B.VIII. Renaissance der „General Theory“

1. Wiederentdeckung der „General Theory“

Für einige Zeit schien dank des Siegeszuges des Monetarismus, der Angebotsökonomie sowie der „Neuen Klassischen Makroökonomie“ die „General Theory“ von Keynes – auch in der Version ihrer neoklassischen Uminterpretation in der neoklassischen Synthese (s. die Rubrik: Von der neoklassischen Synthese zur AS/AD-Analyse) – in der Theoriediskussion nur noch dogmengeschichtliche Bedeutung zu haben. Diese Einstellung zur Theorie von Keynes änderte sich schlagartig, als 2007 die weltweite Finanzkrise ausbrach und rasch auf die Realwirtschaft durchschlug. Fast in allen Industriestaaten reagierte die Wirtschaftspolitik mit geld- und fiskalpolitischen Maßnahmen zur Stützung der Nachfrage. Dadurch gelang weithin, die negativen Auswirkungen der Finanzkrise in Grenzen zu halten – ganz im Gegensatz zur Weltwirtschaftskrise (siehe Rubrik B.I).

Dieser Erfolg stimmte manche Ökonomen nachdenklich, die vorher nur die Mainstream-Ökonomie ernstnahmen.

Unter Keynesianern dagegen setzten schon in den 1960er Jahren Bemühungen ein, die Theorie von Keynes aus der neoklassischen Umklammerung zu befreien. Diese Bemühungen, die mit dem Namen Clower und Leijonhufvud verknüpft sind, werden in der Rubrik CIV (Befreiung aus der neoklassischen Umklammerung) geschildert. In der Wirtschaftspolitik dominierten Monetarismus und Angebotsökonomie. Dies begann sich in den 1980er Jahren zu ändern, nachdem deren Wirtschaftskonzepte nicht die versprochenen Erfolge gebracht hatte.
Die Bewegung zurück zur Theorie von Keynes begann auf breiter Front in den 1980er Jahren, angeregt durch den 100. Geburtstag von Keynes im Jahr 1983 und die 50. Wiederkehr des Erscheinens der „General Theory“ im Jahre 1986. Zahlreiche Sammelbände beschäftigten sich intensiv mit diesem Werk und seiner aktuellen Relevanz.

Dies zeigt die folgende Aufstellung:

1.1: Sammelbände in deutsch
Zinn, K.G. (Hrsg.): Keynes aus nachkeynesscher Sicht. Zum 50.Erscheinungsjahr der „Allgemeinen Theorie“ von John Maynard Keynes. Wiesbaden (Deutscher Universitäts-Verlag), 1988.
Hagemann, H./Steiger, O. (Hrsg.): Keynes’ General Theory nach fünfzig Jahren. Berlin (Duncker & Humblot), 1988;

Auch das Buch von Christian Jäggi, Die Makroökonomik von Keynes (Berlin etc. Springer, 1986) fällt in diese Phase der Rückbesinnung.

1.2: Sammelbände in englischer Sprache:
Butkiewicz, J./Koford, K.(Hrsg.): Keynes’Economic Legacy. Contemporary Economic Theories. New York etc. (Praeger), 1986;
Eltis,W./Sinclair, P. (Hrsg.): Keynes and Economic Policy: The Relevance of the General Theory after Fifty Years. Basingstoke (Macmillan) 1988;
Hamouda, O./Smithin, J. (Hrsg.): Keynes and Public Policy after Fifty Years. Aldershot (Edward Elgar),Vol. 1 und 2, 1988;
Hillard, J. (Hrsg.): J.M. Keynes in Retrospect. The Legacy of the Keynesian Revolution. Aldershot (Edward Elgar), 1988;
Sinclair, P. (Hrsg.): Prices, Quantities and Expectations: Keynes and Macroeconomics in the Fifty years since the Publication of the General Theory. Oxford etc. (Oxford University Press,Clarendon Press), 1987;
Worswick, D./Trevithick, J. (Hrsg.): Keynes and the Modern World: Proceedings of the Keynes Centenary Conference, King’s College, Cambridge. Cambridge etc. (Cambridge University Press), 1983;
Alle genannten Bände stehen grundsätzlich positiv zur “General Theory”. Eine Ausnahme bildet:
Yeager, L et al (Hrsg.): Keynes’s General Theory Fifty Years on: Its Relevance and Irrelevance to Modern Times. London (Institute of Economics Affairs) 1986.

