Keynes
Gesellschaft

B.VI: Mitentdeckung und Weiterentwicklung der Theorie von Keynes durch Michal Kalecki.

Michal Kalecki ist von herausragender Bedeutung, weil er die zentrale Rolle der KreislaufzusammenhÀnge gleichzeitig wie Keynes, aber als ein ökonomischer Autodidakt unabhÀngig von ihm, entdeckte und vor allem, weil er dessen Theorie weiterentwickelte. Diese Weiterentwicklungen sind so zentral, dass viele AnhÀnger des so erweiterten TheoriegebÀudes von einer Keynes-Kalecki-Theorie sprechen.

Die PrÀsentation hier ist in sechs Abschnitte geteilt:

  • Kaleckis vier Lebensabschnitte
  • Kaleckis originĂ€re Analyse der KreislaufzusammenhĂ€nge
  • Kaleckis Analyse der Lohn- und Preisbildung und der Einkommensverteilung. Die Rolle des Monopolgrads
  • Analyse der InvestitionstĂ€tigkeit und der Konjunkturschwankungen
  • Zur langfristigen Entwicklung des Kapitalismus und zu den Grenzen einer VollbeschĂ€ftigungspolitik
  • Resonanz auf Kaleckis Preisbildungs- und Verteilungstheorie.

B.VI.1. Kaleckis vier Lebensabschnitte

Michal Kalecki wurde 1899 in Lodz geboren und starb 1970 in Warschau. Er begann nach dem Abitur Ingenieurswissenschaft zu studieren. Dieses Studium musste er jedoch 1921 abbrechen, weil sein Vater arbeitslos geworden war. Kalecki schlug sich dann als Wirtschaftsjournalist durch, bis er 1929 Mitarbeiter am Konjunktur- und Preisforschungsinstitut in Warschau wurde. Er arbeitete dort bis 1936 und veröffentlichte in dieser Zeit seine Erkenntnisse ĂŒber die zentrale Rolle der GĂŒternachfrage, allerdings ĂŒberwiegend in polnischer Sprache.

Kalecki benötigte keinen „long struggle of escape“, aus der neoklassischen Denktradition da er nicht Volkswirtschaftslehre studiert und die Ökonomie vor allem in Gestalt der marxistischen Theorie kennengelernt hatte; daher war ihm die gesamtwirtschaftliche Analyse nicht fremd.. Seine dies betreffenden frĂŒhen Schriften werden in Abschnitt 2 ausfĂŒhrlich dargestellt. Kalecki schied 1936 aus Protest gegen die politisch bedingte Entlassung zweier Kollegen aus dem Institut aus. Dank eines Rockefeller-Stipendiums konnte er an auslĂ€ndische UniversitĂ€ten reisen. Er ging zunĂ€chst nach Schweden und anschließend ĂŒber London (“London School of Economics“) nach Cambridge, wo er Keynes engste Mitarbeiter, Richard Kahn und Joan Robinson, kennenlernte und beide nachhaltig beeinflusste. Mit Keynes selbst kam kein engerer Kontakt zustande.

WĂ€hrend seines Aufenthaltes in Cambridge und ab 1940 als Forscher am Oxford Institute of Statistics publizierte Kalecki weiterhin zahlreiche Artikel und BĂŒcher, nunmehr ĂŒberwiegend in englischer Sprache. Seine Arbeiten befassten sich vor allem mit der Erweiterung seiner Theorie; insbesondere beschĂ€ftigte ihn der Zusammenhang zwischen Preisen, Lohnniveau, Produktion und BeschĂ€ftigung einerseits, die BestimmungsgrĂŒnde und die Wirkungen der Einkommensverteilung andererseits (siehe Abschnitt 3).

In seinem dritten Lebensabschnitt (1945-1955) war Kalecki in internationalen Organisationen tĂ€tig, zunĂ€chst im International Labour Office (ILO) in Montreal, dann im Sekretariat der Vereinten Nationen. Dort war er fĂŒr den „World Economic Review“ zustĂ€ndig. Wie Laski (1987, S.10/11) berichtet, beschloss Kalecki, als seine Aktionsfreiheit durch den McCarthysmus immer mehr eingeschrĂ€nkt wurde, zum zweiten Mal, aus Protest seine Stellung aufzugeben, und kehrte 1955 endgĂŒltig nach Polen zurĂŒck. Er arbeitete dort als Berater fĂŒr ökonomische Planung, als Mitglied der Akademie der Wissenschaften und (ab 1961) an der Hochschule fĂŒr Planung und Statistik.

Im MĂ€rz 1968 wurden Kalecki und seine „Schule“ Zielscheibe einer wilden antisemitischen und antiintellektuellen Kampagne. Er protestierte erneut gegen die Entlassung von Kollegen und Mitarbeitern und ließ sich vorzeitig emeritieren. Kalecki starb zwei Jahre spĂ€ter, tief enttĂ€uscht, aber bis zuletzt wissenschaftlich aktiv (Laski, 1987, S.11).

Über Kaleckis Leben und Werk informieren die EinfĂŒhrung von Laski zu Kalecki (1987) sowie die BĂŒcher von Feiwel (1975), Sawyer(1981), Sebastiani (1989) sowie Lopez/Assous (2010). Das Buch von Feiwel ist mit 580 Seiten das umfangsreichste.

B.VI.2. Kaleckis originÀre Analyse der KreislaufzusammenhÀnge

Kalecki veröffentlichte seine grundlegenden ökonomischen Erkenntnisse in den Jahren 1933 bis 1935 in Polen in polnischer Sprache, sodass sie international nicht zur Kenntnis genommen wurden. Er publizierte sie erst 1937 und 1938 in drei AufsĂ€tzen in englischer Sprache (in Econometrica, Economica und im Review of Economic Studies), und erneut 1939 in seinem Sammelband „Essays in the Theory of Economic Fluctuations“ in ĂŒberarbeiteter Form, ergĂ€nzt um drei weitere in Abschnitt 3 zu behandelnde AufsĂ€tze sowie drei OriginalbeitrĂ€gen ĂŒber „Investment and Income, The Long Term Rate of Investment“ und – wie schon erwĂ€hnt – „Money and Real Wages“.

Ins Deutsche ĂŒbersetzt wurden diese frĂŒhen Schriften erst 1976 (Hrsg: Karl KĂŒhne) und 1987 (Hrsg: Kasimierz Laski und Josef Pöschl). Sie werden hier nach dem Sammelband von 1987 zitiert.

Den Anfang machte Kalecki mit der BroschĂŒre „Umrisse einer Theorie des Konjunkturzyklus“, in dem er auf nur 14 Seiten wie selbstverstĂ€ndlich mit den makroökonomischen GrĂ¶ĂŸen Profite, Unternehmerkonsum und
-ersparnissen operiert und zur Vereinfachung in der Tradition der klassischen Ökonomie die Ersparnis der Arbeitnehmer gleich Null setzt.

Durch diese Vereinfachung gelangte er zu der brisanten Aussage: „Damit bestimmen die Kapitalisten als Gesamtheit ihre Profite durch den Umfang ihrer Investitionen und ihres persönlichen Konsums“ (Kalecki 1933a/1987, S.42). Kaldor fasste dieses Ergebnis so zusammen: „The worker spend what they earn, the capitalists earn what they spend“ (Kaldor, 1955/56, S.230).
Keynes hatte das Ergebnis von Kalecki bereits 1930 in seiner „Abhandlung vom Gelde“ (A Treatise on Money) abgeleitet und als Witwenkrugtheorem bezeichnet. Die Unternehmen als Ganzes können nĂ€mlich so viel ausgeben wie sie wollen – das Geld fließt an sie zurĂŒck und ihre „Kasse“ wird niemals leer, so wie der „Krug der Witwe“ im Alten Testament.

