B.VI: Mitentdeckung und Weiterentwicklung der Theorie von Keynes durch Michal Kalecki.

Michal Kalecki ist von herausragender Bedeutung, weil er die zentrale Rolle der Kreislaufzusammenhänge gleichzeitig wie Keynes, aber als ein ökonomischer Autodidakt unabhängig von ihm, entdeckte und vor allem, weil er dessen Theorie weiterentwickelte. Diese Weiterentwicklungen sind so zentral, dass viele Anhänger des so erweiterten Theoriegebäudes von einer Keynes-Kalecki-Theorie sprechen.

Die Präsentation hier ist in sechs Abschnitte geteilt:

  • Kaleckis vier Lebensabschnitte
  • Kaleckis originäre Analyse der Kreislaufzusammenhänge
  • Kaleckis Analyse der Lohn- und Preisbildung und der Einkommensverteilung. Die Rolle des Monopolgrads
  • Analyse der Investitionstätigkeit und der Konjunkturschwankungen
  • Zur langfristigen Entwicklung des Kapitalismus und zu den Grenzen einer Vollbeschäftigungspolitik
  • Resonanz auf Kaleckis Preisbildungs- und Verteilungstheorie.

B.VI.1. Kaleckis vier Lebensabschnitte

Michal Kalecki wurde 1899 in Lodz geboren und starb 1970 in Warschau. Er begann nach dem Abitur Ingenieurswissenschaft zu studieren. Dieses Studium musste er jedoch 1921 abbrechen, weil sein Vater arbeitslos geworden war. Kalecki schlug sich dann als Wirtschaftsjournalist durch, bis er 1929 Mitarbeiter am Konjunktur- und Preisforschungsinstitut in Warschau wurde. Er arbeitete dort bis 1936 und veröffentlichte in dieser Zeit seine Erkenntnisse über die zentrale Rolle der Güternachfrage, allerdings überwiegend in polnischer Sprache.

Kalecki benötigte keinen „long struggle of escape“, aus der neoklassischen Denktradition da er nicht Volkswirtschaftslehre studiert und die Ökonomie vor allem in Gestalt der marxistischen Theorie kennengelernt hatte; daher war ihm die gesamtwirtschaftliche Analyse nicht fremd.. Seine dies betreffenden frühen Schriften werden in Abschnitt 2 ausführlich dargestellt. Kalecki schied 1936 aus Protest gegen die politisch bedingte Entlassung zweier Kollegen aus dem Institut aus. Dank eines Rockefeller-Stipendiums konnte er an ausländische Universitäten reisen. Er ging zunächst nach Schweden und anschließend über London (“London School of Economics“) nach Cambridge, wo er Keynes engste Mitarbeiter, Richard Kahn und Joan Robinson, kennenlernte und beide nachhaltig beeinflusste. Mit Keynes selbst kam kein engerer Kontakt zustande.

Während seines Aufenthaltes in Cambridge und ab 1940 als Forscher am Oxford Institute of Statistics publizierte Kalecki weiterhin zahlreiche Artikel und Bücher, nunmehr überwiegend in englischer Sprache. Seine Arbeiten befassten sich vor allem mit der Erweiterung seiner Theorie; insbesondere beschäftigte ihn der Zusammenhang zwischen Preisen, Lohnniveau, Produktion und Beschäftigung einerseits, die Bestimmungsgründe und die Wirkungen der Einkommensverteilung andererseits (siehe Abschnitt 3).

In seinem dritten Lebensabschnitt (1945-1955) war Kalecki in internationalen Organisationen tätig, zunächst im International Labour Office (ILO) in Montreal, dann im Sekretariat der Vereinten Nationen. Dort war er für den „World Economic Review“ zuständig. Wie Laski (1987, S.10/11) berichtet, beschloss Kalecki, als seine Aktionsfreiheit durch den McCarthysmus immer mehr eingeschränkt wurde, zum zweiten Mal, aus Protest seine Stellung aufzugeben, und kehrte 1955 endgültig nach Polen zurück. Er arbeitete dort als Berater für ökonomische Planung, als Mitglied der Akademie der Wissenschaften und (ab 1961) an der Hochschule für Planung und Statistik.