In diesem von einem betont konservativen Institut herausgegebenen Band steht die angebliche Irrelevanz im Vordergrund. Milton Friedman immerhin nennt in seinem Beitrag die „General Theory“ „a great book“, und betont u.a., Keynes sei ein „Marshallian“, der nicht wie ein Walrasianer ein allgemeines und abstraktes System simultaner Gleichungen errichten wollte, sondern eine einfache, fruchtbare Theorie. Er meint allerdings, Keynes sei durch die Erfahrung widerlegt.

1.3 In der gleichen Zeit hatten im angelsächsischen Sprachraum u.a. Victoria Chick in ihrem Band „Macroeconomics after Keynes. A Reconsideration of the General Theory (Oxford, Philip Alan, 1983) und Peter Howitt in seinem Artikel „The Keynesian Recovery“ (Canadian Journal of Economics, Vol.19, 1986, S.626-641, wiederabgedruckt in Howitt, Peter, The Keynesian Recovery and other Essays. New York etc. (Philip Alan), S. 70-85) weiter daran gearbeitet, die ursprüngliche Lehre von Keynes herauszuarbeiten, von der neoklassischen Uminterpretation zu befreien und dadurch zu einer „Keynesian Recovery“ beizutragen.

2. Fortsetzung der wissenschaftlichen Diskussion in den 1990er Jahren

Auch das nächste Jubiläum (1996 = 60 Jahre „General Theory“) bot wieder Anlass, über die aktuelle Bedeutung der „General Theory“ zu diskutieren und die Ergebnisse in Konferenzbänden zu publizieren. Insbesondere zu nennen ist Sharma, Sumitra (Hrsg.), John Maynard Keynes. Keynesianism into the Twenty-First Century. Cheltenham/Northampton (Edward Elgar) 1998. In diesem Sammelband schreiben 19 Autoren über die Kernideen der „General Theory“ und ihre heutige Relevanz. Den Tenor des Bandes bringt Thirwall durch seinen Beitrag „The Renaissance of Keynesian Economics“ zum Ausdruck.
Hervorzuheben ist auch der relativ kurze Artikel eines der führenden Monetaristen, Allan Meltzer, über „The General Theory after Sixty Years“ (Journal of Post Keynesian Economics. Vol. 19 (1996), S. 35-45). Meltzer nennt als die wichtigsten Einsichten von Keynes die Bedeutung von Unsicherheit und Erwartungen, die Entwicklung von Institutionen, die die Unsicherheit reduzieren, und die zentrale Rolle der Investitionen. Keynes’ Vorschläge zur Konjunktursteuerung hält er demgegenüber für zweitrangig, und er lehnt sie überwiegend ab.
In dieser Zeit wurde auch die tiefschürfende und ausführliche, zwei Bände umfassende, von Harcourt und Riach herausgegebene Auseinandersetzung mit der „General Theory“ unter dem Titel „A Second Edition of the General Theory“ (London & New York, Routledge,1997), publiziert. In diesem Werk legen namhafte Autoren Überlegungen für eine zweite Auflage der „General Theory“ vor. Diese Veröffentlichung wurde durch Äußerungen von Keynes angeregt, er wolle Fußnoten zu seinem Hauptwerk verfassen, wozu er aber nicht mehr kam. Wegen dieser Anknüpfung beziehen sich die meisten Beiträge jeweils auf ein bestimmtes Kapitel der „General Theory“.


3 Wichtige wissenschaftliche Veröffentlichungen im 21. Jahrhundert

3.1. Eine neuere Quelle zur aktuellen Interpretation der Theorie von Keynes bietet der umfangreiche, von John King herausgegebene Band „The Elgar Companion to Post Keynesian Economics“ (Cheltenham Northampton, MA, Edward Elgar, 2003), der zu Keynes und zu seiner Theorie u.a. folgende Stichwörter behandelt:
Treatise on Probability; Keynes’ Treatise on Money; Cambridge Economic Tradition; Say’s Law; Keynes’ General Theory; Effective Demand; Endogenous Money; Employment; Wages and Labour Markets
Dieser Band enthält außerdem Stichwörter zu Varianten des Keynesianismus, die sich bei der Weiterentwicklung dieser Theorie ergeben haben (s. dazu die Rubrik „Weiterentwicklung des Keynesianismus“).

