Keynes
Gesellschaft

C.IV. Befreiung aus der neoklassischen Umklammerung

Die Uminterpretation der Theorie von Keynes durch Patinkins Formulierung des Realkasseneffekts und durch die neoklassische Synthese unterstützte erfolgreich die Vorstellung, Keynes sei nur durch die Annahme rigider Löhne und Preise zu Ergebnissen gelangt, die von der neoklassischen Theorie und ihrer reinsten Ausprägung, der Allgemeinen Gleichgewichtstheorie, abweichen. Lasse man diese Annahme weg, gelte die neoklassische Theorie; Keynes’ Theorie dagegen sei nur für einen Spezialfall gültig. Diese Vereinnahmung verstärkte die Neigung vieler Ökonomen, die wirtschaftliche Realität stets aus dem Blickwinkel der neoklassischen Allgemeinen Gleichgewichtstheorie zu interpretieren.

1. Divergierende mikroökonomische Grundsätze: Marshall und Walras

Die Rückbesinnung auf Keynes erfordert es daher, die Unterschiede zwischen Marshalls partialanalytischer Prozessanalyse als theoretischer Grundlage von Keynes und dem Walrasianischen Totalmodell herauszuarbeiten, auf dem die Neoklassik aufbaut. Den ersten wichtigen Schritt dazu vollzog Clower (1963) mit seiner dualen Entscheidungshypothese.

Die duale Entscheidungshypothese von Clower (1963) besagt: Die privaten Haushalte gehen bei ihren Nachfrageentscheidungen in zwei Schritten vor: Auf einer ersten Stufe ermitteln sie ihre gewünschte Nachfrage nach Gütern und ihr Angebot an Arbeit in neoklassischer Weise, nämlich unter der Annahme, sie könnten dank vollständiger Konkurrenz und Vollbeschäftigung zu den herrschenden Preisen bzw. Löhnen alle gewünschten Güter nachfragen sowie das von ihnen gewünschte Arbeitsangebot und das dazugehörige Einkommen realisieren.

Auf der zweiten Stufe treffen die einzelnen Haushalte in einer partialanalytischen Betrachtungsweise ihre Nachfrageentscheidungen aufgrund ihres tatsächlichen Einkommens, das sich auf dem Arbeitsmarkt aufgrund der dort herrschenden Gegebenheiten bestimmt. Dieses Einkommen weicht von dem gewünschten Einkommen immer dann ab, wenn die Haushalte bei den gegebenen Löhnen nicht so viele Stunden arbeiten können, wie sie möchten, wenn also unfreiwillige Arbeitslosigkeit besteht. Die Betrachtung ist partialanalytisch, weil die Haushalte nicht berücksichtigen (können), wie die Summe der einzelnen Entscheidungen im Zuge eines gesamtwirtschaftlichen Kreislaufprozesses auf die realisierbaren Einkommen zurückwirkt.

Mit seiner dualen Entscheidungshypothese ist es Clower gelungen, einen entscheidenden Unterschied zwischen der Theorie von Keynes und der neoklassischen Theorie herauszuarbeiten: Für Keynes hängt die Konsumgüternachfrage der Haushalte in einer Periode von ihrem tatsächlichen Einkommen ab; die Neoklassiker gehen dagegen immer davon aus, dass auf allen Märkten, so auch auf dem Arbeitsmarkt, durch flexible Preise Angebot und Nachfrage bereits ausgeglichen worden sind, so dass jeder Haushalt sein beim erreichten Gleichgewichtslohn geplantes Arbeitsangebot auch realisieren kann. Genau diese Annahme verwirft Keynes; er zeigt, dass in vielen Fällen die Kreislaufzusammenhänge Arbeitsangebot und Arbeitsnachfrage nicht in Übereinstimmung bringen, auch nicht bei flexiblen Preisen und Löhnen. Die neoklassische Theorie befasst sich folglich nur mit einem Spezialfall, nämlich der Idealwelt vollbeschäftigter Ressourcen.

Bei Keynes (1936) findet man die duale Entscheidungshypothese nicht, weil er von Anfang an in der Tradition seines akademischen Lehrers Alfred Marshall (1842-1924) allein die zweite Stufe betrachtete, in der die Unternehmen auf dem Gütermarkt und die Arbeiter auf dem Arbeitsmarkt bei den herrschenden Preisen und Löhnen üblicherweise (d.h. unterhalb des Grenzfalls vollbeschäftigter Ressourcen) einer begrenzten Nachfrage gegenüber stehen.