Kalecki vernachlĂ€ssigt allerdings, dass die zusĂ€tzlichen Investitionen die Arbeitnehmereinkommen aufgrund höheren Arbeitseinsatzes erhöhen – es gibt bei ihm keinen Multiplikatorprozess. Seine Kreislaufanalyse ist also rudimentĂ€r. Ebenso wenig macht Kalecki deutlich, ob er im Rahmen einer vollbeschĂ€ftigten oder unterbeschĂ€ftigten Wirtschaft argumentiert. Er berĂŒcksichtigt nur den Auslastungsgrad des Sachkapitals, der sich mit den schwankenden Investitionen verĂ€ndert.
Im selben Jahr 1933 wendet Kalecki (1933) seine Kreislaufanalyse in einem noch kĂŒrzeren, nur 11 Seiten langen Artikel auf den Außenhandel an und arbeitet heraus, dass fĂŒr den Ausweg aus der Depression nicht die Höhe der Exporte, sondern der ExportĂŒberschuss entscheidend ist.

Seinen dritten Beitrag veröffentlicht Kalecki 1935 unter der Überschrift „Der Mechanismus des Konjunkturaufschwungs“ in der polnischen Zeitschrift „Polska Gospodarcza“ (Polnische Gesellschaft). Dort setzt er sich vor allem mit den VorschlĂ€gen auseinander, zur Überwindung der Depression die Löhne zu senken. FĂŒr einen einzelnen isoliert handelnden Unternehmer wĂ€re dies von Vorteil, meint Kalecki, weist dann aber auf eine zentrale Erkenntnis seiner Analyse hin:

„Eines der zentralen Charakteristika des Kapitalismus ist jedoch, dass das, was fĂŒr den einzelnen Unternehmer vorteilhaft ist, nicht notwendigerweise auch den Unternehmen als Klasse nĂŒtzt. Senkt ein einzelner Unternehmer die Löhne, kann er seine Produktion ceteris paribus erhöhen. Sobald jedoch einmal alle Unternehmer dasselbe tun, wird sich daraus etwas gĂ€nzlich anderes ergeben.“ (Kalecki, 1935/1987, S.56)

Eine generelle Lohnsenkung wĂŒrde nĂ€mlich die Einkommen und den Konsum der Arbeitnehmer verringern, ohne dass dies durch eine Mehr-Nachfrage der Unternehmer und Vermögensbesitzer (Rentiers) kompensiert wĂŒrde; denn das (von ihnen erwartete) Sinken der Preise wĂŒrde die Renditeerwartungen der Unternehmer verringern und den Kostenvorteil wieder zunichte machen.

Hier nimmt Kalecki zentrale Argumente von Keynes (1936, 19. Kapitel) vorweg. Er zeigt daran anschließend, dass der SchlĂŒssel zum Überwinden der Depression bei der InvestitionstĂ€tigkeit liegt. Z.B. könnte diese durch eine bedeutende Erfindung angestoßen werden, wenn zu deren Umsetzung kreditfinanzierte Investitionen getĂ€tigt werden.

Zumindest außerhalb von Polen wurden diese bahnbrechenden Überlegungen nicht zur Kenntnis genommen. Dasselbe Schicksal wurde auch Kaleckis Aufsatz „A Macrodynamic Theory of Business Cycles“ zuteil, der als ĂŒberarbeitete Fassung eines 1933 vor der „Econometric Society“ gehaltenen Vortrags 1935 in der Zeitschrift „Econometrica“ veröffentlicht wurde. Dazu dĂŒrften folgende Punkte beigetragen haben:

a) Kalecki geht auch hier von der fĂŒr eine geschlossene Volkswirtschaft ohne Staat gesamtwirtschaftlich geltenden Gleichung aus, wonach – wenn die Sparquote der Arbeitnehmer gleich Null ist – die Gewinne der Unternehmer so groß sind wie die Ausgaben der Unternehmer fĂŒr Konsum und Investitionen. Er verzichtet aber darauf, diese Beziehung irgendwie plausibel zu machen und zu erlĂ€utern.

b) Kalecki entwickelt eine ausdifferenzierte ErklĂ€rung der InvestitionstĂ€tigkeit im Verlaufe eines Konjunkturzyklus, wofĂŒr er zwischen den InvestitionsauftrĂ€gen, der Produktionsphase der InvestitionsgĂŒter und ihrer Lieferung und Inbetriebnahme unterscheidet.

c) Kalecki ĂŒberfordert die meisten damaligen Leser mit seiner mathematischen BeweisfĂŒhrung, fĂŒr die er u.a. Differentialgleichungen 2. Ordnung verwendet, um die Bedingungen fĂŒr Konjunkturschwankungen mit zunehmenden, konstant bleibenden oder abnehmenden Amplituden abzuleiten.

Wenn ĂŒberhaupt, wurde sein Artikel daher vermutlich als ein mathematisch anspruchsvoller Beitrag zu dem Spezialgebiet „Konjunkturtheorie“ wahrgenommen. Keynes dagegen prĂ€sentierte seine „Allgemeine Theorie“ als Generalangriff auf die herrschende Neoklassik und zwang wegen seines „Standing“ die Fachgenossen, sich damit auseinander zu setzen, statt das Buch stillschweigend zu ĂŒbergehen.

Die Brisanz seiner Analyse wurde auch deswegen nicht erkannt, weil Kalecki als Autor gĂ€nzlich unbekannt war, im Gegensatz zu Keynes, der schon vor 1936 der weltweit bekannteste zeitgenössische Ökonom war. So blieb auch die Veröffentlichung seiner Theorie in Französisch (1935c) ohne Resonanz.

Nachdem Kalecki sich fĂŒr einen Verbleib in Großbritannien entschieden hatte, beteiligte er sich intensiv mit vielen BeitrĂ€gen an der Diskussion um die makroökonomische ZusammenhĂ€nge, die Keynes durch seine „General Theory“ ausgelöst hatte. Kalecki publiziert nun ĂŒberwiegend in Englisch, um in der Fachwelt Gehör zu finden. Eine Ausnahme bildet sein Aufsatz „Einige Bemerkungen zur Theorie von Keynes“ (1936/1987) in der polnischen Zeitschrift „Economista“, in dem sich Kalecki mit Keynes‘ „Allgemeiner Theorie“ 1936 sogleich auseinandergesetzt hat. Kalecki bezeichnet Keynes‘ Buch als einen „Wendepunkt in der Geschichte der Wirtschaftswissenschaften“ (S.262) und stellt seinen Kern kurz und zutreffend dar. Er bemĂ€ngelt jedoch, Keynes habe die Entwicklung der Investitionen unzureichend erklĂ€rt. Grund dafĂŒr sei „der im Grunde genommen statische Ansatz zur Lösung eines Problems, das seiner Natur nach dynamisch ist.

In einem weiteren Artikel mit dem Titel „A Theory of the Business Cycle“ (Kalecki, 1936/37) vergleicht Kalecki seine makroökonomische Theorie mit der Theorie von Keynes: „This paper is closely allied to the Keynesian theory“ (S.77). Weitgehende Übereinstimmung herrsche bei der Bestimmung des kurzfristigen Gleichgewichts bei einer gegebenen Kapitalausstattung sowie zinsabhĂ€ngigen Investitionen. Ein wesentlicher Unterschied bestehe jedoch bei den BestimmungsgrĂŒnden der Investitionen; denn bei BerĂŒcksichtigung des Zeitaufwandes zwischen Auftragserteilung und Fertigstellung der InvestitionsgĂŒter verursachten die Investitionen konjunkturelle Schwankungen.

Die im Anschluss an Keynes entwickelte Konjunktur- und Wachstumstheorie hat diesen destabilisierenden Einfluss der Investitionen mittels der Annahme aufgegriffen, dass die Investitionen nicht nur vom Zinssatz abhÀngen, sondern auch vom Auslastungsgrad des Sachkapitals (siehe dazu die Rubriken E.V und E.VI zur Wachstums- und Konjunkturtheorie).

Kalecki nutzt den destabilisierenden Charakter der privaten Investitionen zu einer grundsĂ€tzlichen Betrachtung, die zugleich den marxistischen Einfluss auf sein Denken durchschimmern lĂ€sst. Kalecki betont (1936/37, S.96): „The tragedy of investment is that it calls forth the crisis because it is useful (wĂ€hrend des Booms – J.K.) 
 But it is not the theory which is paradoxical, but its subject – the capitalist economy”.