3.2. 2006 erfuhr Keynes die Ehre, in dem von R. Backhouse und B. Bateman herausgegebene Band „The Cambridge Companion to Keynes“ (Cambridge, University Press) gewürdigt zu werden. Dieser Band ist Teil einer langen Reihe von „Companions“, in der vor allem Philosophen von Aristoteles über Kant bis Wittgenstein und Habermas vorgestellt werden, aber auch Naturwissenschaftler (Galilei, Newton) und Sozialwissenschaftler. Von den Nationalökonomen sind bisher nur Adam Smith, John Stuart Mill, Marx und Keynes in diese Reihe aufgenommen worden.
Aus ökonomisch-theoretischer Perspektive ist in diesem Band besonders der Beitrag von Axel Leijonhufvud „Keynes as a Marshallian“ hervorzuheben, in dem die tiefe Verwurzelung von Keynes in der Theorie von Marshall betont und ihre Konsequenzen für die Interpretation von Keynes’ Theorie aufgezeigt werden.

Auch weitere Beiträge zu diesem Band behandeln die „General Theory“ aus jeweils einem bestimmten Blickwinkel: Roger Backhouse: The Keynesian Revolution; David Laidler: Keynes and the Birth of Modern Macroeconomics; Bradley Bateman: Keynes and Keynesiansm. Die übrigen Beiträge beschäftigen sich stärker mit der vielschichtigen Person von Keynes und sind daher als Beiträge zur Biographie von Keynes in der Hauptrubrik „Leben und Werk“ in der Rubrik „Biographien“ genannt.

3.3. Ebenfalls 2006 hat Paul Krugman, der amerikanische Nobelpreisträger und überzeugte Anhänger von Keynes, die „General Theory“ neu herausgegeben und dazu eine mehrseitige Einführung geschrieben. Um Krugmans Überlegungen den Nutzern unserer Website leichter zugänglich zu machen, hat die Keynes-Gesellschaft sie von Frau Dipl.-Vw. Stephanie Schneider übersetzen lassen und die Einleitung hier eingestellt.
In dieser Einleitung – schreibt Krugmann – behandle ich fünf die Allgemeine Theorie betreffende Kernpunkte. Der erste ist die Botschaft des Buches – etwas, das durch das Buch selbst klar sein sollte, aber was oft verschleiert wurde von denen, die ihre Ängste und Hoffnungen auf Keynes projizieren. Der zweite ist die Frage, wie Keynes es geschafft hat: Warum hatte er, wo andere versagt haben, Erfolg dabei, die Welt davon zu überzeugen, ökonomische Ketzerei anzuerkennen? Drittens behandele ich die Frage, wie viel von der Allgemeinen Theorie in der heutigen Makroökonomie noch vorhanden ist: Sind wir nun alle Keynesianer oder haben wir entweder Keynes’ Vermächtnis verdrängt oder, wie einige sagen, verraten? Der vierte ist die Frage, was Keynes misslang und warum. Schließlich werde ich darüber sprechen, wie Keynes die Volkswirtschaftslehre und die Welt veränderte.

Einleitung von Paul Krugman zur Allgemeinen Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes als pdf-Datei – (komplette Druckversion)i_pdf1

Hinzuweisen ist auch auf das von Tom Cate herausgegebene Buch „Keynes General Theory Seventy Years Later“ (Cheltenham, Northhampton MA, Edward Elgar, 2011) mit einem tiefschürfenden Beitrag von Elke Muchlinsky über „Keynes Economic Theory – Judgment under Uncertainty“ sowie auf die ebenfalls von Thomas Cate (zusammen mit Geoff Harcourt und David Colander) 1997 herausgegebene alphabetisch sortierte „Encyclopädia of Keynesian Economics (Cheltenham / Northhampton MA, Edward Elgar) mit rund 200 Einträgen zu ökonomischen Stichwörter und zu den Namen von (überwiegend angelsächsischen) Autoren.

