A.III.7. The Long-Term Problem of Full Employment (1943) (CW, Vol. 27, S. 320-325)
Deutsch in: Reuter, Norbert (2007):
Wachstumseuphorie und Verteilungsneutralität wirtschaftspolitischer Leitbilder zwischen gestern und morgen, 2. Auflage, Marburg (Metropolis), S. 139-144.
Dieses kurze, interne Memorandum verfasste Keynes 1943 für die interne Diskussion im Schatzamt (Finanzministerium). Leider ist es erst 1980 im Band 27 seiner „Collected Writings“ veröffentlicht worden. In ihm wird deutlich, dass die Theorie von Keynes nicht auf die Analyse konjunkturbedingter Arbeitslosigkeit beschränkt ist. Vielmehr kann diese eine Dauererscheinung werden, wenn der Mangel an Güternachfrage – relativ zu der Nachfrage, die für eine hohe Beschäftigung der vorhandenen Arbeitskräfte notwendig wäre – dauerhaft ist. Die Notiz macht deutlich, dass es für Keynes nicht nur konjunkturbedingten, sondern auch dauerhaften Mangel an Güternachfrage und eine entsprechende Nachfragemangel-bedingte Arbeitslosigkeit geben kann. Keynes erwartete gemäß diesen Memorandums nach dem Ende des 2. Weltkriegs eine Entwicklung in drei Phasen:
In der ersten Phase sei mit einer hohen Investitionsneigung zu rechnen. Ohne Rationierung und andere Kontrollmaßnahmen entstünde daraus ein Investitionsvolumen, das die Ersparnis bei Vollbeschäftigung überstiege.
In der zweiten Phase werde der dringendste Investitionsbedarf gedeckt sein, aber es werde noch gelingen, durch Maßnahmen der Investitionsförderung oder -dämpfung das Investitionsvolumen auf Höhe der Ersparnis bei Vollbeschäftigung zu halten.
In der dritten Phase werde es dann nicht mehr gelingen, ohne Rückgriff auf „wasteful and unnecessary“ Projekte Investitionen in dieser Höhe zu erzielen. Dann werde es nötig sein, „to encourage wise consumption and discourage saving, and to absorb some part of the unwanted surplus by increased leisure, more holidays (which are a wonderful good way of getting rid of money) and shorter hours“ (1943, S. 323).
Keynes vermutete, die ersten beiden Phasen würden vielleicht nach 15 Jahren vorüber sein. Diese Vermutung erwies sich zwar als zu pessimistisch; dazu mag beigetragen haben, dass kürzere Wochenarbeitszeiten und längerer Urlaub bereits in der Phase der hohen Beschäftigung (in Deutschland Voll- und Überbeschäftigung) durchgesetzt wurden.
Nach dem ersten Ölpreisschock vom Herbst 1973begann jedoch schlagartig die dritte Phase, in der es nicht mehr gelang, die Güternachfrage auf Vollbeschäftigungsniveau zu halten: Das Wachstum der Güternachfrage blieb hinter dem Anstieg der Arbeitsproduktivität zurück. Zur Erklärung dieser Wachstumsdefizite lassen sich mehrere Punkte anführen:
a) Spätestens Anfang der 70er Jahre wurde in vielen europäischen Staaten – so auch in Deutschland – das Ende der Wiederaufbauphase erreicht und damit wurde auch der Nachholbedarf im öffentlichen Sektor und im Wohnungsbau im Wesentlichen gedeckt. Damit entfielen zwei wesentliche Ursachen für die hohe Nachfrage in den 60er Jahren.
b) Da weniger neue Wohnungen gebaut werden und die vorhandenen Wohnungen mit vielen langlebigen Konsumgütern bereits ausgestattet sind, wird die Ausweitung der privaten Konsumgüternachfrage schwieriger. Es ist notwendig, den Konsumenten neue Produkte schmackhaft zu machen und sie zu veranlassen, diese Produkte zu kaufen. Nur in diesem Sinne gibt es Sättigungstendenzen beim privaten Konsum. Sie zu überwinden wird schwieriger, wenn zu wenig neue Produkte auf den Markt kommen, wofür die Rahmenbedingungen nicht immer günstig sind. Zum einen sind – vor allem im Hinblick auf Umweltbelastungen – die Genehmigungsverfahren komplizierter und anspruchsvoller geworden, zum anderen haben sie an Bedeutung gewonnen, weil vermehrt von Betroffenen auf die Genehmigungsverfahren Einfluss genommen wird.
Zu diesen zwei allmählich sich ändernden Faktoren sind 1972-1974 zwei schlagartig einsetzende Änderungen hinzugetreten:
a) Mit dem 1972 veröffentlichten 1. Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit (Grenzen des Wachstums, Meadows u.a. 1972) wird dem bis dahin ungebrochen vorherrschenden Wachstumsoptimismus ein entscheidender Schlag versetzt. Dieser zeigt seine volle Wirkung, als im Herbst 1973 die OPEC zeitweise ihre Mineralöllieferungen aussetzt und damit die Ressourcenabhängigkeit der Industrienationen demonstriert.
b) Aufgrund der u.a. durch die Ölpreissteigerungen vom Herbst 1973 erhöhten Inflationsrate schlugen die Bundesbank und anschließend die Notenbanken fast aller Industriestaaten einen sehr restriktiven Kurs in der Geldpolitik ein, mit entsprechenden Folgen für Zinssätze und Investitionen.