesog-Theorie die schleichende Inflation aus übererhöhten Kaufansprüchen an das Sozialprodukt: Die Nachfragegruppen wollen insgesamt mehr Güter kaufen als produziert werden. Der Nachfrageüberschuss ergibt sich aus der Summe privater und staatlicher Nachfrage.

Die geschilderte Inflationserklärung setzt voraus, dass die Nachfragegruppen in der Lage sind, ihre Nachfrage nominal gemäß der Preisentwicklung auszuweiten. Dementsprechend müssen entweder ihre Einkommen oder ihre Kreditmöglichkeiten mit der Inflation steigen. Da insbesondere die privaten und staatlichen Investitionen zu einem erheblichen Teil aus Krediten finanziert werden, muss mithin die Inflation durch eine entsprechende großzügige Geldpolitik „monetär alimentiert“ werden. Eine wachsende Geldmenge ist daher eine notwendige Bedingung für eine dauerhafte Nachfragesog-Inflation, aber keine hinreichende: Erforderlich ist das ständige Wachstum der Nachfrage!

Die Konsumgüternachfrage kann dauerhaft nur ansteigen, wenn das Lohnniveau entsprechend dem Preisniveau ansteigt, die Arbeitnehmer also einen Inflationsausgleich erkämpfen. Dann steigen aufgrund der Lohnsteigerungen auch die nominalen Lohnkosten je Stück, falls sie nicht durch Steigerungen der Arbeitsproduktivität ausgeglichen werden. Ein derartiger Inflationsprozess ist mithin mit steigenden Lohnkosten verbunden. Diese stellen ein Prozessergebnis dar, das dann seinerseits den Inflationsprozess weitertreibt, wenn die Unternehmen die gestiegenen Lohnkosten in steigenden Preisen weiterwälzen.

Die wichtigste wirtschaftspolitische Schlussfolgerung aus der Nachfragesog- Inflationserklärung lautet: Da eine Übernachfrage die Ursache der Inflation ist, muss die Inflation durch Nachfragedrosselung via Geld- und Fiskalpolitik bekämpft werden. Die entscheidende Begrenzung dieser Theorie besteht darin, dass das Preisniveau nur solange ansteigt, wie ein Nachfrageüberschuss besteht. Sobald dieser Nachfrageüberschuss verschwunden ist, gibt es keine positive Inflationsrate mehr. In einer konjunkturellen Rezession müsste daher die Inflationsrate gegen Null gehen oder sinken. In der Nachkriegszeit ist dies jedoch nicht mehr der Fall; die Theorie umfasst offenbar nicht alle Inflationsursachen und kann Inflation bei Unterbeschäftigung nicht erklären.


2. Dauerhafte Inflation bei Unterbeschäftigung: Theorie der Anbieterinflation (Verteilungskampfinflation)

Für die Erklärung der schleichenden Inflation, wie sie in der Zeit nach dem 2.Weltkrieg fast überall zu beobachten ist, muss offenbar – so die Schlussfolgerung keynesianischer Autoren – dem Verhalten der Anbieter auf den Güter- und Arbeitsmärkten eine viel größere Aufmerksamkeit gewidmet werden; denn die Erklärung über die Nachfrageseite funktioniert bei Unterbeschäftigung nicht. Auch die monetaristische Erklärung aus der Entwicklung der Geldmenge kann nicht überzeugen, weil bei Unterbeschäftigung eine steigende, durch eine höhere Geldmenge ermöglichte (oder angeregte) steigende nominale Nachfrage durch Mehrproduktion befriedigt werden kann. Wie ist dann zu erklären, dass es kontinuierlich zu Preissteigerungen kommt?