Einen wichtigen Beitrag zur Diskussion um die Wirkungen einer allgemeinen Lohnsenkung veröffentlicht Kalecki (1939) noch einmal in Polnisch in der Schriftenreihe des Warschauer Instituts „Gospodarstwa Spolecznego“ (Wirtschaft und Gesellschaft). Er analysiert dort die BestimmungsgrĂ¶ĂŸen des Niveaus der Nominallöhne und der Reallöhne unter dem Titel „Nominal- und Reallöhne (1939/1987). Gleichzeitig veröffentlicht er eine englischsprachige Version dieses Artikels in seinen schon genannten „Essays in the Theory of Economic Fluctuations“ (Kalecki 1939/1987) mit einem knappen Hinweis auf seinen Aufsatz von 1935 in der französischen Zeitschrift „Revue d`economie politique“.

Eingangs erlĂ€utert er sein Modell einer geschlossenen Volkswirtschaft, in der die Arbeitnehmer eine Sparquote von Null haben, und untersucht dann die Wirkungen einer allgemeinen Lohnsenkung. In einem ersten Schritt unterstellt er dabei vollkommene Konkurrenz. Er legt dar: Solange die Lohnsenkung nicht zu sinkenden Preisen gefĂŒhrt hat,

„mag es nun auf den ersten Blick so scheinen, als ob die Lohnsenkung zur Folge hat, dass die Kapitalisten ihren Konsum und ihre InvestitionstĂ€tigkeit steigern, weil sie damit höhere Profite fĂŒr ihre Unternehmen erwarten. WĂŒrden sich die Kapitalisten tatsĂ€chlich so verhalten, dann mĂŒsste auf die Lohnsenkung zwangslĂ€ufig eine Produktionssteigerung folgen, und dann hĂ€tte die >klassische< Theorie recht. Die nĂ€here Analyse zeigt jedoch, dass ein solcher Gang der Ereignisse ziemlich unwahrscheinlich ist. Es ist in der Tat unwahrscheinlich, dass die Investitionen wie auch der Kapitalistenkonsum sofort zunehmen. ZunĂ€chst einmal kann als sicher gelten, dass die Unternehmer nicht sofort nach einer erfolgten Lohnsenkung ihre Investitionen anheizen werden; sie werden vielmehr so lange warten, bis eine effektive Zunahme in den Profiten eingetreten ist. Und selbst wenn sie ihre InvestitionsgĂŒterbestellungen erhöhen sollten, so wĂŒrde doch eine Expansion der Produktion in den betreffenden Industriezweigen schon aus technischen GrĂŒnden erst mit einiger Verzögerung zum Tragen kommen.
Dasselbe gilt auch fĂŒr den Kapitalistenkonsum. Auch hier dĂŒrften die Kapitalisten aller Wahrscheinlichkeit nach eine Ausgabensteigerung zunĂ€chst einmal vertagen, und zwar so lange, bis die erwartete Einkommenssteigerung Gestalt angenommen hat; selbst dann dĂŒrften sich wohl noch einige zeitliche Verzögerungen ergeben. Alles in allem lĂ€sst sich sagen: Aller Wahrscheinlichkeit nach wird in der Periode, die unmittelbar auf die Lohnsenkung folgt, das Volumen der Investitionen und das des Kapitalistenkonsums unverĂ€ndert bleiben.“
(1939/1987,S.79/80)

Auch indirekte EinflĂŒsse, wie insbesondere eine mögliche Zinssenkung, dĂŒrften, so Kalecki, daran nichts Ă€ndern, vor allem wegen des Schuldner-Effekts.

Anschließend fragt Kalecki: Welche BeschĂ€ftigungswirkungen ergeben sich, wenn das Preisniveau auf die Lohnsenkung reagiert? Da diese zu niedrigeren Grenzkosten gefĂŒhrt hat, besteht bei vollkommener Konkurrenz ein Anreiz, die Produktion auszudehnen, was aber – bei unverĂ€nderter Nachfrage – nur zu sinkenden Preisen fĂŒhrt, sodass sich am Reallohn nichts Ă€ndert.

Bei unvollkommener bzw. monopolistischer Konkurrenz (Kalecki verweist hier auf die bahnbrechenden BĂŒcher von Joan Robinson, 1933 und Chamberlin, 1933), bei der die Grenzkosten immer niedriger sind als die Preise und die Grenzkostenkurve hĂ€ufig keinen steigenden Verlauf aufweist, werden die gesunkenen Lohnkosten ebenfalls zu sinkenden Preisen fĂŒhren, aber diese sinken weniger als das Lohnniveau, sodass die Reallöhne der Arbeitnehmer fallen und sie daraufhin ihre Ausgaben reduzieren mĂŒssen.

Abschließend behandelt Kalecki noch die außerwirtschaftlichen Effekte; dort stehen den positiven Exporteffekten die Versteuerung der Importe gegenĂŒber, durch die die Reallöhne weiter gesenkt werden, was die Nachfrage der Arbeitnehmer beeintrĂ€chtigt.

Es fĂ€llt auf, dass Kalecki in dieser BroschĂŒre weder auf das 19. Kapitel der „General Theory“ von Keynes hinweist, in dem diese Fragen behandelt werden (wobei Kalecki und Keynes weitgehend ĂŒbereinstimmen), noch auf seine eigenen vorangegangen Veröffentlichungen.

Im Gegensatz dazu vergleicht Kalecki in seinem kurz davor veröffentlichten Artikel von 1938 in der „Econometrica“ ĂŒber die BestimmungsgrĂŒnde der Einkommensverteilung explizit seine Analyse der Wirkung einer generellen Lohnsenkung mit jener von Keynes und hebt die negativen Effekte auf Nachfrage und BeschĂ€ftigung aufgrund des steigenden Monopolgrades hervor. In spĂ€teren Versionen dieses Beitrags (z.B. Kalecki 1954/1966) hat er diese Passagen weggelassen.

Als Pigou (1943) behauptete, aufgrund des von Keynes im Kapitel 19 (aber an anderer Stelle, nĂ€mlich im Kapitel 8) nicht erwĂ€hnten Vermögenseffekts wĂŒrde eine allgemeine Lohnsenkung, da sie auch zu einem wenn auch geringeren RĂŒckgang des Preisniveaus fĂŒhre, eine höhere BeschĂ€ftigung hervorrufen, reagierte Kalecki sofort. In einem kurzen Beitrag (Kalecki, 1944) zeigte er, dass dem Vermögenseffekt ein Schuldnereffekt gegenĂŒbersteht, der die Wirkung des Vermögenseffekts wieder aufhebt.

Auch sein Beitrag im „Economic Journal“ (1942) mit dem Titel „A Theory of Profits“ startet von seiner revolutionĂ€ren Ausgangsgleichung, wonach die Höhe der Profite von der Summe der Ausgaben der Kapitalisten fĂŒr Investitionen und Konsum bestimmt wird (siehe oben Abschnitt 2). Über das VerhĂ€ltnis seiner Theorie zu der von Keynes stellt er dort klar: (1942, S.260 Fußnote):

„The theory of profits presented here is closely allied to Mr. Keynes’ theory of saving and investment. It has been however, developed independently
 in an ‘Essai d’une thĂ©orie du mouvement cyclique des affaires’ (Revue d’economie politique”, MĂ€rz/April 1935) and “A Macroeconomic Theory of Business Cycles” (Economista, Juli 1935).

Wie wenig Kalecki damals zur Kenntnis genommen wurde, zeigt sich auch daran, dass Gottfred Haberler (1941) in seiner umfassenden ‘‘Theoretischen Untersuchung der Konjunkturbewegungen‘‘ mit dem Obertitel ‘ProsperitĂ€t und Depression‘ nur Kaleckis Artikel von 1936/37 und 1937 sowie seine Kritik am Pigou-Effekt von 1944 erwĂ€hnt. Sehr erstaunlich ist, dass Schumpeter in seiner voluminösen ‘‘Geschichte der ökonomischen Analyse 1954/1965‘‘ Kalecki völlig ĂŒbergeht – er taucht im Personenregister ĂŒberhaupt nicht auf.

