Keynes
Gesellschaft

A.II.14. How to Pay for the War, 1940, London, (Macmillan). Collected Writings,
Vol. IX, S. 367 – 439

 

In diesem schmalen Band, der in den Collected Writings, wo er im Band IX abgedruckt worden ist, rund 60 Seiten umfasst, entwickelt Keynes konkrete Vorschläge, wie Großbritanniens Regierung die kriegsbedingten Mehrausgaben während des 2. Weltkriegs finanzieren sollte. Bereits kurz nach Kriegsbeginn im September 1939 veröffentlichte Keynes zwei lange Aufsätze zu dieser Frage in der Times vom 14. und 15. Nov. 1939, an die sich eine umfangreiche Korrespondenz und eine heftige öffentliche Diskussion anschlossen. Deren Ergebnisse veranlassten Keynes, im Februar 1940 einen überarbeiteten Text als Buch zu veröffentlichen, in dem er seine Argumente untermauerte und seine Vorschläge präzisierte.

Keynes formuliert die Aufgabe, die er sich gestellt hatte, gleich im ersten Satz des Vorworts: „This is a discussion of how best to reconcile the demand of war and the claims of private consumption.“ Es ging Keynes also darum, die Notwendigkeiten der Kriegswirtschaft mit den Ansprüchen des privaten Verbrauchs möglichst gut zu vereinbaren. Keynes beschreibt das Problem, vor dem sich Großbritannien sah, wie folgt: Durch die zusätzlichen Rüstungsausgaben und andere kriegsbedingte Aufwendungen erhöhten sich die Produktion, die Beschäftigung und die Arbeitszeiten in Großbritannien deutlich, so dass das verfügbare Einkommen der privaten Haushalte sogar bei unveränderten Stundenlöhnen anstieg. Diesen höheren verfügbaren Einkommen, die sich nach aller Erfahrung in zusätzliche Konsumgüternachfrage umsetzen, konnte jedoch nicht durch steigende Konsumgüterproduktion Rechnung getragen werden. Vielmehr war es notwendig, alle zusätzlichen Ressourcen für die Kriegswirtschaft einzusetzen. Daher war ein Überschuss der Nachfrage über das Angebot zu erwarten, der zu steigenden Preisen der Konsumgüter führen muss.

Zu diesem Ergebnis kamen auch die neoklassischen Ökonomen. Allerdings wurde vor Keynes die Entstehung von Inflation bei nicht ausdehnbarer Produktion vor allem über einen direkten Zusammenhang zwischen Geldmenge und Preisniveau abgeleitet. Diese Argumentation setzt stillschweigend voraus, dass mit steigender Geldmenge auch die gesamtwirtschaftliche Nachfrage steigt. Keynes dagegen entwickelt eine andere Erklärung für die in dieser Situation zu erwartende Inflation; er bezieht sich direkt auf die gesamtwirtschaftliche Nachfrage; denn den häufig vereinfacht als proportional angenommenen Zusammenhang zwischen Geldmenge und Preisniveau hatte er durch seine Theorie der Liquiditätspräferenz und darin insbesondere durch die Einführung der Spekulationskasse infrage gestellt (s. die Rubrik „General Theory“). Aus seiner Nachfragesog – Theorie der Inflation folgte die wirtschaftspoltische Empfehlung, die Konsumgüternachfrage zu dämpfen, denn ein Zulassen von Inflation lehnte Keynes ab, u. a., weil eine Inflation bei nur langsam reagierenden Löhnen eine Umverteilung hin zu den Unternehmern bedeutet und damit die Arbeitnehmer real schlechter stellt und ihre Versorgung mit Konsumgütern beeinträchtigt.

Für die konkrete Kriegssituation Großbritanniens diskutierte Keynes zunächst zwei Wege, durch die zwar die Inflation vermieden werden könnte, aber die Übernachfrage nicht beseitigt, nämlich erstens staatliche Preiskontrollen (bis zum Preisstopp) oder zweitens ein freiwilliger Verzicht der Güterproduzenten und –händler auf Preissteigerungen, falls diese sich scheuen, in dieser Kriegssituation die Preise heraufzusetzen und damit vom Krieg zu profitieren. Beide Wege aber würden zu negativen Ergebnissen führen, denn in der resultierenden Mangelwirtschaft käme es zu einer sehr ineffizienten und ungerechten Güterverteilung, da diejenigen am ehesten zum Zuge kämen, die über persönliche Beziehungen verfügen und für die Waren unter dem Ladentisch reserviert werden, und die Wahlfreiheit der Konsumenten würde stark eingeschränkt.

Eine weitere Variante war ebenfalls in der Diskussion. So sprach der britische Schatzkanzler damals davon, es könne vielleicht notwendig sein, bestimmte Güter, die für die Lebenshaltungskosten wichtig sind, zu subventionieren, um einen Anstieg der Löhne und der Preise zu verhindern. Dies hielt Keynes jedoch ebenfalls für keine gute Lösung; denn wenn man auf diese Weise die Kaufkraft der bestehenden Löhne und damit die Nachfrage nach Konsumgütern erhöht, so wird das Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage noch weiter auseinanderdriften.