4. Rückkehr zu keynesianischer Wirtschaftspolitik?

Keynes war immer bestrebt, seine wirtschaftspolitischen Vorstellungen in der tatsächlich betriebenen Wirtschaftspolitik zur Geltung zu bringen. Dieses Ziel verfolgen auch die Keynesianer, die überwiegend die ökonomische Theorie nicht als Selbstzweck (l’art pour l’art) betreiben, sondern die helfen wollen, die aktuellen wirtschaftspolitischen Probleme zu lösen. Dies waren in Keynes‘ Augen zuerst die Folgen zu hoher Arbeitslosigkeit, zu anderen Zeiten (der Vollbeschäftigung) aber auch die Inflation, deren negative Folgen Keynes für sehr ungerecht verteilt hielt, weswegen er Inflation missbilligte.
Diesen Drang, auf die wirtschaftspolitische Diskussion und die Wirtschaftspolitik Einfluss zu nehmen, spürten auch viele Ökonomen, die sich auf die Theorie von Keynes stützten und entsprechende wirtschaftspolitische Maßnahmen forderten.

4.1 Wichtige englischsprachige Publizisten:
Zu den wichtigsten Autoren, die eine von Keynes‘ Theorie gestützte Orientierung der Wirtschaftspolitik forderten, gehören im angelsächsischen Raum die Nobelpreisträger James Tobin (1918-2002) und Robert Solow sowie im 21. Jahrhundert insbesondere Paul Krugman sowie Robert Skidelsky. Paul Krugman beeinflusst die öffentliche Diskussion vor allem durch seine regelmäßigen Kolumnen in der Zeitschrift „News Week“ (https://www.newsweek.com/search/site/paul%2520krugman).
Um zu dokumentieren, in welchem geistigen Klima und mit wie viel ideologischen Ballast und Vorurteilen die wirtschaftspolitische Diskussion in den USA geführt wird, zitiere ich den ersten Absatz seiner Einleitung zu der Neuausgabe der „General Theory“.
„Im Frühjahr 2005 wurde ein Gremium von konservativen Wissenschaftlern und führenden Politikern gebeten, die gefährlichsten Bücher des 19ten und 20sten Jahrhunderts zu identifizieren. Sie bekommen eine Vorstellung von den Neigungen des Gremiums durch die Tatsache, dass sowohl Charles Darwin als auch Betty Friedan oben auf der Liste rangierten. Aber die Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes hat es auch sehr weit gebracht. John Maynard Keynes schlägt tatsächlich V.I. Lenin und Frantz Fanon. Keynes, der im oft zitierten Schlusssatz seines Buches erklärte, dass es früher oder später Ideen sind, nicht erworbene Rechte, von denen die Gefahr kommt, sei es zum Guten oder zum Bösen, würde vermutlich erfreut gewesen sein.“
Als zweiter wichtiger Kämpfer für eine keynesianische Orientierung der Wirtschaftspolitik ist Robert Skidelsky zu nennen, ein britischer Wirtschaftshistoriker, der sich zuerst als Autor der voluminösen, dreibändigen Biographie von Keynes hervorgetan hat (siehe die Rubrik „Biographien“ in der Hauptrubrik „Keynes Leben und Werk“).
Anschließend engagiert sich Skidelsky in vielen Vorträgen und Veröffentlichungen für die Umsetzung der theoretischen Einsichten von Keynes in die praktische Wirtschaftspolitik. Zu nennen ist hier vor allem sein Buch mit dem programmatischen Titel „Die Rückkehr des Meisters. Keynes für das 21. Jahrhundert“. München (Kunstmann) 2010. Englischer Originaltitel: „The Return of the Master“ (New York Perseus Books, 2010) sowie sein Artikel “The Relevance of Keynes” im Cambridge Journal of Economics (Vol. 35, 2011, S. 1-13).
Einen Anspruch auf Wirkung in die wirtschaftspolitische Debatte hinein hat auch das von Backhouse, Roger / Batman, Bradley veröffentlichte schmale Buch „Capitalist Revolutionary. John Maynard Keynes.“ (Cambridge, Mass; London (Harvard University Press) 2011. Die Autoren bezeichnen Keynes als „revolutionären Kapitalisten“ und beleuchten auf 185 Seiten die vielen Seiten der Keynesschen Revolution und kritisieren, dass diese besonders in den USA offenbar weithin auf die Forderung nach aktiver Fiskalpolitik reduziert wird, unter Vernachlässigung anderer Aspekte seines vielschichtigen Hauptwerks.