Kalecki hat es seinen Lesern aber auch schwer gemacht, seine BeitrĂ€ge zu wĂŒrdigen; denn erstens verzichtet er fast immer darauf, diese mit dem Stand der Diskussion in Verbindung zu bringen und auf einschlĂ€gige Literatur zu verweisen, und zweitens veröffentlicht er immer wieder ĂŒberarbeitete Versionen, ohne genau anzugeben, welche Änderungen er mit welchem Ergebnis vorgenommen hat.

B.VI.3. Kaleckis Analyse der Lohn- und Preisbildung und der Einkommensverteilung. Die Rolle des Monopolgrads

In mehreren Aspekten geht Kalecki ĂŒber Keynes hinaus. Dies gilt insbesondere fĂŒr die preistheoretische Fundierung und – darauf aufbauend – die ErklĂ€rung der Einkommensverteilung und die Analyse ihrer Wirkungen.

Keynes hatte sich im Bereich der Preistheorie darauf beschrĂ€nkt, stillschweigend die Analyse von Marshall, seinem akademischen Lehrer und Förderer, zu ĂŒbernehmen. Bei diesem bilden sich die Preise aus Angebot und Nachfrage, wobei – in der Kurzbeschreibung von Keynes – „insbesondere Änderungen in den Grenzkosten und die ElastizitĂ€t des kurzfristigen Angebots“ eine hervorstechende Rolle spielen (Keynes, 1936/2009, S. 247)

Der Ausgleich von Angebot und Nachfrage erfolgt in der kurzen Periode (mit der sich Keynes 1936 befasst) durch die mengenmĂ€ĂŸige Anpassung des Angebots an die Nachfrage.

Kalecki wĂ€hlt einen anderen Einstieg. Seine Preistheorie ĂŒber den Zusammenhang zwischen produzierten Mengen, Kosten und Preisen prĂ€sentiert Kalecki in seinen „Studies in Economic Dynamics“ (1943) und erneut in seiner „Theory of Economic Dynamics“ (1954). In diesem Band stellt Kalecki viele seiner frĂŒheren BeitrĂ€ge im ĂŒberarbeiteter Form zusammen; sie sollen dadurch einen ‘‘neues Buch‘‘ ergeben. Deshalb dient er jetzt hier als Grundlage fĂŒr die Darstellung von Kaleckis Beitrag zur ökonomischen Theorie. In diesen Band wird auch der Zusammenhang zwischen seiner makroökonomischen Analyse (siehe Abschnitt 2) und seiner Preis- und Verteilungstheorie deutlich. Er wurde 1966 in Deutsch veröffentlicht (Kalecki 1954/1966). AusgewĂ€hlte Kapitel aus diesem Buch sind außerdem in den Sammelband (Kalecki 1954/1987) ĂŒbernommen worden.

Kalecki geht davon aus, dass die Unternehmen PreissetzungsspielrĂ€ume haben und dass ihre kurzfristigen PreisĂ€nderungen entweder durch VerĂ€nderungen der Produktionskosten oder durch Änderungen der Nachfrage bestimmt werden. Dazu stellt er folgende Hypothese auf: ‘‘Im Allgemeinen sind PreisĂ€nderungen von Fertigprodukten ‘kostenabhĂ€ngig‘, wĂ€hrend PreisĂ€nderungen bei Rohstoffen, einschließlich der Grundnahrungsmittel ‘nachfrageabhĂ€ngig‘ sind (1954/1966, S.11). Letzteres gelte, weil das Angebot an diesen Grundstoffen kurzfristig unelastisch ist, sodass Nachfragesteigerungen zu einem Lagerabbau und in der Folge zu Preissteigerungen fĂŒhren.

Bei den Fertigprodukten hĂ€lt Kalecki das Angebot fĂŒr elastisch, da die Unternehmen normalerweise unterhalb ihrer maximal möglichen KapazitĂ€t arbeiten und daher auch kurzfristig ihr Angebot ausweiten können. Die Unternehmen kalkulieren ihre Preise auf der Grundlage der direkten Produktionskosten pro Produkteinheit (Materialkosten und Löhne – die GehĂ€lter der Angestellten zĂ€hlt Kalecki zu den Gemeinkosten), auf die sie einen Aufschlag vornehmen.

Der Aufschlagsatz bildet eine BrĂŒcke zur Verteilung der Einkommen auf Gewinne und Löhne; dadurch bezieht Kalecki die BestimmungsgrĂŒnde fĂŒr die Einkommensverteilung und ihre Änderungen direkt in seine Analyse ein – im Gegensatz zu Keynes, der sie weitgehend als Konstante behandelt. Kaleckis Ansatz wurde von vielen Keynesianern (insbesondere jenen, die sich als Postkeynesianer bezeichnen) aufgegriffen und in die Keynes’sche Theorie integriert.

Bei Kalecki berĂŒcksichtigen die Unternehmen die Preise, die von den konkurrierenden Anbietern verlangt werden. Sie versuchen, denjenigen Aufschlag zu realisieren, der fĂŒr ihre Profite am gĂŒnstigsten sind. Kalecki spricht von „semi-monopolistischen Bedingungen“, wie sie fĂŒr FertigproduktmĂ€rkte typisch sind.

Kalecki (1954/1966, S.12-15) fÀhrt dann fort:

„Bei der Preiserstellung geht die Unternehmung von ihren durchschnittlichen direkten Produktionskosten aus und berĂŒcksichtigt ĂŒberdies die Preise, die andere Produzenten fĂŒr Ă€hnliche Waren verlangen. Die Unternehmung muss sicherstellen, dass ihr Preis im VerhĂ€ltnis zu den Preisen anderer Unternehmungen nicht zu hoch ist, denn das wĂŒrde ihren Umsatz empfindlich einschrĂ€nken. Sie muss ferner trachten, dass ihr Preis im VerhĂ€ltnis zu den durchschnittlichen direkten Kosten nicht zu niedrig ist, denn das wĂŒrde wiederum ihre Profitrate schmĂ€lern. Wenn nun der Preis p von der Unternehmung im VerhĂ€ltnis zu den direkten Produktionskosten pro StĂŒck u festgesetzt wird, wir darauf geachtet, dass das VerhĂ€ltnis von p zum gewogenen Durchschnittspreis aller Unternehmungen nicht zu hoch wird. Wenn u steigt, kann p nur dann im selben VerhĂ€ltnis erhöht werden, wenn im selben Ausmaß zunimmt. Wenn nun schwĂ€cher steigt als u, so wird der Preis p der Unternehmung ebenfalls schwĂ€cher erhöht werden als u. Diese ZusammenhĂ€nge werden durch die nachstehende Formel klar zum Ausdruck gebracht:

wobei sowohl m als auch n positive Koeffizienten sind.
Wir setzen fest, dass n<1 sei, und zwar aufgrund folgender Überlegung. Ist nĂ€mlich der Preis p der Unternehmung gleich dem gewichteten Durchschnittspreis , so ergibt sich:

Daraus folgt, dass n kleiner als 1 sein muss.

Die Koeffizienten m und n, welche die Preispolitik der Unternehmen kennzeichnen, drĂŒcken aus, was als Monopolgrad der Position einer Unternehmung bezeichnet werden kann. Und tatsĂ€chlich beschreibt die Gleichung (1) die Preisfestsetzung unter semimonopolistischen Bedingungen
 Die Untersuchung des Monopolgrades lĂ€sst sich anschaulich in Form eines Diagrammes darstellen. Wir dividieren zu diesem Zweck die Gleichung (1) durch die direkten Produktionskosten pro StĂŒck u:

Diese Gleichung wird in Abbildung 1 durch die Gerade AB dargestellt, wobei /u auf der Abszisse und p/u auf der Ordinate abgetragen werden.