Im März 1968 wurden Kalecki und seine „Schule“ Zielscheibe einer wilden antisemitischen und antiintellektuellen Kampagne. Er protestierte erneut gegen die Entlassung von Kollegen und Mitarbeitern und ließ sich vorzeitig emeritieren. Kalecki starb zwei Jahre später, tief enttäuscht, aber bis zuletzt wissenschaftlich aktiv (Laski, 1987, S.11).

Über Kaleckis Leben und Werk informieren die Einführung von Laski zu Kalecki (1987) sowie die Bücher von Feiwel (1975), Sawyer(1981), Sebastiani (1989) sowie Lopez/Assous (2010). Das Buch von Feiwel ist mit 580 Seiten das umfangsreichste.

B.VI.2. Kaleckis originäre Analyse der Kreislaufzusammenhänge

Kalecki veröffentlichte seine grundlegenden ökonomischen Erkenntnisse in den Jahren 1933 bis 1935 in Polen in polnischer Sprache, sodass sie international nicht zur Kenntnis genommen wurden. Er publizierte sie erst 1937 und 1938 in drei Aufsätzen in englischer Sprache (in Econometrica, Economica und im Review of Economic Studies), und erneut 1939 in seinem Sammelband „Essays in the Theory of Economic Fluctuations“ in überarbeiteter Form, ergänzt um drei weitere in Abschnitt 3 zu behandelnde Aufsätze sowie drei Originalbeiträgen über „Investment and Income, The Long Term Rate of Investment“ und – wie schon erwähnt – „Money and Real Wages“.

Ins Deutsche übersetzt wurden diese frühen Schriften erst 1976 (Hrsg: Karl Kühne) und 1987 (Hrsg: Kasimierz Laski und Josef Pöschl). Sie werden hier nach dem Sammelband von 1987 zitiert.

Den Anfang machte Kalecki mit der Broschüre „Umrisse einer Theorie des Konjunkturzyklus“, in dem er auf nur 14 Seiten wie selbstverständlich mit den makroökonomischen Größen Profite, Unternehmerkonsum und
-ersparnissen operiert und zur Vereinfachung in der Tradition der klassischen Ökonomie die Ersparnis der Arbeitnehmer gleich Null setzt.

Durch diese Vereinfachung gelangte er zu der brisanten Aussage: „Damit bestimmen die Kapitalisten als Gesamtheit ihre Profite durch den Umfang ihrer Investitionen und ihres persönlichen Konsums“ (Kalecki 1933a/1987, S.42). Kaldor fasste dieses Ergebnis so zusammen: „The worker spend what they earn, the capitalists earn what they spend“ (Kaldor, 1955/56, S.230).
Keynes hatte das Ergebnis von Kalecki bereits 1930 in seiner „Abhandlung vom Gelde“ (A Treatise on Money) abgeleitet und als Witwenkrugtheorem bezeichnet. Die Unternehmen als Ganzes können nämlich so viel ausgeben wie sie wollen – das Geld fließt an sie zurück und ihre „Kasse“ wird niemals leer, so wie der „Krug der Witwe“ im Alten Testament.

Kalecki vernachlässigt allerdings, dass die zusätzlichen Investitionen die Arbeitnehmereinkommen aufgrund höheren Arbeitseinsatzes erhöhen – es gibt bei ihm keinen Multiplikatorprozess. Seine Kreislaufanalyse ist also rudimentär. Ebenso wenig macht Kalecki deutlich, ob er im Rahmen einer vollbeschäftigten oder unterbeschäftigten Wirtschaft argumentiert. Er berücksichtigt nur den Auslastungsgrad des Sachkapitals, der sich mit den schwankenden Investitionen verändert.
Im selben Jahr 1933 wendet Kalecki (1933) seine Kreislaufanalyse in einem noch kürzeren, nur 11 Seiten langen Artikel auf den Außenhandel an und arbeitet heraus, dass für den Ausweg aus der Depression nicht die Höhe der Exporte, sondern der Exportüberschuss entscheidend ist.