Eine ausführliche und sehr positive Besprechung des Buches durch Elke Muchlinski (Mitglied der Keynes-Gesellschaft) finden Sie unter Linkout2https://www.springerlink.com/content/81612528u225604u/?MUD=MP“. Dieser positiven Beurteilung ist weitgehend zuzustimmen. Eine Aussage des Buches auf S. 137, wonach Keynes in seinen letzten Jahren erklärt habe, er befürworte staatliche Haushaltsdefizite nicht, ist allerdings allzu verkürzt; denn Keynes forderte in Krisenzeiten zusätzliche kreditfinanzierte öffentliche Ausgaben, allerdings wollte er damit auch halbstaatliche Organisationen beauftragen, deren Neuverschuldung dann außerhalb des staatlichen Budgets verblieben wäre.
Bei James Tobin ist besonders hervorzuheben, dass er sich energisch gegen die seit den 1990ern Jahren sehr erfolgreiche erneute Uminterpretation des Adjektivs „keynesianisch“ durch die „Neue keynesianische Ökonomie“ (New Keynesian Economics“) zur Wehr setzt (siehe zu dieser Theorierichtung den Abschnitt E.I.3 in der Rubrik „Strömungen des Keynesianismus“). Seine prägnantesten Ausführungen dazu finden sich in seinem Artikel „Price Flexibility and Output Stability: An Old Keynesian View“ im „Journal of Economic Perspectives“, Vol. 7 (1993), S. 45-65: Robert Solow setzt sich seit Langem dafür ein, die Beschränkung der makroökonomischen Analyse auf die Angebotsseite zu überwinden. Solow ist der Begründer der neoklassischen Wachstumstheorie (Solow, 1956), und er hat später mehrfach bedauert, damals selbst diesen Fehler gemacht zu haben. Für deutsche Leser sei zu diesem Thema auf Solows Beitrag „Die Beschränkung der makroökonomischen Diskussion überwinden“ in dem von Ronald Schettkat und Jochen Langkau herausgegeben Sammelband „Aufschwung für Deutschland (Bonn, Dietz, 2007) hingewiesen, in dem auch andere international renommierte Ökonomen für eine bessere Wirtschaftspolitik in Deutschland plädieren.
Die große Bedeutung von Keynes für die makroökonomische Theorie und Politik betont auch Peter Clarke in seinem 2009 erschienen Buch „Keynes. The 20th Century Most Influential Economist.“ (London / Berlin / New York, Bloomsbury, 2009). Clarkes Beschreibung des Lebens und Werkes von Keynes bricht allerdings 1936 ab und springt dann in die Nachkriegszeit und diskutiert und diskutiert dort z.B. die Möglichkeit, die Staatsschuldenquote durch Wachstum und Inflation zu verringern.
Einen Hinweise verdient auch das von Paul Davidson herausgegebene „Journal of Post-Keynesian Economics“, das besonders die postkeynesianische Sichtweise (siehe dazu die Unterrubrik E.I. 2 in der Rubrik „Strömungen des Keynesianismus“) vertritt. Aus einer der von diesem Journal mitfinanzierten Konferenzen ging der von M. Forstater und Randall Wray herausgegebene Band „Keynes for the Twenty-First. Century The Continuing Relevance of the General Theory“ (New York, Basingstoke, Palgrave Macmillan) hervor.

4.2 Keynesianische Wirtschaftspolitik für Deutschland
In Deutschland wird eine auf Keynes‘ Theorie gestützte Wirtschaftspolitik von einzelnen Autoren und von mehreren Institutionen gefordert. Zu nennen sind vor allem:

Das von Gustav Horn geleitete „Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung“ im Rahmen der Hans-Böckler-Stiftung. Dieses Institut veröffentlicht fortlaufend IMK Reports, Working Paper, Policy Briefe und Studies Linkout2https://www.boeckler.de/index_imk.htm.