Die Neigung von AB ist kleiner als 45°, weil n<1. Die Lage der Geraden, die durch m und n eindeutig bestimmt wird, widerspiegelt den Monopolgrad. Wenn nun, als Ergebnis einer Änderung in m und n, die Gerade aus der Lage AB in jene von A’B‘ ĂŒbergeht, entspricht einem Durchschnittspreis und den direkten Produktionskosten pro StĂŒck u ein höherer Preis p der Unternehmung im untersuchten Bereich von /u. Der Monopolgrad hat damit zugenommen. Wenn jedoch andererseits die Gerade in die Position A‘‘B‘‘ ĂŒbergeht, so hat der Monopolgrad abgenommen. (Wir nehmen an, dass m und n sich immer in einer Weise verĂ€ndern, dass keine der Geraden, welche die verschiedenen Positionen von AB abbilden, in dem untersuchten Bereich von einander schneiden.)

Wir wollen nun einen Vorschlag erlĂ€utern, der fĂŒr die WeiterfĂŒhrung unserer Ableitung von ziemlicher Wichtigkeit ist. Betrachten wir die Schnittpunkte p, p‘ und p‘‘ der Geraden AB, A’B‘, A‘‘B‘‘ mit der Geraden 0K, die durch den Ursprung verlĂ€uft und mit den beiden Koordinaten jeweils einen Winkel von 45° umschließt. Es ist unmittelbar einsichtig, dass je höher der Monopolgrad ist, desto lĂ€nger auch die Abszisse im jeweils betrachteten Schnittpunkt ist. Dieser Punkt wird durch die beiden Gleichungen

bestimmt. Daraus folgt, dass die Abszisse im Schnittpunkt gleich m/(1-n) ist. Ein höherer Monopolgrad wird folglich in einer Zunahme von m/(1-n) und umgekehrt widergespiegelt.“

Zur ErlĂ€uterung sei hier eingefĂŒgt. Durch Gleichsetzen der rechten Seiten der beiden Gleichungen erhĂ€lt man:

und daraus

Daraus folgt u.a.: Je weniger sich die einzelnen Unternehmen am Marktpreis orientieren (n sinkt) und umso mehr sie sich nach ihren Produktionskosten richten, desto höher ist schlussendlich der Marktpreis (fĂŒr gegebene Produktionskosten).

Kalecki geht davon aus, dass die Parameter m und u sich von Unternehmen zu Unternehmen unterscheiden. Es lĂ€sst sich aber ein gesamtwirtschaftlicher Durchschnitt errechnen. DafĂŒr seien die einzelnen m mit der direkten Produktionskosten der einzelnen U‘ zu gewichten, n mit den jeweiligen Produktionsmengen (1954/1966, S.17, Fußnote).

Anschließend diskutiert Kalecki (1954/1966, S.18-20), aufgrund welcher Faktoren sich der Monopolgrad im Laufe der Zeit verĂ€ndern dĂŒrfte. Der wichtigste Faktor sei der Konzentrationsprozess in der Wirtschaft; denn wenn ein Unternehmen einen wesentlichen Teil der Produktion einer Branche liefert, dann hat der von ihm gesetzte Preis einen wesentlichen Einfluss auf den durchschnittlichen Marktpreis. Erhöht er seinen Preis, steigt auch dieser und die Konkurrenten haben PreiserhöhungsspielrĂ€ume. Diese Preis-Preis-Spirale kann durch stillschweigende Übereinkunft beschleunigt und verstĂ€rkt werden, z.B. in Form der PreisfĂŒhrerschaft.

Der zweitwichtigste Faktor sei ‘‘die Entwicklung des Verkaufswesens‘‘: An die Stelle des Preiswettbewerbs tritt die Verkaufsförderung durch WerbefeldzĂŒge und andere verkaufsfördernde Maßnahmen. Kalecki hĂ€tte hier auch auf den Wettbewerb durch Produktdesign und durch hĂ€ufig nur angebliche QualitĂ€tsverbesserungen hinweisen können.

Drittens nennt Kalecki eine Zunahme des VerhĂ€ltnisses von Gemeinkosten (wozu bei ihm auch die GehĂ€lter der Angestellte zĂ€hlen) zu den direkten Produktionskosten. Diese VerĂ€nderung fĂŒhrt zu einer Senkung der Profite, es sei denn, sie wird durch eine Erhöhung der Erlöse kompensiert. Die Folge könnte eine stillschweigende Übereinkunft sein, die Preise im VerhĂ€ltnis zu den direkten Produktionskosten zu erhöhen, um die Profile zu ‘‘schĂŒtzen‘‘.

Viertens meint Kalecki:

„Die Existenz mĂ€chtiger Gewerkschaften kann dazu fĂŒhren, dass die ProfitsĂ€tze aus folgenden GrĂŒnden verringert werden: Ein im VerhĂ€ltnis zu den Löhnen hoher Profit stĂ€rkt die Verhandlungsposition der Gewerkschaften bei der Durchsetzung ihrer Forderungen nach höheren Löhnen, da Lohnerhöhungen dann mit „vernĂŒnftigen Profiten“- bei unverĂ€nderten Preisen – vereinbar sind. Wenn in einer solchen Situation nach gewĂ€hrter Lohnerhöhung die Preise steigen sollten, wĂŒrde dies neue Lohnerhöhungen nach sich ziehen. Es folgt daraus, dass ein solches VerhĂ€ltnis von hohem Profit gegenĂŒber den LohnsĂ€tzen nur bei Bestehen einer Tendenz zu steigenden Kosten aufrechterhalten werden kann. Dieser fĂŒr die Wettbewerbssituation ungĂŒnstige Effekt gibt Anreiz zur Verfolgung einer Politik niedrigerer ProfitsĂ€tze. Der Monopolgrad wird deshalb bis zu einem gewissen Grad durch die TĂ€tigkeit der Gewerkschaften in Schranken gehalten. Dies ist um so eher der Fall, je stĂ€rker die Gewerkschaften sind.“

Kalecki hat seinen Überlegungen die Hypothese zugrundegelegt, dass die GĂŒterpreise durch einen Zuschlag auf die gesamten direkten Produktionskosten (also Löhne und Materialkosten) und nicht nur auf die Lohnkosten je StĂŒck festgelegt werden. Daher steht er vor der weiteren Aufgabe, den Lohnanteil am Bruttosozialprodukt (entspricht grosso modo der Summe der von Kalecki auch als Gesamterlös bezeichneten Nettoproduktionswerte der einzelnen Branchen) zu bestimmen. Dies unternimmt Kalecki im anschließenden Kapitel. DafĂŒr geht er wie folgt vor:

„Der Nettoproduktionswert, der Wert der Produkte abzĂŒglich des Wertes der Vorleistungen, ist gleich der Summe aus Löhnen, Gemeinkosten und Profiten. Wenn wir die gesamten Löhne mit W, die gesamten Vorleistungen mit M, und das VerhĂ€ltnis der Gesamterlöse zu den gesamten direkten Produktionskosten mit k bezeichnen, erhalten wir:

Gemeinkosten + Profite = (k-1) (W + M)

wobei das VerhĂ€ltnis k den vorigen AusfĂŒhrungen gemĂ€ĂŸ durch den Monopolgrad bestimmt wird. Der relative Anteil der Löhne am Nettoproduktionswert einer Industrie kann folgendermaßen dargestellt werden:

Wenn wir das VerhÀltnis Gesamtwert der Vorleistungen zur Summe der Löhne mit j bezeichnen, erhalten wir:

Daraus folgt, dass der relative Anteil der Löhne am Nettoproduktionswert durch den Monopolgrad und durch das VerhĂ€ltnis Summe der Vorleistungen zur Summe der Löhne bestimmt wird.“