Die Grundstruktur der keynesianischen Anbieterinflationstheorie lässt sich durch drei Hypothesen kennzeichnen (vgl. zu dieser Theorie u.a. das Kapitel IV.2. in Kromphardt, 1998, auf das sich dieses Abschnitt stützt):

a)In modernen Industriegesellschaften verfügen die Anbieter von Gütern und von Arbeit über Marktmacht, und sie nutzen diese Marktmacht, um über Preis- bzw. Lohnsteigerungen ihre Verteilungsansprüche durchzusetzen, die zusammen größer sind als der „Kuchen“, der zu Verteilung zur Verfügung steht.

b)Diese Ansprüche steigen in einer wachsenden Wirtschaft kontinuierlich an, so dass die Verteilungsansprüche größer als das Sozialprodukt bleiben, obwohl dieses wächst, und damit miteinander unvereinbar bleiben.

c)Der hierdurch angefachte dauerhafte Verteilungskampf führt zu schleichender Inflation, auch bei Unterbeschäftigung; diese endet erst, wenn der Verteilungskampf beendet oder auf andere Gebiete verlagert wird.

2.1. Marktmacht der Anbieter

Marktmacht der Anbieter liegt dann vor, wenn die Anbieter die Macht haben, ihre Preisvorstellungen weitgehend durchzusetzen, indem sie entweder ihre Preise selbständig festsetzen oder bei gemeinsamer Festsetzung – in Verhandlungen mit den Nachfragern – ihre Interessen weitgehend durchsetzen können.

Die Anbietermacht ist im erstgenannten Falle am stärksten; sie ist auf vielen Gütermärkten gegeben. Dort wählen die Güterproduzenten auf der von ihnen angenommenen Preis-Absatz-Funktion den für sie günstigsten Preis aus, der ihre Gewinne maximiert. Die Nachfrager können auf die Preissetzung mit Variation der gefragten Gütemenge reagieren, sie haben aber keinen direkten Einfluss auf die Preissetzung selbst.

Auf solchen Märkten ist die Marktmacht der Anbieter umso größer, je mehr sie den Preiswettbewerb untereinander einschränken. Nach dem deutschen Kartellrecht ist zwar die Bildung von Preiskartellen im Allgemeinen verboten, die Unternehmen haben jedoch Ersatzlösungen gefunden, um den Preiswettbewerb dennoch einzuschränken, zum Beispiel:

Preisführerschaft
Stillschweigende Übereinkommen, die zu Parallelverhalten führen, z.B. zur Überwälzung zusätzlicher Lohnkosten aufgrund von Tariflohnerhöhungen
Frühstückskartelle

Diese Ersatzlösungen sind weit verbreitet und haben zum Teil eine uralte Tradition. Schon Adam Smith beklagte die Frühstückskartelle und stellte fest:
„Leute von demselben Gewerbe kommen selten auch nur zu Lustbarkeit und Zerstreuungen zusammen, ohne dass ihre Unterhaltung mit einer Verschwörung gegen das Publikum oder einem Plane zur Erhöhung der Preise endigt“ (A. Smith, 1786, Band 1, S. 171-172).

Diese Vermutung von Adam Smith wird heute von führenden Unternehmern bestätigt. So schreibt Edzard Reuter (1994, S.44):
„Zugleich sei […] deutlich gesagt, was wir nicht sein wollen, nämlich ganz ordinäre Kartelle. Dazu haben sich bekanntlich gemeinsame Frühstücks-Veranstaltungen viel besser bewährt.“

Auf dem Arbeitsmarkt ist der Preiswettbewerb durch die Zulassung von Gewerkschaften – um die im 19. Jarhundert heftige politische Kämpfe ausgefochten wurden – weitgehend abgeschafft. Dies ist wichtig für den Inflationsprozess; denn eine dauerhafte schleichende Inflation erfordert Marktmacht der Anbieter auf den Gütermärkten und auf dem Arbeitsmarkt und das daraus resultierende ständige Wechselspiel von Preissteigerung und Lohnsteigerung. Nur durch dieses Wechselspiel ergibt sich ein dauerhafter Anstieg der Preise und Löhne, die sich gegenseitig hochschaukeln. Darauf haben als erste Ackleyn (1958) und Lerner (1958) hingewiesen. Lerner spricht von „Verkäuferinflation“.