Die Abteilung „Wirtschafts- und Sozialpolitik“ der Friedrich-Ebert-Stiftung. Auch sie veröffentlicht regelmäßig die Reihen WISO direkt“ und „WISO Diskurs Linkout2https://www.fes.de/wiso/content/publikationen.php.

Der bei der Friedrich-Ebert-Stiftung angebundene „Kocheler Kreis für Wirtschaftspolitik“ organisiert 2x jährlich Tagungen, in denen Wirtschaftstheoretiker und Wirtschaftspolitiker miteinander diskutieren.

Die Keynes-Gesellschaft, die mit ihrem jährlichen Preis für Publizistik Journalisten auszeichnet, die für ihre Analyse (auch keynesianische) Überlegungen und Einsichten einbezieht.

Neuerdings finden in den DIW-Wochenberichten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) keynesianisch inspirierte Kreislaufzusammenhänge wieder Beachtung (siehe z.B. den Wochenbericht 26/2013 vom 24.6.2013 mit dem Titel „Investitionen für mehr Wachstum – Eine Zukunftsagenda für Deutschland“. Dort wird festgestellt (S. 18): Die große Schwäche Deutschlands und die fehlenden Investitionen“ und „Deutschland ist über die letzten 15 Jahre nur sehr mäßig gewachsen“, begleitet von einer „sehr enttäuschenden Lohnentwicklung“.

Eine wichtige Rolle in der wirtschaftswissenschaftlichen Diskussion in Deutschland und auch im Ausland spielen die Vorträge und Diskussionen auf den alljährlichen Tagungen des „Forschungsnetzwerks Macroeconomics and Macroeconomic Policy“ (FMM). Die interessantesten Vorträge werden jedes Jahr in englischer Sprache veröffentlicht. Nähere Informationen findet man unter

Linkout2https://www.boeckler.de/index_netzwerk-makrooekonomie.htm
Insbesondere zwei Einzelpersonen versuchen, in Deutschland den Kreislaufzusammenhängen wieder Gehör zu verschaffen:

Heiner Flassbeck, bis vor kurzem in der United Nations Conference of Trade and Development (UNCTAD) und vorher beim DIW tätig, schreibt fast täglich in seinem Blog “Flassbeck-Economics”

Linkout2https://www.flassbeck-economics.de/.

Peter Bofinger hat 10 Jahre lang (2004 bis 2013) mit seinen Minderheitsvoten gegen die neoklassischen, angebotsorientierten Analysen und wirtschaftspolitischen Empfehlungen der Mehrheit des Sachverständigenrats argumentiert und damit wertvolle Hilfestellungen für die wirtschaftspolitische Diskussion geleistet.
Thomas Fricke, bis 2013 Chefredakteur für Wirtschaft bei der „Financial Times Deutschland“, schreibt einen Blog „Wirtschaftswunder Linkout2https://neuewirtschaftswunder.de/.