Damit ist geklĂ€rt, wie Änderungen des Monopolgrads die Anteile der Löhne und der Summe aus Profiten und Gemeinkosten verĂ€ndern Der erste Anteil sinkt, wenn der Monopolgrad steigt. Der Anteil der Profite steigt ebenfalls, solange es keinen Anhaltspunkt gibt, dass die Gemeinkosten durch den steigenden Monopolgrad beeinflusst werden. Nun bleibt zu klĂ€ren: Wie verĂ€ndern sich die absoluten Werte, wenn die Anteile der Profite steigen? Diese Frage beantwortet Kalecki im nĂ€chsten Kapitel. Dazu greift er auf seine makroökonomische Theorie zurĂŒck, mit der zentralen Aussage, dass die Profite der Unternehmen insgesamt so hoch sind wie ihre Ausgaben fĂŒr Konsum und Investitionen.
WĂ€hrend der einzelne Unternehmer damit rechnet, dass durch den steigenden Anteil der Profite auch sein absoluter Gewinn steigt, betont Kalecki, dass diese Erwartung enttĂ€uscht wird, solange die Ausgaben der Unternehmen nicht steigen. Dies begrĂŒndet er so (S.50):

„Wenn die Periode, welche wir betrachten, kurz ist, können wir sagen, dass der Konsum und die Investitionen der Kapitalisten durch Entscheidungen in der Vergangenheit determiniert sind. Denn die Verwirklichung von Investitionsentscheidungen beansprucht eine gewisse Zeit, und auch der Konsum der Kapitalisten reagiert auf die ihn beeinflussenden Faktoren nur mit einer gewissen Verzögerung.“

Das bedeutet: Da ein steigender Monopolgrad die Profite zu Lasten der Löhne erhöht, werden die Arbeiter weniger verdienen und konsumieren und damit einen Schrumpfungsprozess auslösen, der die absoluten Profite wieder auf das Ausgangsniveau vor der Erhöhung des Monopolgrads sinken lÀsst. In Kaleckis Worten (S.51/52:

„Solcherart bestimmen der Konsum und die Investitionen der Kapitalisten gemeinsam mit den ‘‘Verteilungsfaktoren‘‘ den Konsum der Arbeiter und damit die Gesamtproduktion und die GesamtbeschĂ€ftigung.“

Nachdem Kalecki anschließend einige vereinfachende Annahmen aufgehoben hat, sieht er seine Überlegungen bestĂ€tigt und fasst sie zusammen (S.69):

„Stellen wir uns vor, dass zum Beispiel als Folge einer Zunahme des Monopolgrades der relative Anteil der Profite am Bruttoeinkommen steigt: Die Profite werden weiterhin unverĂ€ndert bleiben, weil sie weiter von den in der Vergangenheit erfolgten Investitionen bestimmt werden, die Ihrerseits von Investitionsentscheidungen in der Vergangenheit abhĂ€ngen. Die ‘‘realen‘‘ Löhne und GehĂ€lter sowie das Bruttoeinkommen oder –Produkt werden fallen. Das Niveau des Einkommens oder des Produktes wird bis zu jenem Punkt sinken, an dem der höhere relative Anteil der Profite dieselbe absolute Höhe der Profite ergibt.“

B.VI.4. Analyse der InvestitionstÀtigkeit und der Konjunkturschwankungen

In den weiteren Abschnitten vertieft Kalecki seine makroökonomische Analyse, insbesondere im Bezug auf die Investitionen. DafĂŒr liefert er zunĂ€chst eine ErklĂ€rung der ZinssĂ€tze. Der kurzfristige Zinssatz werde durch die Nachfrage nach Transaktionskasse bestimmt, der langfristige durch die erwarteten zukĂŒnftigen kurzfristigen ZinssĂ€tze. Er berichtet, dass der langfristige Zins, der fĂŒr die Investitionen wichtig ist, wenig schwankt, sodass er als Konjukturauslöser kaum infrage kommt. Dabei geht Kalecki weder auf die Unterschiede zu Keynes ein noch erwĂ€hnt er irgendeine konkurrierende ZinserklĂ€rung.
Anschließend erörtert er die BestimmungsgrĂŒnde der Investitionen (den Konsum der Unternehmen hatte er schon vorher auf einen autonomen und einen profitabhĂ€ngigen Teil zurĂŒckgefĂŒhrt). Eine wichtige Begrenzung der Investitionen sieht er in der VerfĂŒgung ĂŒber Eigenkapital, selbst bei Kapitalgesellschaften. Er nennt dafĂŒr drei GrĂŒnde (S.109/110)

„An erster Stelle muss erwĂ€hnt werden, dass eine Aktiengesellschaft keine gleichberechtigte Gemeinschaften von AktionĂ€ren ist, sondern von einer beherrschenden Gruppe von GroßaktionĂ€ren geleitet wird, wĂ€hrend der Rest der AktionĂ€re sich von Besitzern nicht festverzinslicher Schuldverschreibungen keineswegs unterscheidet. Diese Gruppe kann nun nicht in unbegrenzter Anzahl Aktien an das ‘‘Publikum‘‘ ausgeben, wenn sie ihren beherrschenden Einfluss weiterhin ausĂŒben will. Es ist richtig, dass diese ‘‘Schwierigkeit‘‘ beispielsweise durch Verschachtelung teilweise ĂŒberwunden werden kann.
Zweitens, es besteht das Risiko, dass die durch eine Aktienausgabe finanzierte Investition nicht im selben VerhĂ€ltnis den Profit der Gesellschaft erhöht, wie die Emission das Aktien- und Reservekapital erhöhen wĂŒrde. Wenn der Ertrag der neuen Investition nicht zumindest der alten Profitrate gleich ist, wird die Dividende der alten AktionĂ€re im allgemeine und der kontrollierenden Gruppe im besonderen beschnitten.
Drittens werden Aktienemissionen durch den beschrĂ€nkten Markt begrenzt, der fĂŒr die Aktien einer bestimmten Gesellschaft vorhanden ist.“

Kalecki argumentiert, dass neue Investitionsentscheidungen nur getroffen werden, wenn sich bei den Bestimmungsfaktoren der Investitionen etwas Ă€ndert. Dies seien vor allem Änderungen bei:

a) den Bruttoersparnissen der Unternehmen
b) den aktuellen Profiten
c) dem fixen Kapital

Zu a) schreibt Kalecki:

„Es besteht eine Tendenz, diese Ersparnisse fĂŒr Investitionen zu verwenden. DarĂŒber hinaus können Investitionen aus neuen externen Mitteln nach Maßgabe des vorhandenen Haftungskapitals finanziert werden. Die Bruttoersparnisse der Unternehmungen dehnen die Grenzen, die den InvestitionsplĂ€nen durch die Enge des Kapitalmarktes und das steigende Risiko gesetzt sind.“ (S.114)

Zu b): „Wenn die laufenden Profite zunehmen, werden bestimmte Projekte attraktiv, die vorher als unrentabel erachtet wurden.“

Bei c) vermutet Kalecki, dass ein höherer Bestand an Sachkapital die InvestitionstÀtigkeit negativ beeinflusst:

„Denn eine Zunahme der KapitalausrĂŒstung bei gleichbleibenden Profiten P bedeutet ein Sinken der Profitrate. Wie eine Zunahme der Profite innerhalb des Untersuchungszeitraumes zusĂ€tzliche Investitionsprojekte attraktiv macht, so löst eine Erhöhung der KapitalausrĂŒstung die Verengung der Grenzen fĂŒr InvestitionsplĂ€ne aus.“ (S. 115)

An dieser Stelle erwĂ€hnt Kalecki ausnahmsweise konkurrierende Theorien, hier insbesondere das naive Akzelerationsprinzip, soweit es fĂ€lschlich davon ausgeht, die vorhandenen ProduktionskapazitĂ€ten seien voll ausgelastet. In Wirklichkeit verfĂŒgten die Unternehmen (außer im Boom) ĂŒber große unausgenutzte KapazitĂ€ten. Daher kann sich die Produktion unverzögert an die Änderungen der Investitionen anpassen.