2. Zurück zu Marshalls Mikroökonomie

Diese Diskussion wird in dem damals viel beachteten Buch von Leijonhufvud (1968) weiter vertieft. Es weist in seinem Titel „Keynesian Economics and the Economics of Keynes“ auf die Diskrepanz zwischen der Theorie von Keynes und dem, was inzwischen als keynesianische Theorie firmierte und in den meisten Lehrbüchern offeriert wurde, hin (einen kurzen Überblick über seine Thesen gibt Leijonhufvud, 1967). Auch Leijonhufvud betont die unterschiedliche mikrotheoretische Fundierung der Theorie von Keynes, die auf der Analyse seines akademischen Lehrers Alfred Marshall basierte, und der auf Walras basierten Allgemeinen Gleichgewichtstheorie.

Um das Verhalten der Unternehmen unter diesen Umständen zu analysieren, unterscheidet Marshall (1920, S. 363f, s. auch Lekachman, 1959, S. 271ff) drei Zeitperioden und drei dazugehörende Preisarten: Die Marktpreise bilden sich in der ultrakurzen Periode, in der die Bestände der angebotenen Waren gegeben sind (Beispiel: Frischfisch) und in der die Anbieter versuchen, ihr gesamtes Angebot zu verkaufen. Die „normalen Preise“ bilden sich in der kurzen Periode („short run“) durch Anpassung des Angebots (der Produktion) an die Nachfrage bei gegebenen Produktionsanlagen und Arbeitskräftebestand (nach Menge und Qualität). In der „langen Periode“ von mehreren Jahren schließlich, in denen Produktionskapazitäten und Produktionskosten durch Veränderungen beim Sachkapitalbestand und bei den Arbeitskräften angepasst werden können, bilden sich die „long run normal prices“. Dabei spielen Kostenverläufe aufgrund der Vorteile der Massenproduktion (economies of scale) eine wichtige Rolle.

In modernen Industriegesellschaften haben Märkte für Waren, deren angebotene Bestände von den Anbietern am selben Tag verkauft werden (müssen), nur geringe Bedeutung; denn diese Notwendigkeit besteht nur für rasch verderbliche, nicht lagerfähige Produkte (Frischfisch, frisches Gemüse, Blumen etc.). Daher verzichtet Keynes auf die Betrachtung der ultrakurzen Periode und konzentriert seine Analyse auf den „short run“. Dies ist keine vage Angabe über den betrachteten Zeithorizont, sondern eine inhaltliche präzise Aussage über die betrachtete Situation und die dazu gehörenden Verhaltensweisen der Anbieter. Auf die Analyse der „langen Periode“, die den Hauptgegenstand der neoklassischen Theorie bildet, verzichtet Keynes, wenn es um die aktuellen Probleme der Beschäftigung bzw. Arbeitslo-sigkeit geht. Mit seinem Diktum „in the long run we all are dead“ hat er dieser Präferenz drastisch Ausdruck verliehen.

In der kurzen Periode sind die Anbieter in den Absatzmengen beschränkt. Sie handeln also „in the short run“ unter dem Eindruck, dass sie zu den von ihnen geplanten „normalen Preisen“, welche die Stückkosten decken und einen normalen Profit ermöglichen, nur eine begrenzte Menge absetzen können. Über die Höhe des möglichen Absatzes bilden sie Erwartungen, und aufgrund dieser Erwartungen legen sie die Höhe ihrer Produktion fest. Die Produktion wird mithin an die effektive, nämlich die erwartete mengenmäßige Nachfrage angepasst.

Wenn die Grenzkosten mit steigender Menge zunehmen, erhöht sich auch der „normale Preis“. In diesem Umfang wird das Angebot auch durch Preisänderungen an die Nachfrage angepasst. Im Wesentlichen aber erfolgt der Ausgleich von Angebot und Nachfrage auf den Gütermärkten durch Anpassung der Produktion an die Nachfrage (Produktion auf Lager oder Lieferungen vom Lager könnten als Puffer einbezogen werden, was aber keine grundsätzliche Modifikation bedeuten würde); denn Mengen reagieren schneller als Preise, was Ramser (1981, S. 37) „zu den allgemein akzeptierten stilisierten Fakten des ökonomischen Prozesses“ zählt.