Seinen dritten Beitrag veröffentlicht Kalecki 1935 unter der Überschrift „Der Mechanismus des Konjunkturaufschwungs“ in der polnischen Zeitschrift „Polska Gospodarcza“ (Polnische Gesellschaft). Dort setzt er sich vor allem mit den Vorschlägen auseinander, zur Überwindung der Depression die Löhne zu senken. Für einen einzelnen isoliert handelnden Unternehmer wäre dies von Vorteil, meint Kalecki, weist dann aber auf eine zentrale Erkenntnis seiner Analyse hin:

„Eines der zentralen Charakteristika des Kapitalismus ist jedoch, dass das, was für den einzelnen Unternehmer vorteilhaft ist, nicht notwendigerweise auch den Unternehmen als Klasse nützt. Senkt ein einzelner Unternehmer die Löhne, kann er seine Produktion ceteris paribus erhöhen. Sobald jedoch einmal alle Unternehmer dasselbe tun, wird sich daraus etwas gänzlich anderes ergeben.“ (Kalecki, 1935/1987, S.56)

Eine generelle Lohnsenkung würde nämlich die Einkommen und den Konsum der Arbeitnehmer verringern, ohne dass dies durch eine Mehr-Nachfrage der Unternehmer und Vermögensbesitzer (Rentiers) kompensiert würde; denn das (von ihnen erwartete) Sinken der Preise würde die Renditeerwartungen der Unternehmer verringern und den Kostenvorteil wieder zunichte machen.

Hier nimmt Kalecki zentrale Argumente von Keynes (1936, 19. Kapitel) vorweg. Er zeigt daran anschließend, dass der Schlüssel zum Überwinden der Depression bei der Investitionstätigkeit liegt. Z.B. könnte diese durch eine bedeutende Erfindung angestoßen werden, wenn zu deren Umsetzung kreditfinanzierte Investitionen getätigt werden.

Zumindest außerhalb von Polen wurden diese bahnbrechenden Überlegungen nicht zur Kenntnis genommen. Dasselbe Schicksal wurde auch Kaleckis Aufsatz „A Macrodynamic Theory of Business Cycles“ zuteil, der als überarbeitete Fassung eines 1933 vor der „Econometric Society“ gehaltenen Vortrags 1935 in der Zeitschrift „Econometrica“ veröffentlicht wurde. Dazu dürften folgende Punkte beigetragen haben:

a) Kalecki geht auch hier von der für eine geschlossene Volkswirtschaft ohne Staat gesamtwirtschaftlich geltenden Gleichung aus, wonach – wenn die Sparquote der Arbeitnehmer gleich Null ist – die Gewinne der Unternehmer so groß sind wie die Ausgaben der Unternehmer für Konsum und Investitionen. Er verzichtet aber darauf, diese Beziehung irgendwie plausibel zu machen und zu erläutern.

b) Kalecki entwickelt eine ausdifferenzierte Erklärung der Investitionstätigkeit im Verlaufe eines Konjunkturzyklus, wofür er zwischen den Investitionsaufträgen, der Produktionsphase der Investitionsgüter und ihrer Lieferung und Inbetriebnahme unterscheidet.

c) Kalecki überfordert die meisten damaligen Leser mit seiner mathematischen Beweisführung, für die er u.a. Differentialgleichungen 2. Ordnung verwendet, um die Bedingungen für Konjunkturschwankungen mit zunehmenden, konstant bleibenden oder abnehmenden Amplituden abzuleiten.

Wenn überhaupt, wurde sein Artikel daher vermutlich als ein mathematisch anspruchsvoller Beitrag zu dem Spezialgebiet „Konjunkturtheorie“ wahrgenommen. Keynes dagegen präsentierte seine „Allgemeine Theorie“ als Generalangriff auf die herrschende Neoklassik und zwang wegen seines „Standing“ die Fachgenossen, sich damit auseinander zu setzen, statt das Buch stillschweigend zu übergehen.

Die Brisanz seiner Analyse wurde auch deswegen nicht erkannt, weil Kalecki als Autor gänzlich unbekannt war, im Gegensatz zu Keynes, der schon vor 1936 der weltweit bekannteste zeitgenössische Ökonom war. So blieb auch die Veröffentlichung seiner Theorie in Französisch (1935c) ohne Resonanz.