Durch die genannte Einschränkung des Preiswettbewerbs haben mithin Arbeitnehmer und Unternehmer im Prinzip die Marktmacht, Preis- und Lohnsteigerung durchzusetzen, um damit ihre Verteilungsansprüche zu verwirklichen. Die daraus resultierende Inflation ist nur dann ein andauernder Prozess, wenn die Verteilungsansprüche in einer wachsenden Wirtschaft fortwährend das verteilbare Sozialprodukt übersteigen. Dazu ist es erforderlich, dass die Ansprüche ebenfalls ansteigen. Wie ist ein solcher Anstieg der Ansprüche zu erklären?

2.2 Verteilungsansprüche der Gruppen

Maßstab für die Verteilungsansprüche der Unternehmen ist vor allem die Verzinsung des eingesetzten Kapitals, also die Kapitalrendite. Da in einer wachsenden Wirtschaft das eingesetzte Kapital ständig ansteigt, muss für eine unveränderte Rendite (G/K) die Gewinnsumme steigen bleiben. Bleibt – wie langfristig zu beobachten – die Kapitalproduktivität (K/Y) konstant, muss dafür die Gewinnquote (G/Y) ebenfalls konstant bleiben.

Ein teilweiser Verzicht auf den erreichten Anteil am Sozialprodukt ist daher ausgeschlossen. Verschärfend auf den Verteilungskampf würde eine Abnahme der Kapitalproduktivität im Zeitablauf einwirken. Eine solche Entwicklung würde eine Zunahme der Gewinnquote erforderlich machen, um die Kapitalrendite zu halten. Dasselbe gilt für den Anspruch, eine höhere Kapitalrendite zu erzielen, der in jüngster Zeit von prominenten Unternehmern (zum Beispiel von J. Ackermann, Deutsche Bank) offen ausgesprochen wird.

Auf der Seite der Arbeitnehmer führt eine Orientierung der Verteilungsansprüche an der Entwicklung der Arbeitsproduktivität (Wertschöpfung je Arbeitnehmer) zu deren ständigem Steigen; denn die Arbeitsproduktivität erhöht sich durch technischen Fortschritt und höheren Kapitaleinsatz. Weshalb aber sind die Arbeitnehmer nicht mit dem erreichten Reallohnniveau als Grundlage ihres Lebensstandards zufrieden, sondern wollen dessen Verbesserung? Dass sie sich gegen dessen Verschlechterung wehren, bedarf wohl keiner Begründung.

Verschiedene Gründe finden sich in der Literatur:
a)„Die Wirtschaftssubjekte … haben sich an die fortgesetzten Verbesserungen der eigenen Einkommenssituation gewöhnt und erwarten generell …, dass auch die Zukunft Aufbesserungen von ähnlicher Größenordnung bringen wird.“ (Müller, 1976, S. 73). Auch sind die Arbeitnehmer nicht bereit, eine ständig sinkende Lohnquote hinzunehmen.
b)Das steigende Anspruchsniveau ist „Ausdruck eines geänderten Selbstvertrauens der Menschen in ihre Fähigkeit, gesetzte Ziele zu erreichen“ (ebenda). Daher geben sich die Menschen nicht mit dem gegenwärtigen Einkommen zufrieden, sondern verfolgen höhere Einkommensziele.

c) Duesenberry sieht (lt. N. Müller, 1976, S.72) die Ursache für die steigenden Anspruchsniveaus „in dem positiven Wertakzent, mit dem in der modernen Gesellschaft alle Bestrebungen zum Erreichen eines höheren Lebenshaltungsniveau versehen sind“.

d) Die steigenden Einkommensansprüche dürften auch damit zusammenhängen, dass in einer wachsenden Wirtschaft ständig neue Produkte entwickelt und angeboten werden, die immer mehr Haushalte unter dem Einfluss intensiver Werbung gerne besitzen möchten.