Es ist daher falsch zu behaupten, bei Keynes werde der Gütermarkt durch vollkommen flexible Preise geräumt. Eine solche Aussage verkennt die nahe liegende und mehrfach insbesondere von Clower (1975); Patinkin (1976) und immer wieder von Leijonhufvud (zuletzt 2006) hervorgehobene Verankerung der Theorie von Keynes in der Marshallschen Tradition. Nur auf dem Geldmarkt, wo Kurse und Zinssätze sehr flexibel sind, erfolgt dieser Ausgleich durch Preisvariationen.

Da auf dem Arbeitsmarkt die Anbieter (die Arbeitnehmer) überwiegend ihre Angebotsmenge nicht reduzieren können (die meisten von ihnen müssen arbeiten, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen, und die Normalarbeitszeit ist vertraglich vorgegeben), entsteht – falls die Nachfrage nach Arbeit sinkt – Arbeitslosigkeit.

Marschalls Partialanalyse lässt die Frage offen, wie die Entscheidungen auf den einzelnen Teilmärkten koordiniert und miteinander in Übereinstimmung gebracht wurden. Für seine gesamtwirtschaftliche Analyse schloss Keynes diese Lücke, indem er die aus ihnen resultierenden gesamtwirtschaftlichen Kreislaufströme heranzog und untersuchte, ob diese auf die einzelwirtschaftlichen Entscheidungen so zurückwirken, dass schließlich ein gesamtwirtschaftliches Gleichgewicht erreicht wird. Diese zentrale Frage nach der Art und Weise der Koordinierung haben Clower/Leijonhufvud (1975) sowie Leijonhufvud (1981) in den Vordergrund gerückt; denn die Allgemeine Gleichgewichtstheorie hat für diese Frage nur scheinbar eine Lösung gefunden.

3. Die Lösung des Koordinationsproblems in der Allgemeinen Gleichgewichtstheorie ist rein fiktiv

Die Allgemeine Gleichgewichtstheorie geht auf das mikroökonomische Totalmodell von Walras (1874) zurück, in dem durch vollkommen flexible Preise und Löhne bei vollständiger Konkurrenz auf allen Märkten Abweichungen zwischen Angebot und Nachfrage rasch geschlossen werden. Dabei ist jeder Anbieter so klein, dass er auf den Marktpreis keinen Einfluss nehmen und bei dem herrschenden Marktpreis jede von ihm produzierte Menge verkaufen kann. Er handelt also als Mengenanpasser und dehnt, da er mit steigenden Grenzkosten produziert, seine Produktion so weit aus, bis seine Grenzkosten die Höhe des Marktpreises erreicht haben.

In dieser Ökonomie von Mengenanpassern bleibt allerdings ein zentrales Problem ungelöst: Wie bilden sich die Preise, wenn alle Unternehmen und Konsumenten Preisnehmer sind? Walras meint dazu, die Preise bildeten sich durch Herantasten (Tâtonnement) an den Gleichgewichtspreis. Er sagt aber nicht, wer diese tastenden Schritte vornimmt, noch berücksichtigt er, dass Herantasten Zeit erfordert. Vielmehr nimmt er vereinfachend an, die Anpassungen erfolgten so rasch, dass die tatsächlichen Transaktionen erst vorgenommen werden, wenn sich der markträumende Gleichgewichtspreis herausgebildet hat. Diese Annahme hat den Vorteil, dass die Theorie sich auf die Gleichgewichtssituation beschränken kann.

Die auf Walras aufbauende moderne „Allgemeine Gleichgewichtstheorie“, die vor allem von Arrow/Debreu (1954) formuliert worden ist, hat dann aber gezeigt, dass diese Ergebnisse an einschränkendere Bedingungen geknüpft sind, als Walras meinte. Insbesondere setzt die Ermittlung von Gleichgewichtspreisen für alle Märkte vollständige Information voraus, und zwar entweder bei allen Akteuren oder bei einem zentralen Preisermittler, dem Auktionator. Letzterer würde in Analogie zu dem Auktionator an der Börse handeln. So wie dieser aus Angebot und Nachfrage täglich den Gleichgewichtskurs für jedes Wertpapier ermittelt, so soll der Walras-Auktionator die Gleichgewichtspreise sämtlicher Güter ermitteln. Dazu erhält er von allen Anbietern und Nachfragern ihre Angebots- bzw. Nachfragekurven mitgeteilt.