Nachdem Kalecki sich für einen Verbleib in Großbritannien entschieden hatte, beteiligte er sich intensiv mit vielen Beiträgen an der Diskussion um die makroökonomische Zusammenhänge, die Keynes durch seine „General Theory“ ausgelöst hatte. Kalecki publiziert nun überwiegend in Englisch, um in der Fachwelt Gehör zu finden. Eine Ausnahme bildet sein Aufsatz „Einige Bemerkungen zur Theorie von Keynes“ (1936/1987) in der polnischen Zeitschrift „Economista“, in dem sich Kalecki mit Keynes‘ „Allgemeiner Theorie“ 1936 sogleich auseinandergesetzt hat. Kalecki bezeichnet Keynes‘ Buch als einen „Wendepunkt in der Geschichte der Wirtschaftswissenschaften“ (S.262) und stellt seinen Kern kurz und zutreffend dar. Er bemängelt jedoch, Keynes habe die Entwicklung der Investitionen unzureichend erklärt. Grund dafür sei „der im Grunde genommen statische Ansatz zur Lösung eines Problems, das seiner Natur nach dynamisch ist.

In einem weiteren Artikel mit dem Titel „A Theory of the Business Cycle“ (Kalecki, 1936/37) vergleicht Kalecki seine makroökonomische Theorie mit der Theorie von Keynes: „This paper is closely allied to the Keynesian theory“ (S.77). Weitgehende Übereinstimmung herrsche bei der Bestimmung des kurzfristigen Gleichgewichts bei einer gegebenen Kapitalausstattung sowie zinsabhängigen Investitionen. Ein wesentlicher Unterschied bestehe jedoch bei den Bestimmungsgründen der Investitionen; denn bei Berücksichtigung des Zeitaufwandes zwischen Auftragserteilung und Fertigstellung der Investitionsgüter verursachten die Investitionen konjunkturelle Schwankungen.

Die im Anschluss an Keynes entwickelte Konjunktur- und Wachstumstheorie hat diesen destabilisierenden Einfluss der Investitionen mittels der Annahme aufgegriffen, dass die Investitionen nicht nur vom Zinssatz abhängen, sondern auch vom Auslastungsgrad des Sachkapitals (siehe dazu die Rubriken E.V und E.VI zur Wachstums- und Konjunkturtheorie).

Kalecki nutzt den destabilisierenden Charakter der privaten Investitionen zu einer grundsätzlichen Betrachtung, die zugleich den marxistischen Einfluss auf sein Denken durchschimmern lässt. Kalecki betont (1936/37, S.96): „The tragedy of investment is that it calls forth the crisis because it is useful (während des Booms – J.K.) … But it is not the theory which is paradoxical, but its subject – the capitalist economy”.

Einen wichtigen Beitrag zur Diskussion um die Wirkungen einer allgemeinen Lohnsenkung veröffentlicht Kalecki (1939) noch einmal in Polnisch in der Schriftenreihe des Warschauer Instituts „Gospodarstwa Spolecznego“ (Wirtschaft und Gesellschaft). Er analysiert dort die Bestimmungsgrößen des Niveaus der Nominallöhne und der Reallöhne unter dem Titel „Nominal- und Reallöhne (1939/1987). Gleichzeitig veröffentlicht er eine englischsprachige Version dieses Artikels in seinen schon genannten „Essays in the Theory of Economic Fluctuations“ (Kalecki 1939/1987) mit einem knappen Hinweis auf seinen Aufsatz von 1935 in der französischen Zeitschrift „Revue d`economie politique“.

Eingangs erläutert er sein Modell einer geschlossenen Volkswirtschaft, in der die Arbeitnehmer eine Sparquote von Null haben, und untersucht dann die Wirkungen einer allgemeinen Lohnsenkung. In einem ersten Schritt unterstellt er dabei vollkommene Konkurrenz. Er legt dar: Solange die Lohnsenkung nicht zu sinkenden Preisen geführt hat,