e) Vor dem Hintergrund der Entwicklung in den 1950er und 1960er Jahren vermutete Streißler (1973, S. 21) den Hauptgrund für steigende Anspruchsniveaus in der schwindenden Bereitschaft der Menschen, die vorgefundenen Einkommensunterschiede zu akzeptieren. Er sah daher die zentrale Ursache der damaligen weltweiten Inflation in dem Versuch, „… Einkommensdifferentiale rascher zu beseitigen, als sie von alleine dahinschmelzen“. Streißler meint also, die Einkommensunterschiede wären in langfristiger Betrachtung geringer geworden. Soweit dies zutrifft, haben dazu vermutlich zwei Entwicklungen beigetragen: Der Anteil der großen Vermögenseinkommen am Volkseinkommen hatte sich (zum Beispiel durch höhere Erbschaftssteuern) gegenüber früher deutlich verringert, und die Knappheitsrente von Berufen mit hoher, insbesondere akademischer Ausbildung war deutlich gesunken. Diese langfristige Entwicklung möchten nach Ansicht von Streißler die Menschen beschleunigen. Streißler bezeichnet dies als Ausdehnung des Gleichheitsgrundsatzes von der politischen auf die ökonomische Sphäre.

Gegen die Aktualität dieser Argumente spricht jedoch, dass in den letzten 20 Jahren die Ungleichheit wieder zuzunehmen scheint.

Damit die Lohneinkommen bzw. die Gewinne wachsen können, gibt es zwei Lösungsansätze: Die leistungsorientierte Lösung besteht darin zu versuchen, selbst mehr zu leisten. Das hieße für den Arbeitnehmer, durch Überstunden oder Höherqualifikation eine Einkommensverbesserung anzustreben. Der Unternehmer kann eine verbesserte Gewinnsituation zum Beispiel durch Maßnahmen der Kostensenkung anstreben.

Die anspruchsorientierte Lösung besteht darin, dass man bei unveränderter Eigenleistung mehr von den anderen (der Gesellschaft) fordert. Diese Lösung ist eine geeignete Grundlage der Anbieterinflationstheorie; denn sie führt dazu, dass die Arbeitnehmer und Unternehmer versuchen, ihre miteinander unvereinbaren Einkommensansprüche durch ständige Erhöhung von Löhnen bzw. Preise durchzusetzen. Da die Lohn- und Preiserhöhungen zugleich die Einkommensverteilung beeinflussen, kann man sie auch als Instrumente des Verteilungskampfes bezeichnen.

Neben den Gruppen, die ihre wirtschaftliche Macht in der beschriebenen Weise einsetzen, bemühen sich Gruppen, die eine schwache Marktposition haben, z.T. mit großem Erfolg auf dem politischen Wege, eine entsprechende Verbesserung ihrer Einkommenssituation zu erreichen. Ein gutes Beispiel dafür sind die Landwirte, die früher aufgrund ihrer großen Zahl und aufgrund der relativ geringen Beeinflussbarkeit der Produktionsmengen eine schwache Marktposition hatten, bis sie die Preisbildung dem Markt entziehen und politischen Gremien übertragen konnten (in Europa auf die Träger der Gemeinsamen Europäischen Agrarpolitik).


3. Anbieterverhalten in Abhängigkeit von der Beschäftigungssituation : Der Phillipskurvenzusammenhang

Die Vermutung liegt nahe, dass Arbeitnehmer und Unternehmer umso nachdrücklicher versuchen, ihre Verteilungsansprüche mittels Lohn- bzw. Preissteigerungen durchzusetzen, je günstiger die Situation auf den Gütermärkten und damit zugleich die Arbeitsmarktlage ist. Daraus folgen stärkere Preis- und Lohnsteigerungen, die allerdings solange an der Verteilung nichts ändern, wie sie im gleichen Umfang erfolgen.