Die keynesianische Wachstums- und Konjunkturtheorie hat diesem Punkt Rechnung getragen, indem sie das Akzeleratorprinzip durch eine Kapitalanpassungshypothese ersetzt hat (s. dazu Rubrik E.VI sowie Kromphardt (1993), Abschnitt VI. 2).

Eine Krönung der Darlegungen liefert der nĂ€chste Abschnitt ĂŒber den „Mechanismus des Konjunkturzyklus“. Kalecki sieht den Motor der Konjunkturzyklen in den Sachinvestitionen. Er fĂŒgt seine Überlegungen daher zu einer Differenzengleichung 2. Ordnung zusammen, die drei Zeitperioden zueinander in Beziehung setzt, nĂ€mlich die Investitionen in der zukĂŒnftigen Periode, in der die Investitionen fertig gestellt sein werden, die aktuelle Periode t und die Änderungen der Investitionen in der Vorperiode. Eine solche Differenzengleichung kann gleichbleibende, sich abschwĂ€chende und explosive Schwankungen ausweisen, je nach Parameterkonstellation.

Leider verzichtet Kalecki auf jeden Hinweis auf Hicks (1950), der ebenfalls diese Tatsache nutzt, um eine Konjunkturtheorie zu entwickeln: Dies hĂ€tte es der Fachwelt erleichtert, sein ziemlich kompliziertes Konjunkturmodell zu verstehen und zu wĂŒrdigen. Wie Hicks befasst sich auch Kalecki mit dem Problem der fĂŒr das Modell exogenen Obergrenze und Untergrenze, die beide erhebliche Schwierigkeiten bereiten (siehe dazu die Rubrik E.VI sowie Kromphardt (1993, Abschnitt VI.2))

B.VI.5. Zur langfristigen Entwicklung des Kapitalismus und zu den Grenzen einer VollbeschÀftigungspolitik

Im letzten Abschnitt des Buches stellt Kalecki einige Überlegungen zur langfristigen Entwicklung der kapitalistischen Wirtschaften an. Er betont, dass technische Neuerungen zusĂ€tzliche Investitionsprojekte rentabel machen, die das Wachstumstempo erhöhen. Er meint allerdings, es sei eine abnehmende IntensitĂ€t der technischen Neuerungen zu erwarten, ohne dies ĂŒberzeugend zu begrĂŒnden. Außerdem stehen ihrer Wirkung auf die BeschĂ€ftigung insbesondere die zunehmenden Ersparnisse der Vermögensbesitzer entgegen.
Was das Wachstum der Bevölkerung betrifft,

„so weite diese die Möglichkeit einer langfristigen Expansion der Produktion aus, es bleibt allerdings nachzuweisen, ob eine Zunahme der Bevölkerung auch eine langfristige Entwicklung stimuliert, die zur wirksamen Nutzung dieser Möglichkeiten beitrĂ€gt“ (1954/1966, S.190).

So komme es vor allem auf eine steigende Kaufkraft der zunehmenden Bevölkerung an. Diese spiele auch eine wichtige Rolle, wenn es um die Frage geht, wie sich eine hohe BeschÀftigung erreichen und aufrecht erhalten lÀsst. Diese ist notwendig, wenn eine hohe und steigende Kaufkraft der breiten Masse zustande kommen soll.

In einem Vergleich der „Theorien des Wachstums in verschiedenen Gesellschaftssysteme“ betont Kalecki (1963/1982) (S.17/18):

„Meiner Ansicht nach ist das zentrale Problem im System des Laisser-faire-Kapitalismus, auf das sich diese Theorien beziehen, jenes der effektiven Nachfrage, also das Problem, fĂŒr die Produkte, die bei voller Auslastung der ProduktionskapazitĂ€t erzeugt werden können, AbsatzmĂ€rkte zu finden. Diese Problem ist es auch, das in den fĂŒnfziger Jahren noch allgemein im Mittelpunkt des Interesses der westlichen Nationalökonomie stand, nĂ€mlich im Zusammenhang der Theorie der zyklischen Konjunkturschwankungen und dem Problem der staatlichen Eingriffe zu deren Neutralisierung.“

Kalecki kritisiert dann die in den 1960er Jahren beginnende VerdrĂ€ngung des Nachfrageaspekts zugunsten von Theorien, in denen die Lösung des Nachfrageproblems vorausgesetzt wird oder in denen behauptet wird, bei flexiblen Löhnen und Preisen werde das Nachfrageproblem durch den Preismechanismus gelöst. Die daraus folgende alleinige Analyse der Angebotsseite sei falsch. Nur in sozialistischen Systemen mĂŒsse die Angebotsseite in den Mittelpunkt gerĂŒckt werden. Seine Analyse dieses Systems, vor allem in Kalecki 1963/1982 sowie in Kalecki (1979),(1972),(1986), bleibt hier jedoch außer Betracht.
Da fĂŒr Kalecki keine Automatik besteht, VollbeschĂ€ftigung zu erreichen, skizziert er schon vor Kriegsende „Drei Wege zur VollbeschĂ€ftigung“(1944/1987, S.212f). Die drei Wege bestehen aus:

„1) Staatsausgaben fĂŒr öffentliche Investitionen, z.B. Schulen, SpitĂ€ler, Straßen usw., oder fĂŒr die Subventionierung des Massenkonsums (Familienbeihilfe, Verminderung der indirekten Besteuerung, Subventionen zur StĂŒtzung der Preise von lebensnotwendigen GĂŒtern), wobei diese Ausgaben durch Anleihen finanziert werden. Wir werden diese Methode kurz „Deficit-spending“ nennen.

2) Stimulierung der privaten Investitionen (durch Herabsetzung des Zinssatzes, Senkung der Einkommenssteuer oder andere Maßnahmen zur Förderung privater Investitionen).

3) Redistribution der Einkommen von den höheren zu den niedrigeren Einkommensklassen.“

Das Deficit-spending erzeugt zusÀtzliche Nachfrage, indem entweder der Massenkonsum oder öffentliche Investitionen durch Mehrausgaben oder Milderung der Steuerbelastung gefördert werden, die beide durch öffentliche Anleihen finanziert werden. Dabei sei zu beachten, dass durch expansive Fiskalpolitik die Steuereinnahmen ansteigen, sodass das Budget-Defizit im Endeffekt kleiner ist als die zusÀtzlichen Staatsausgaben.
Kalecki setzt sich auch mit den ĂŒblichen EinwĂ€nden auseinander und betont:

a) Bei geeigneter Geldpolitik wird der Zinssatz nicht steigen.

b) Eine Inflationsgefahr besteht nur, „bei einer so starken Zunahme der wirksamen Nachfrage, dass sich eine allgemeine Knappheit an Arbeit oder KapitalausrĂŒstung (oder an beidem) ergibt. Bis zu einem gewissen Punkte sind die Kurven des kurzfristigen Angebots fĂŒr die meisten Waren horizontal oder leicht steigend.“

c) Zur Schuldenlast fĂŒhrt Kalecki aus (S.219):

„Zuallererst sei festgestellt, dass die Zinsen einer steigenden Staatsschuld (wie ĂŒbrigens aller Schulden) keine Belastung der Gesellschaft als Ganzes bedeuten, da die Verschuldung in Wirklichkeit ja nichts anderes als eine interne Übertragung darstellt. Und zweitens muss diese Übertragung in einer expandierenden Wirtschaft bei gegebenen SteuersĂ€tzen nicht unbedingt ĂŒber jedes VerhĂ€ltnis zu den Steuereinnahmen hinauswachsen. Um die zunehmenden Zinszahlungen fĂŒr die Staatsschuld zu finanzieren, braucht der Einkommensteuersatz nicht erhöht zu werden – falls nur die Wachstumsrate des Volkseinkommens genĂŒgend hoch ist (aufgrund der Bevölkerungszunahme und des technischen Fortschritts). Doch selbst wenn wir diesen Aspekt außer acht lassen, ist es nicht schwer, ein Besteuerungskonzept zu entwerfen, das den Schuldendienst in den Griff bekommt, ohne Störungen des Sozialprodukts und der BeschĂ€ftigung hervorzurufen.“