„mag es nun auf den ersten Blick so scheinen, als ob die Lohnsenkung zur Folge hat, dass die Kapitalisten ihren Konsum und ihre Investitionstätigkeit steigern, weil sie damit höhere Profite für ihre Unternehmen erwarten. Würden sich die Kapitalisten tatsächlich so verhalten, dann müsste auf die Lohnsenkung zwangsläufig eine Produktionssteigerung folgen, und dann hätte die >klassische< Theorie recht. Die nähere Analyse zeigt jedoch, dass ein solcher Gang der Ereignisse ziemlich unwahrscheinlich ist. Es ist in der Tat unwahrscheinlich, dass die Investitionen wie auch der Kapitalistenkonsum sofort zunehmen. Zunächst einmal kann als sicher gelten, dass die Unternehmer nicht sofort nach einer erfolgten Lohnsenkung ihre Investitionen anheizen werden; sie werden vielmehr so lange warten, bis eine effektive Zunahme in den Profiten eingetreten ist. Und selbst wenn sie ihre Investitionsgüterbestellungen erhöhen sollten, so würde doch eine Expansion der Produktion in den betreffenden Industriezweigen schon aus technischen Gründen erst mit einiger Verzögerung zum Tragen kommen.
Dasselbe gilt auch für den Kapitalistenkonsum. Auch hier dürften die Kapitalisten aller Wahrscheinlichkeit nach eine Ausgabensteigerung zunächst einmal vertagen, und zwar so lange, bis die erwartete Einkommenssteigerung Gestalt angenommen hat; selbst dann dürften sich wohl noch einige zeitliche Verzögerungen ergeben. Alles in allem lässt sich sagen: Aller Wahrscheinlichkeit nach wird in der Periode, die unmittelbar auf die Lohnsenkung folgt, das Volumen der Investitionen und das des Kapitalistenkonsums unverändert bleiben.“
(1939/1987,S.79/80)

Auch indirekte Einflüsse, wie insbesondere eine mögliche Zinssenkung, dürften, so Kalecki, daran nichts ändern, vor allem wegen des Schuldner-Effekts.

Anschließend fragt Kalecki: Welche Beschäftigungswirkungen ergeben sich, wenn das Preisniveau auf die Lohnsenkung reagiert? Da diese zu niedrigeren Grenzkosten geführt hat, besteht bei vollkommener Konkurrenz ein Anreiz, die Produktion auszudehnen, was aber – bei unveränderter Nachfrage – nur zu sinkenden Preisen führt, sodass sich am Reallohn nichts ändert.

Bei unvollkommener bzw. monopolistischer Konkurrenz (Kalecki verweist hier auf die bahnbrechenden Bücher von Joan Robinson, 1933 und Chamberlin, 1933), bei der die Grenzkosten immer niedriger sind als die Preise und die Grenzkostenkurve häufig keinen steigenden Verlauf aufweist, werden die gesunkenen Lohnkosten ebenfalls zu sinkenden Preisen führen, aber diese sinken weniger als das Lohnniveau, sodass die Reallöhne der Arbeitnehmer fallen und sie daraufhin ihre Ausgaben reduzieren müssen.

Abschließend behandelt Kalecki noch die außerwirtschaftlichen Effekte; dort stehen den positiven Exporteffekten die Versteuerung der Importe gegenüber, durch die die Reallöhne weiter gesenkt werden, was die Nachfrage der Arbeitnehmer beeinträchtigt.

Es fällt auf, dass Kalecki in dieser Broschüre weder auf das 19. Kapitel der „General Theory“ von Keynes hinweist, in dem diese Fragen behandelt werden (wobei Kalecki und Keynes weitgehend übereinstimmen), noch auf seine eigenen vorangegangen Veröffentlichungen.

Im Gegensatz dazu vergleicht Kalecki in seinem kurz davor veröffentlichten Artikel von 1938 in der „Econometrica“ über die Bestimmungsgründe der Einkommensverteilung explizit seine Analyse der Wirkung einer generellen Lohnsenkung mit jener von Keynes und hebt die negativen Effekte auf Nachfrage und Beschäftigung aufgrund des steigenden Monopolgrades hervor. In späteren Versionen dieses Beitrags (z.B. Kalecki 1954/1966) hat er diese Passagen weggelassen.