Die Diskussion über die durch die Annäherung an die Vollbeschäftigung ausgelöste Verschärfung der Anbieterinflation intensivierte sich, als die Inflationsraten in den 1960er Jahren zu steigen begannen. Eine erste empirische Basis lieferte die Untersuchung von Phillips (1958), der für Großbritannien seit der Mitte des 19. Jahrhunderts den vermuteten positiven Zusammenhang zwischen Beschäftigungsgrad und Nominallohnsteigerung fand. Er stellte ihn graphisch als einen negativen langfristigen Zusammenhang zwischen Arbeitslosigkeit und Nominallohnsteigerungen dar. Samuelson/Solow (1960) übertrugen dann dieses Ergebnis auf den Zusammenhang zwischen Arbeitslosigkeit und Preissteigerungen der dann als (modifizierte) Phillipskurve die Diskussion beherrschte.

Grundlage des Zusammenhangs ist aus keynesianischer Sicht der inflationssteigernde Effekt sinkender Arbeitslosigkeit, der in einer Lohn- und in einer Preisgleichung präzisiert wird (siehe zum Beispiel das Modell von Rothschild (1974) sowie seine modifizierte Variante in Kromphardt (1998) sowie in vielen empirischen Untersuchungen).

Eine typische Lohngleichung enthält neben der (vergangenen) Inflationsrate, der Produktivitätsentwicklung und exogenen Schocks auf der Angebotsseite (insbesondere Ölpreisschocks) einen Ausdruck, der den Einfluss einer von einer lohnzuwachsneutralen Arbeitslosigkeitsquote (U*) abweichenden tatsächlichen Arbeitslosigkeitsquote (Ut) misst: Ist Ut < U* , hat dies einen inflationssteigenden Effekt (zusätzlich zu den anderen Faktoren), ist Ut > U*, wird der Lohnzuwachs abgebremst.

Die Preisgleichung wird meist als Ergebnis einer Preisbildung durch einen Lohnkostenzuschlag modelliert. Von der Inflationsrate angetriebene Lohnsteigerungen wirken also durch Lohnkostensteigerungen auf die Inflationsrate zurück; es entsteht eine Preis-Lohn-Preis-Spirale.

Sollte es beiden Parteien im Verteilungskampf gelingen, die sie belastenden Steigerungen (bei den Arbeitnehmern Preissteigerungen, bei den Unternehmen die Lohnkostensteigerungen) voll auf die andere Seite weiter zu wälzen, käme es zu einer ständig steigenden Inflationsrate (akzelerierende Inflation), sobald Ut < U*. Eine derartige Vollüberwälzung ist unwahrscheinlich; nur bei Vollbeschäftigung dürfte sie gelingen. Ohne Vollüberwälzung ist das Ergebnis des so geführten Verteilungskampfs eine bestimmte, langfristig stabile Inflationsrate.

Die meisten geeigneten empirischen Untersuchungen bestätigen, dass eine volle Überwälzung bei Unterbeschäftigung nicht auftritt. Es gibt allerdings viele Untersuchungen, die von vorneherein Vollüberwälzung unterstellen, und dann nicht unerwartet zu dem Ergebnis kommen, die Inflationsrate müsste sich ständig beschleunigen, sobald Ut < U* ist. Daher sei U* die einzige Arbeitslosigkeitsquote, die mit einer stabilen Inflationsrate einhergehe. In graphischer Darstellung heißt das, die langfristige Phillipskurve verlaufe über U* senkrecht; ober- und unterhalb von U* gebe es keine stabile Inflationsrate. Eine solche A priori-Setzung ist eine Pseudo-Begründung und ohne empirische Aussagekraft.

Monetaristen wie Milton Friedman, die diese Position dennoch vertraten, suggerierten häufig, dieses von der keynesianischen Phillipskurve abweichende Ergebnis hinge damit zusammen, dass dort der Einfluss von Erwartungen vernachlässigt werde – dies ist aber nicht der Fall. Entscheidend ist die Vollüberwälzungsannahme. Trifft diese nicht zu, gibt es keine senkrechte Phillipskurve (vgl. W. Franz, 2005, S. 146).