Beim zweiten Weg – Förderung der privaten Investitionen – sieht Kalecki den folgenden Nachteil (S.229):

„Staatsausgaben können es nie verfehlen, sofort die gewĂŒnschte BeschĂ€ftigungswirkung zu erreichen, wenn sie genĂŒgend hoch sind, weil sie die effektive Nachfrage direkt erzeugen. Die Wirkung der Stimulierung auf die privaten Investitionen hĂ€ngen jedoch von der Reaktion der Unternehmer ab, und es ist sehr wohl möglich, dass sie, wenn sie in eher pessimistischer Stimmung sind, selbst auf betrĂ€chtliche Anregungen nicht reagieren. Dies kann beispielsweise geschehen, wenn sie kein Vertrauen zur politischen Situation haben“

Wesentlich mehr verspricht sich Kalecki von einer Umverteilung der Einkommen von den Beziehern höherer Einkommen zu den Geringverdienern durch eine verstĂ€rkte Progression bei der Einkommensteuer. Diese hĂ€tten den Vorteil, dass man die fĂŒr die VollbeschĂ€ftigung nötigen zusĂ€tzlichen Staatsausgaben aus Steuermehreinnahmen finanzieren könnte, ohne dass der private Konsum stark zurĂŒckging.

Allerdings hatte Kalecki schon ein Jahr zuvor die Hoffnung, in der Politik könne sich eine Mehrheit fĂŒr ein entsprechendes VollbeschĂ€ftigungs-Programm finden, aus politikwissenschaftlicher Perspektive einen argen DĂ€mpfer versetzt. Kalecki (1943/1987) argumentiert in seinem stark beachteten Aufsatz, den Rothschild (1986) als „wahrhaft prophetisch“ bezeichnet, wie folgt

„Das Big Business hat Bedenken gegenĂŒber eine Aufrechterhaltung der VollbeschĂ€ftigung durch Staatsausgaben. Es hat diese Haltung wĂ€hrend der großen Depression der dreißiger Jahre klar zum Ausdruck gebracht, indem es sich Experimenten zur BeschĂ€ftigungserhöhung einhellig widersetzte – und zwar in allen LĂ€ndern mit Ausnahme Nazi-Deutschlands. Es ist nicht leicht, fĂŒr diese Haltung eine ErklĂ€rung zu finden, denn eine Output- und BeschĂ€ftigungserhöhung kommt ja klarerweise nicht nur der Arbeiterschaft zugute, sondern auch der GeschĂ€ftswelt, da sie deren Profite erhöht. Eine VollbeschĂ€ftigungspolitik, die auf kreditfinanzierten Staatsausgaben beruht, bringt keine zusĂ€tzliche Besteuerung mit sich und beeintrĂ€chtigt daher die Profite in keiner Weise. In der Depression hungert die GeschĂ€ftswelt nach einer Hochkonjunktur“ (S. 235).

Zur BegrĂŒndung fĂŒhrt Kalecki an, dass die „FĂŒhrer der Wirtschaft“ sich eine VollbeschĂ€ftigung, die der Staat durch seine Ausgaben erzeugt widersetzen. Die GrĂŒnde hierfĂŒr lassen sich in drei Gruppen einteilen:

1) Das Unbehagen an der Einmischung des Staates in das BeschÀftigungsproblem an sich.

2) Das Unbehagen am Verwendungszweck der Staatsausgaben (öffentliche Investitionen und Subventionierung des privaten Konsums).

3) Das Unbehagen an den sozialen und politischen VerĂ€nderungen, die eintreten, wenn VollbeschĂ€ftigung zum Dauerzustand wird. Die Förderung des Massenkonsums (z.B. Steuersenkungen im Bereich niedriger Einkommen oder durch erhöhte Transferzahlungen) verstoße gegen ein „Grundprinzip der kapitalistischen Ethik“: „Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen, 
 es sei denn, du verfĂŒgst zufĂ€llig ĂŒber privates Vermögen“ (1943/1957, S. 237).

Außerdem wĂŒrde

„In einem Zustand permanenter VollbeschĂ€ftigung nĂ€mlich wĂŒrde die KĂŒndigung aufhören, als Disziplinierungsmaßnahme eine Rolle spielen. Die soziale Position des Chefs wĂŒrde unterminiert, und gleichzeitig wĂŒrden in der Arbeitsklasse Selbstsicherheit und Klassenbewußtsein wachsen. Streiks zur Erreichung höherer Löhne und verbesserter Arbeitsbedingungen wĂŒrden politische Spannungen schaffen.“ (S.237)

Aus diesen GrĂŒnden werde der Zustand der VollbeschĂ€ftigung nie von Dauer sein und es könnte ein „politischer Konjunkturzyklus hervorgerufen werden.

B.VI.6. Resonanz auf Kaleckis Preisbildungs- und Verteilungstheorie
Kaleckis Ansatz, Preisbildung und Verteilung aus strukturellen Gegebenheiten auf der Angebotsseite, die sich im Monopolgrad niederschlagen, zu erklÀren, hat in der Nachkriegszeit erhebliche Aufmerksamkeit gefunden.

In Deutschland ist besonders Preiser (1961) zu nennen, dessen Theorie eine große NĂ€he zu der Theorie von Kalecki aufweist. Preiser nennt am Anfang Kaleckis Theorie als eine von zwei „Publikationen, denen die hier entwickelten Thesen am nĂ€chsten stehen“ (S. 7), geht dann aber nicht im Detail auf Kalecki ein.

In Großbritannien erregten Kaleckis Theorien große Aufmerksamkeit; insbesondere war Joan Robinson von Kaleckis Lehren sehr beeindruckt, nachdem Kalecki diese ab 1936 in Cambridge persönlich vortragen konnte. Kaleckis Betonung der Rolle der Einkommensverteilung und seine AnsĂ€tze, ihre Änderungen zu erklĂ€ren, fĂŒllten eine LĂŒcke in Keynes‘ TheoriegebĂ€ude. Keynes (1936) hat zwar an mehreren Stellen auf die Notwendigkeit hingewiesen, zur dauerhaften Herstellung und Bewahrung eines hohen BeschĂ€ftigungsstandes die Einkommensverteilung gleichmĂ€ĂŸiger zu gestalten, aber bei der Darstellung seiner Theorie setzt er fast durchgĂ€ngig die Einkommensverteilung konstant. Eine Ausnahme bilden seine Überlegungen in Kapitel 19 seiner „Allgemeinen Theorie“ (1936), wie eine Senkung des Lohnniveaus auf Produktion und BeschĂ€ftigung wirken wĂŒrde (siehe B.II.3). Aber auch dort liefert er keine Theorie zur ErklĂ€rung der Einkommensverteilung.
Daher haben sich besonders Ökonomen, die in Cambridge studiert und geforscht haben, um die Einbettung von Kaleckis Theorien in das keynesianische TheoriegebĂ€ude verdient gemacht. Unter diesen Ökonomen sind sehr viele Italiener, die anschließend an italienische UniversitĂ€ten lehren oder gelehrt haben (siehe dafĂŒr z.B. das von Mario Sebastiani (1989) herausgegebene Buch „Kaleckis Relevance Today“). Sawyer (1981) hebt besonders hervor, dass die konventionellen makroökonomischen AnsĂ€tze auf der Annahme der vollstĂ€ndigen Konkurrenz beruhen (dies gilt im Übrigen auch fĂŒr manche neoklassisch inspirierte Keynes-Interpretationen-J.K.). Kaleckis Ansatz dagegen basiere explizit auf oligopolistischen Strukturen.

In Deutschland wird diese Erweiterung der Theorie von Keynes insbesondere von vielen am „Forschungsnetzwerk Makroökonomie und Makropolitik“ (FMK) beteiligten Ökonomen aufgegriffen, verfeinert und fortgefĂŒhrt (siehe https://www.boeckler.de/index_netzwerk-makrooekonomie.htm), als Beispiel sei Eckhard Hein (1998) genannt.

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