Als Pigou (1943) behauptete, aufgrund des von Keynes im Kapitel 19 (aber an anderer Stelle, nämlich im Kapitel 8) nicht erwähnten Vermögenseffekts würde eine allgemeine Lohnsenkung, da sie auch zu einem wenn auch geringeren Rückgang des Preisniveaus führe, eine höhere Beschäftigung hervorrufen, reagierte Kalecki sofort. In einem kurzen Beitrag (Kalecki, 1944) zeigte er, dass dem Vermögenseffekt ein Schuldnereffekt gegenübersteht, der die Wirkung des Vermögenseffekts wieder aufhebt.

Auch sein Beitrag im „Economic Journal“ (1942) mit dem Titel „A Theory of Profits“ startet von seiner revolutionären Ausgangsgleichung, wonach die Höhe der Profite von der Summe der Ausgaben der Kapitalisten für Investitionen und Konsum bestimmt wird (siehe oben Abschnitt 2). Über das Verhältnis seiner Theorie zu der von Keynes stellt er dort klar: (1942, S.260 Fußnote):

„The theory of profits presented here is closely allied to Mr. Keynes’ theory of saving and investment. It has been however, developed independently… in an ‘Essai d’une théorie du mouvement cyclique des affaires’ (Revue d’economie politique”, März/April 1935) and “A Macroeconomic Theory of Business Cycles” (Economista, Juli 1935).

Wie wenig Kalecki damals zur Kenntnis genommen wurde, zeigt sich auch daran, dass Gottfred Haberler (1941) in seiner umfassenden ‘‘Theoretischen Untersuchung der Konjunkturbewegungen‘‘ mit dem Obertitel ‘Prosperität und Depression‘ nur Kaleckis Artikel von 1936/37 und 1937 sowie seine Kritik am Pigou-Effekt von 1944 erwähnt. Sehr erstaunlich ist, dass Schumpeter in seiner voluminösen ‘‘Geschichte der ökonomischen Analyse 1954/1965‘‘ Kalecki völlig übergeht – er taucht im Personenregister überhaupt nicht auf.

Kalecki hat es seinen Lesern aber auch schwer gemacht, seine Beiträge zu würdigen; denn erstens verzichtet er fast immer darauf, diese mit dem Stand der Diskussion in Verbindung zu bringen und auf einschlägige Literatur zu verweisen, und zweitens veröffentlicht er immer wieder überarbeitete Versionen, ohne genau anzugeben, welche Änderungen er mit welchem Ergebnis vorgenommen hat.

B.VI.3. Kaleckis Analyse der Lohn- und Preisbildung und der Einkommensverteilung. Die Rolle des Monopolgrads

In mehreren Aspekten geht Kalecki über Keynes hinaus. Dies gilt insbesondere für die preistheoretische Fundierung und – darauf aufbauend – die Erklärung der Einkommensverteilung und die Analyse ihrer Wirkungen.

Keynes hatte sich im Bereich der Preistheorie darauf beschränkt, stillschweigend die Analyse von Marshall, seinem akademischen Lehrer und Förderer, zu übernehmen. Bei diesem bilden sich die Preise aus Angebot und Nachfrage, wobei – in der Kurzbeschreibung von Keynes – „insbesondere Änderungen in den Grenzkosten und die Elastizität des kurzfristigen Angebots“ eine hervorstechende Rolle spielen (Keynes, 1936/2009, S. 247)

Der Ausgleich von Angebot und Nachfrage erfolgt in der kurzen Periode (mit der sich Keynes 1936 befasst) durch die mengenmäßige Anpassung des Angebots an die Nachfrage.

Kalecki wählt einen anderen Einstieg. Seine Preistheorie über den Zusammenhang zwischen produzierten Mengen, Kosten und Preisen präsentiert Kalecki in seinen „Studies in Economic Dynamics“ (1943) und erneut in seiner „Theory of Economic Dynamics“ (1954). In diesem Band stellt Kalecki viele seiner früheren Beiträge im überarbeiteter Form zusammen; sie sollen dadurch einen ‘‘neues Buch‘‘ ergeben. Deshalb dient er jetzt hier als Grundlage für die Darstellung von Kaleckis Beitrag zur ökonomischen Theorie. In diesen Band wird auch der Zusammenhang zwischen seiner makroökonomischen Analyse (siehe Abschnitt 2) und seiner Preis- und Verteilungstheorie deutlich. Er wurde 1966 in Deutsch veröffentlicht (Kalecki 1954/1966). Ausgewählte Kapitel aus diesem Buch sind außerdem in den Sammelband (Kalecki 1954/1987) übernommen worden.