Die wirtschaftspolitische Konsequenz aus der keynesianischen Phillipskurve lautet: Solange sich am Lohn- und Preisverhalten der Akteure nichts ändert, muss für eine niedrige Arbeitslosigkeitsquote eine höhere Inflationsrate im Kauf genommen werden. Ob man diesen Preis zu zahlen bereit ist, hängt von einem Werturteil ab: Wie groß ist der Vorteil der höheren Beschäftigung, wie groß ist der Nachteil einer höheren Inflationsrate? Dies ist ein Werturteil, weil unterschiedliche Gruppen unterschiedlich stark positiv oder negativ betroffen werden.

Aus der keynesianischen Phillipskurve folgt nicht die – oft fälschlich unterstellte – Aussage, man könne durch eine höhere Inflationsrate eine höhere Beschäftigung erreichen. Darüber macht diese Kurve keine Aussage; vielmehr läuft die Wirkungsrichtung von der Beschäftigungslage zur Inflationsrate, aber nicht umgekehrt.

Literatur

Ackley, Gardner (1958), A Third Approach to the Analysis and Control of Inflation; In: Joint Economic Committee (Hrsg.), The Relationship of Prices to Economic Stability and Growth, Compendium of Papers Submitted. Washington (D.C.), Wiederabgedruckt in: Perlman, Richard (Hrsg.), Inflation: Demand Pull or Cost Push?, Boston 1965.

Franz, Wolfgang (2005), Will the (German) NAIRU Please Stand UP?, “German Economic Review”, Vol.6, S. 131-153.

Keynes, John Maynard (1940), How to Pay for the War? London (Macmillan).

Kromphardt, Jürgen (1998), Arbeitslosigkeit und Inflation. Eine Einführung in die makroökonomischen Kontroversen. 2.Auflage, Göttingen (Vandenhoeck & Ruprecht).

Lerner, Abba (1958), Inflationary Depression and the Regulation of Administred Prices. In: Joint Economic Committee (Hrsg.), The Relationship of Prices to Economic Stability and Growth, Compendium of Papers Submitted. Washington (D.C.).

Müller, Norbert (1976), Anspruchsverhalten sozialer Gruppen und Inflation, Köln.

Phillips, Alban W. (1938), The Relation between Unemployment and the Rate of Change of Money Wage Rates in the United Kingdom, 1961-1957. „Economica“, Vol. 25, S. 283-299.

Reuter, Edzard (1994), Strategische Allianzen und konglomerate Zusammenschlüsse. In: Neumann, Manfred (Hrsg.), Unternehmensstrategie und Wettbewerb auf globalen Märkten und Thünen-Vorlesung, Berlin (Duncker und Humboldt).

Rothschild, Kurt (1974), Die Phillips-Kurven-Diskussion. Eine Übersicht, in: Nowotny, Ewald (Hrsg.), Löhne, Preise, Beschäftigung. Die Phillips-Kurve und ihre Alternativen, Frankfurt (Fischer-Athenäum).

Samuelson, Paul/ Solow, Robert (1960), Analytical Aspects of Anti-Inflation Policy. „The American Economic Review”, Vol. 50 (Supplement), S. 177-197.

Smith, Adam (1786), An Inquiry into the Nature and the Causes of the Wealth of Nations, 1. Aufl, 1776, 4. Aufl., 1786. Deutsche Ausgabe nach der 4. Auflage: Eine Untersuchung über Wesen und Ursachen des Volkswohlstandes, 3 Bände, Jena 1923. Ein Neuabdruck dieser Ausgabe erfolgte im A. Achenbach-Verlag, Gießen 1973.

Streißler, Erich (1973), Die schleichende Inflation als Phänomen der politischen Ökonomie, Zürich.