4.3 Zur Dominanz zweier neoklassischer Vorstellungen in der deutschen Wirtschaftspolitik
Trotz aller dieser und weiterer Bemühungen ist die deutsche Wirtschaftspolitik – abgesehen von der kurzen Phase nach dem Ausbruch der Finanzkrise 2007/2008 – von Vorstellungen geprägt, die der Neoklassik entsprechen, aber häufig auf simplen Vorurteilen beruhen und nicht zwischen dem trennen, was einzelwirtschaftlich vorteilhaft ist, und dem, was die gesamtwirtschaftlichen Zusammenhänge gebieten. An zwei heftig diskutierten gesamtwirtschaftlichen Problemen sei dies diskutiert, nämlich der Schuldenaufnahme des Staates und den Folgen von Leistungsbilanzüberschüssen. Die Bewertung der Staatsverschuldung basiert häufig auf dem von prominenter Seite der „schwäbischen Hausfrau“ zugeschriebenen Spruchweisheit, derzufolge ein Haushalt auf Dauer nicht mehr ausgeben könne, als er einnimmt. Diese Weisheit wird dann auch auf den Staatshaushalt übertragen – wohl, weil er auch als Haushalt (statt Budget) bezeichnet wird. Schon einzelwirtschaftlich trifft dieser „weise“ Spruch als Ist-Aussage nicht zu; denn manche Leute hinterlassen bei ihrem Tod Schulden. Wohl aber ist er als normative, also als Soll-Aussage, geeignet.
Wenn man jedoch diese Norm auch auf den Staatshaushalt bezieht, kommen die Kreislaufzusammenhänge störend ins Spiel. Wenn nämlich die privaten Haushalte insgesamt sparen, d.h. weniger ausgeben, als sie durch Erwerbsarbeit als Einkommen erzielt haben, dann muss sich ein anderer Akteur verschulden, um die produzierten, aber nicht von den Privathaushalten nachgefragten Gütern zu kaufen. Andernfalls gehen Produktion und Beschäftigung zurück.
Als Schuldner kommen vor allem die privaten Unternehmen infrage, die ihre Investitionen zum Teil mithilfe von Krediten finanzieren. Investieren die Unternehmen weniger, als die Privathaushalte sparen, müssen sich der Staat oder das Ausland verschulden, damit die Volkswirtschaft nicht schrumpft. Die „Schuldenmacher“ haben also eine positive Funktion: Staatsschulden können notwendig und hilfreich sein. Sie stellen zudem kein Problem dar, solange die Besitzer von Geldvermögen bereit sind, dem Staat Kredite zu gewähren, weil sie auf die Rückzahlung ihrer Kredite vertrauen.
Auch die Schulden, die das Ausland bei uns aufnimmt, um mehr inländische Güter zu kaufen, als es selbst an das Inland verkauft, stützen die inländische Produktion und Beschäftigung. Diese sind nicht immer ein Zeichen hoher Wettbewerbsfähigkeit, sondern können darauf beruhen, dass vom Inland wegen seiner schwachen wirtschaftlichen Entwicklung mäßig importiert wird. Dies führt dann zu Leistungsbilanzüberschüssen des Inlands und scheinen eine positive Entwicklung darzustellen.
Dem Überschuss des Inlands stehen allerdings die Leistungsbilanzdefizite des Auslands gegenüber. Durch diese fließt Nachfrage ins Inland, die dann im Ausland fehlt, soweit sich dort nicht die privaten Haushalte, die privaten Unternehmen oder der Staat kräftig verschuldeten. Ist dies nicht der Fall, schrumpft die Wirtschaft im Ausland, was auf die Exporte des Inlands zurückschlägt. Dies ist die negative Lösung des „Problems“ der Leistungsbilanzüberschüsse, die Inland und Ausland schadet. Eine positive Lösung bestünde darin, dass im Inland privat oder öffentlich mehr investiert wird, sodass die Einkommen – und die Nachfrage – und damit auch die Nachfrage nach ausländischen Gütern steigt. Dies würde dem Inland und dem Ausland nützen.

4.4 Lichtblicke auf europäischer Ebene
Obwohl die deutsche Regierung es zu verhindern versucht, werden auf europäischer Ebene die Kreislaufzusammenhänge nicht überall verdrängt. So werden jetzt Leistungsbilanzüberschüsse immerhin dann als Problem benannt, wenn sie 6% des BIP des betreffenden Mitgliedsstaats übersteigen. Selbst diese hohe Schwelle ist der deutschen Regierung und vielen Wirtschaftspolitikern ein Dorn im Auge und stößt bei vielen neoliberal und/oder neoklassisch orientierten Journalisten auf Unverständnis und Widerstand.
Auch von der Europäischen Zentralbank sind ermutigende Töne zu hören. So hat Lorenzo Bini Smaghi, das italienische Mitglied des Direktoriums der EZB, in seinem Vortrag „Slaves of Defunct Ecnomists“ in der UniversitätsPavia am 24.02.2010 geschrieben: „To make sure that Keynes is back for good, and will not be returned to the shelves when the crisis is over, we need to fully understand the breadth of his analysis, in particular the role played by uncertainty in shaping economic outcomes. I would like to make a contribution here by reviewing a few key aspects of his analytical work regarding the importance of uncertainty, the role of government intervention and the effectiveness of stabilization policies.”(s. im Internet Linkout2https://www.ecb.europa.eu/press/key/date/2010/html/sp100224.en.html )