Dabei genügt es nicht, wenn jeder Nachfrager (privater Haushalt) für jedes Gut eine Nachfragekurve mitteilt; denn jeder Haushalt ist zugleich Anbieter auf dem Arbeitsmarkt. Je nachdem, welches Einkommen sich für ihn auf dem Arbeitsmarkt auf der von ihm gemeldeten Arbeitsangebotskurve ergibt, liegen die Nachfragekurven nach den einzelnen Gütern auf einem unterschiedlichen Niveau. Jeder Haushalt muss also eine Schar von Nachfragekurven für alle alternativen Kombinationen von Lohnsatz und Arbeitseinsatz auf seiner Angebotskurve angeben. Dadurch erhält der Auktionator die Information, welche Gütermengen der Haushalt bei welcher Lohnsumme zu kaufen bereit ist. Der weiter vorne behandelte Clower (1963) hat diese Nachfrageschemata als hypothetische Nachfrage bezeichnet.

Da es den Auktionator nur an der Börse gibt, haben die Vertreter der Allgemeinen Gleichgewichtstheorie nach anderen Institutionen gesucht, die die Gleichgewichtspreise ermitteln könnten. Das Ergebnis dieser Überlegungen ist: Es müsste eine vollständige Menge „kontingenter Zukunftsmärkte“ geben; das sind Märkte, auf denen bedingte Geschäfte mit zukünftiger Wirksamkeit abgeschlossen werden (ein Beispiel dafür sind die Devisentermingeschäfte mit gleichzeitigem Gegengeschäft). Auch solche Märkte gibt es in der Realität nur vereinzelt.

Daher kann die Allgemeine Gleichgewichtstheorie keine Aussagen über die Realität machen, sondern nur als Referenzsystem interpretiert werden. Arrow/Hahn (1971, S. VI/VII) beantworten in ihrem Standardwerk zu dieser Theorie die Frage, „whether this enquiry into an economy, apparently so abstracted from the world, is worthwhile“, so: Man könne aus der Frage, ob die Realität so aussehen könnte, viel darüber lernen, weshalb dies nicht der Fall sein dürfte. Mit anderen Worten hat die Allgemeine Gleichgewichtstheorie lediglich die logische Möglichkeit eines walrasianischen Systems aufgezeigt: „Nothing whatever has been said of whether it is possible to describe any actual economy in these terms.“ (Hahn, 1981, S. 4).

Clower (1975, S. 93) drückt dies noch drastischer aus: „Genau genommen handelt es sich bei der neo-walrasianischen Theorie lediglich um die Beschreibung einer Märchenwelt hypothetischer („notional“) wirtschaftlicher Aktivitäten, die nicht die geringste Ähnlichkeit mit einer der Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft angehörenden Ökonomie besitzt. Sie ist unverfälschte und reine Science Fiction, elegant und raffiniert, darüber besteht kein Zweifel, aber dennoch Science Fiction.“

Bedenklicherweise wird diese Begrenzung  jedoch nicht von allen Vertretern der Allgemeinen Gleichgewichtstheorie beachtet. So schreiben Hildenbrand/Kirman (1976, S. 27), die Ergebnisse der Allgemeinen Gleichgewichtstheorie seien für sehr große Volkswirtschaften „almost true“. Als Argument für ihre behauptete Gültigkeit wird dann zuweilen angeführt, die Wirtschaftssubjekte verhielten sich eben so, als ob es einen Auktionator gäbe. Für diese Hypothese wird aber weder eine Erklärung geliefert, weshalb die Wirtschaftssubjekte sich so verhalten, noch gibt es dafür einen empirischen Beleg. Außerdem fragt man sich vergeblich, wie die Wirtschaftssubjekte sich überhaupt in dieser Weise verhalten können, wenn der Auktionator, der ihre Entscheidungen erst koordinieren soll, gar nicht existiert.

Die neoklassische Verfälschung der Theorie von Keynes beschreibt und kritisiert u.a. Geoff Tily (2010) in seinem Buch „Keynes Betrayed“. Es handelt sich dabei um die 2. Auflage von G. Tily (2007) mit dem nüchternen Titel „Keynes‘ General Theory, the Rate of Interest and Keynesian Economics.“

4. Interpretationen der Theorie von Keynes

Noch während im Anschluss an Clower und Leijonhufvud die vorher verwischte Trennungslinie zwischen Keynes und neoklassischer Theorie wieder schärfer gezogen wurde und die Keynes’sche Theorie aus der neoklassischen Umklammerung befreit werden sollte, begann eine neue, sehr wirksame Attacke gegen den Keynesianismus, nämlich die „monetaristische Gegenrevolution“ (s. die Rubrik D „Keynes und Friedman“).