Da Keynes den Ausweg, höhere Importe durch steigende Auslandsverschuldung zu finanzieren und dadurch das Konsumgüterangebot zu erhöhen, für problematisch hielt, stellte er einen eigenen Vorschlag vor: Um eine Anpassung der Konsumgüternachfrage an das Angebot herbeizuführen, sollte die Hälfte des Überschusses der Nachfrage nach Konsumgütern über deren Angebot (das er kriegswirtschaftlich bedingt als konstant setzt, obwohl er sogar einen Rückgang der Konsumgüterproduktion für erforderlich hält) durch höhere Einkommensteuern abgeschöpft werden. Dies würde wegen deren progressiver Gestaltung besonders die wohlhabenderen Schichten treffen. Die andere Hälfte des Überschusses aber sollte durch ein Programm erzwungenen Sparens mittels „hinaus geschobener Bezahlung“ beseitigt werden: Alle privaten Haushalte sollten einen bestimmten Teil ihres Einkommens nur in Form von Forderungen erhalten, die erst nach dem Krieg freigegeben werden, wenn die staatliche Nachfrage drastisch zurückgehen werde und möglicherweise ebenfalls die private Nachfrage nach Konsumgütern, wenn nach dem Krieg viele Personen aus dem Rüstungssektor und aus der Armee entlassen werden. Die dann freizugebenden Guthaben würden eine Basis bieten, um einen Nachfrageeinbruch zu verhindern.

Keynes verbindet diesen Grundzug seines Vorschlages mit einzelnen Regelungen, durch die die Bezieher sehr niedriger Einkommen ihren Konsum nicht einschränken müssen, sondern ihn evtl. sogar aufgrund von höheren Familienzuschüssen ausdehnen können. Zu den Niedrigverdienern in seiner Abgrenzung gehörten immerhin nach Angaben von Keynes 88% der Bevölkerung. Gleichzeitig würden die mittleren und höheren Einkommen zu einem Rückgang ihres realen Konsums veranlasst. Auf diese Weise könne der Krieg auch als eine Gelegenheit genutzt werden, um eine positive soziale Verbesserung zu erreichen.

In seinem Buch betont Keynes mehrfach, dass die aktuelle Kriegssituation den Verhältnissen der Vorkriegszeit genau entgegengesetzt sei, in der die Produktion durch die Nachfrage beschränkt war – für diese Situation hatte er 1936 seine „Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes“ veröffentlicht. Jetzt dagegen sei die umgekehrte Situation relevant, in der die Produktion durch die verfügbaren Ressourcen beschränkt wird.

Keynes war 1940 schon seit vielen Jahren enger Berater der jeweiligen Regierungen, insbesondere des Schatzkanzlers, und er wusste daher, dass ein solcher Vorschlag nur Erfolg haben konnte, wenn er mit möglichst genauen Zahlen unterlegt wird. Deswegen rechnet Keynes in seinem Buch im Detail vor, welche Summen für die Kriegswirtschaft aufzubringen seien, wie viel zusätzliche Produktion in Großbritannien noch möglich sei und wie viel zusätzliche Importe Großbritannien sich leisten könnte. Auch rechnet er die Wirkung seiner Vorschläge genau durch.

Trotz seines hohen Renommees wurden seine Vorschläge nur zum Teil umgesetzt. Die Einkommensteuer und diverse Zusatzsteuern wurden zwar kräftig erhöht, aber sein Programm erzwungenen Sparens wurde nur in einem geringen Umfang (ca. ein Fünftel der von ihm vorgeschlagenen Summe) verwirklicht. Aber Keynes war insofern erfolgreich, als er die finanzpolitisch Verantwortlichen dazu brachte, in ihre Budgetplanungen die gesamtwirtschaftlichen Zusammenhänge stärker einzubeziehen.

Durch die Gesamtheit der getroffenen Maßnahmen gelang es, die Preisentwicklung in Großbritannien während des 2. Weltkriegs ab März 1941 ziemlich gut im Zaum zu halten (der offizielle Lebenshaltungskostenindex stieg nur von 127 in März 1941 auf 132 im Januar 1945 (Vorkriegsniveau = 100). Aber die Außenwirtschaft entwickelte sich bedenklich schlecht: Zwar gelang es Großbritannien, durch hohe Steuern, Rationierung und Verknappung von Konsumgütern die Importe unter dem Vorkriegsniveau zu halten, aber die Exporte brachen sehr stark ein (um ca. 70 %), so dass Großbritannien am Kriegsende gegenüber dem Ausland hoch verschuldet war.

Die Folgen dieser Auslandsverschuldung beschäftigten Keynes während und nach dem 2. Weltkrieg; zum einen im Zusammenhang mit den Verhandlungen über ein neues Weltwährungssystem, die zu dem System von „Bretton Woods“ führten, zum anderen bei den Verhandlungen mit den USA über eine Nachkriegsanleihe, die Anfang 1946 mit einem entsprechenden Abkommen endeten. In beiden Fällen leitete Keynes die britische Delegation; er konnte nur einen Teil seiner Vorstellungen gegenüber den USA – die am längeren Hebel saßen – durchsetzen. Die Arbeitsbelastung, die mit diesen Verhandlungen verbunden war, trug erheblich zu seinem frühen und plötzlichen Tod durch Herzversagen am 21. April 1946 im Alter von 62 Jahren bei.