Kalecki geht davon aus, dass die Unternehmen Preissetzungsspielräume haben und dass ihre kurzfristigen Preisänderungen entweder durch Veränderungen der Produktionskosten oder durch Änderungen der Nachfrage bestimmt werden. Dazu stellt er folgende Hypothese auf: ‘‘Im Allgemeinen sind Preisänderungen von Fertigprodukten ‘kostenabhängig‘, während Preisänderungen bei Rohstoffen, einschließlich der Grundnahrungsmittel ‘nachfrageabhängig‘ sind (1954/1966, S.11). Letzteres gelte, weil das Angebot an diesen Grundstoffen kurzfristig unelastisch ist, sodass Nachfragesteigerungen zu einem Lagerabbau und in der Folge zu Preissteigerungen führen.

Bei den Fertigprodukten hält Kalecki das Angebot für elastisch, da die Unternehmen normalerweise unterhalb ihrer maximal möglichen Kapazität arbeiten und daher auch kurzfristig ihr Angebot ausweiten können. Die Unternehmen kalkulieren ihre Preise auf der Grundlage der direkten Produktionskosten pro Produkteinheit (Materialkosten und Löhne – die Gehälter der Angestellten zählt Kalecki zu den Gemeinkosten), auf die sie einen Aufschlag vornehmen.

Der Aufschlagsatz bildet eine Brücke zur Verteilung der Einkommen auf Gewinne und Löhne; dadurch bezieht Kalecki die Bestimmungsgründe für die Einkommensverteilung und ihre Änderungen direkt in seine Analyse ein – im Gegensatz zu Keynes, der sie weitgehend als Konstante behandelt. Kaleckis Ansatz wurde von vielen Keynesianern (insbesondere jenen, die sich als Postkeynesianer bezeichnen) aufgegriffen und in die Keynes’sche Theorie integriert.

Bei Kalecki berücksichtigen die Unternehmen die Preise, die von den konkurrierenden Anbietern verlangt werden. Sie versuchen, denjenigen Aufschlag zu realisieren, der für ihre Profite am günstigsten sind. Kalecki spricht von „semi-monopolistischen Bedingungen“, wie sie für Fertigproduktmärkte typisch sind.

Kalecki (1954/1966, S.12-15) fährt dann fort:

„Bei der Preiserstellung geht die Unternehmung von ihren durchschnittlichen direkten Produktionskosten aus und berücksichtigt überdies die Preise, die andere Produzenten für ähnliche Waren verlangen. Die Unternehmung muss sicherstellen, dass ihr Preis im Verhältnis zu den Preisen anderer Unternehmungen nicht zu hoch ist, denn das würde ihren Umsatz empfindlich einschränken. Sie muss ferner trachten, dass ihr Preis im Verhältnis zu den durchschnittlichen direkten Kosten nicht zu niedrig ist, denn das würde wiederum ihre Profitrate schmälern. Wenn nun der Preis p von der Unternehmung im Verhältnis zu den direkten Produktionskosten pro Stück u festgesetzt wird, wir darauf geachtet, dass das Verhältnis von p zum gewogenen Durchschnittspreis aller Unternehmungen nicht zu hoch wird. Wenn u steigt, kann p nur dann im selben Verhältnis erhöht werden, wenn im selben Ausmaß zunimmt. Wenn nun schwächer steigt als u, so wird der Preis p der Unternehmung ebenfalls schwächer erhöht werden als u. Diese Zusammenhänge werden durch die nachstehende Formel klar zum Ausdruck gebracht:

wobei sowohl m als auch n positive Koeffizienten sind.
Wir setzen fest, dass n<1 sei, und zwar aufgrund folgender Überlegung. Ist nämlich der Preis p der Unternehmung gleich dem gewichteten Durchschnittspreis , so ergibt sich:

Daraus folgt, dass n kleiner als 1 sein muss.