Die Erfahrung der erfolgreichen monetaristischen Gegenrevolution verstärkte die Diskussion darüber, was den Keynesianismus eigentlich auszeichne und wie die einzelnen Strömungen innerhalb dieser Theorie voneinander abzugrenzen und zu bewerten seien. Stark beachtet wurde seinerzeit der Artikel von Coddington (1976) über „Keynesian Economics“, in dem dieser drei Ausrichtungen des Keynesianismus unterscheidet: Erstens den „hydraulischen“ Keynesianismus, der auf dem IS/LM-Modell aufbaut, für den die Kreislaufströme wie in einem Wasserkreislauf weitgehend vorhersagbar und steuerbar sind und in dem die für Keynes so wichtige Unsicherheit der Zukunft und Instabilität der Erwartungen genauso wie in der neoklassischen Synthese keine Rolle mehr spielen. Demgegenüber steht zweitens der fundamentalistische Ansatz, bei dem die Unsicherheit und die Schwankungsanfälligkeit der Erwartungen kaum Prognosen und Steuerung zulassen. Als dritten Ansatz nennt Coddington den Versuch von Clower und Leijonhufvud, zwischen diesen Extremen zu Keynes zurückzufinden.

Im deutschen Sprachraum ist das sechsbändige Keynesianismus-Projekt von Bombach u.a. (1976ff) hervorzuheben. Im ersten Band insbesondere gelang es im Beitrag von Landmann über „Keynes in der heutigen Wirtschaftstheorie“, die Lehre von Keynes aus der Umklammerung durch die neoklassische Synthese zu befreien, in die sie durch die Verknüpfung des Keynes’schen Güter- und Geldmarkts mit einem neoklassischen Arbeitsmarkt geraten war. Die Bände II, III und IV dokumentieren und kommentieren die beschäftigungspolitische Diskussion in Deutschland vor Keynes, zur Zeit von Keynes und in der Wachstumsepoche der Bundesrepublik Deutschland. Band V (erschienen 1984) behandelt „ Perspektiven einer Neuformulierung der makroökonomischen Theorie“ sowie „Löhne, Preise, Einkommen und Beschäftigung in einer offenen Volkswirtschaft“. Band VI (1997) schließlich erörtert den Einfluss keynesianischen Denkens auf die Wachstumstheorie.

Zur gleichen Zeit begannen einzelne Autoren, die Lehren der zunächst siegreichen monetaristischen Gegenrevolution anzuzweifeln. Am raschesten erfolgreich war die Gegenwehr gegen die Variante des Monetarismus, in der behauptet wird, dank rationaler Erwartungen würde die Inflationsbekämpfung selbst kurzfristig keine negativen realen Auswirkungen haben. Die tatsächliche Entwicklung sprach eine andere Sprache. So stellte R. Gordon (1981, S. 506) zu dieser These fest:

„This … revolution dominated macroeconomic discussions in the late 1970s … But by the end of the decade it became apparent that the revolution had misfired, and doubts began to appear even in survey articles by adherents of the new framework.”

Auch die “Neue klassische Makroökonomie”, in der sich Monetarismus und die Theorie temporärer Gleichgewichte bei vollständiger Konkurrenz verbanden, geriet unter Beschuss und wurde z.B. von W. Buiter (1980) als „The Macroeconomics of Dr. Pangloss“ kritisiert. Etwas später kritisierte Blinder die von Lucas gelegten theoretischen Grundlagen dieser neuen Makroökonomie und stellte fest: „When Professor Lucas changed the answers given by Mr. Keynes, he was mostly turning better answers into worse ones“ (Blinder, 1987, S. 136; siehe auch Blinder, 1988).

Im nächsten Jahrzehnt boten der 100. Geburtstag von Keynes im Jahr 1983 und die 50. Wiederkehr des Erscheinens der „General Theory“ 1986 Anlass, sich intensiv mit diesem Werk und seiner aktuellen Relevanz zu beschäftigen. Diese Renaissance der Keynes’schen Theorie wird in der Rubrik B.VII (Renaissance der „General Theory“) behandelt.

Literatur:

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