Die Koeffizienten m und n, welche die Preispolitik der Unternehmen kennzeichnen, drücken aus, was als Monopolgrad der Position einer Unternehmung bezeichnet werden kann. Und tatsächlich beschreibt die Gleichung (1) die Preisfestsetzung unter semimonopolistischen Bedingungen… Die Untersuchung des Monopolgrades lässt sich anschaulich in Form eines Diagrammes darstellen. Wir dividieren zu diesem Zweck die Gleichung (1) durch die direkten Produktionskosten pro Stück u:

Diese Gleichung wird in Abbildung 1 durch die Gerade AB dargestellt, wobei /u auf der Abszisse und p/u auf der Ordinate abgetragen werden.

Die Neigung von AB ist kleiner als 45°, weil n<1. Die Lage der Geraden, die durch m und n eindeutig bestimmt wird, widerspiegelt den Monopolgrad. Wenn nun, als Ergebnis einer Änderung in m und n, die Gerade aus der Lage AB in jene von A’B‘ übergeht, entspricht einem Durchschnittspreis und den direkten Produktionskosten pro Stück u ein höherer Preis p der Unternehmung im untersuchten Bereich von /u. Der Monopolgrad hat damit zugenommen. Wenn jedoch andererseits die Gerade in die Position A‘‘B‘‘ übergeht, so hat der Monopolgrad abgenommen. (Wir nehmen an, dass m und n sich immer in einer Weise verändern, dass keine der Geraden, welche die verschiedenen Positionen von AB abbilden, in dem untersuchten Bereich von einander schneiden.)

Wir wollen nun einen Vorschlag erläutern, der für die Weiterführung unserer Ableitung von ziemlicher Wichtigkeit ist. Betrachten wir die Schnittpunkte p, p‘ und p‘‘ der Geraden AB, A’B‘, A‘‘B‘‘ mit der Geraden 0K, die durch den Ursprung verläuft und mit den beiden Koordinaten jeweils einen Winkel von 45° umschließt. Es ist unmittelbar einsichtig, dass je höher der Monopolgrad ist, desto länger auch die Abszisse im jeweils betrachteten Schnittpunkt ist. Dieser Punkt wird durch die beiden Gleichungen

bestimmt. Daraus folgt, dass die Abszisse im Schnittpunkt gleich m/(1-n) ist. Ein höherer Monopolgrad wird folglich in einer Zunahme von m/(1-n) und umgekehrt widergespiegelt.“

Zur Erläuterung sei hier eingefügt. Durch Gleichsetzen der rechten Seiten der beiden Gleichungen erhält man:

und daraus

Daraus folgt u.a.: Je weniger sich die einzelnen Unternehmen am Marktpreis orientieren (n sinkt) und umso mehr sie sich nach ihren Produktionskosten richten, desto höher ist schlussendlich der Marktpreis (für gegebene Produktionskosten).

Kalecki geht davon aus, dass die Parameter m und u sich von Unternehmen zu Unternehmen unterscheiden. Es lässt sich aber ein gesamtwirtschaftlicher Durchschnitt errechnen. Dafür seien die einzelnen m mit der direkten Produktionskosten der einzelnen U‘ zu gewichten, n mit den jeweiligen Produktionsmengen (1954/1966, S.17, Fußnote).

Anschließend diskutiert Kalecki (1954/1966, S.18-20), aufgrund welcher Faktoren sich der Monopolgrad im Laufe der Zeit verändern dürfte. Der wichtigste Faktor sei der Konzentrationsprozess in der Wirtschaft; denn wenn ein Unternehmen einen wesentlichen Teil der Produktion einer Branche liefert, dann hat der von ihm gesetzte Preis einen wesentlichen Einfluss auf den durchschnittlichen Marktpreis. Erhöht er seinen Preis, steigt auch dieser und die Konkurrenten haben Preiserhöhungsspielräume. Diese Preis-Preis-Spirale kann durch stillschweigende Übereinkunft beschleunigt und verstärkt werden, z.B. in Form der Preisführerschaft.

Der zweitwichtigste Faktor sei ‘‘die Entwicklung des Verkaufswesens‘‘: An die Stelle des Preiswettbewerbs tritt die Verkaufsförderung durch Werbefeldzüge und andere verkaufsfördernde Maßnahmen. Kalecki hätte hier auch auf den Wettbewerb durch Produktdesign und durch häufig nur angebliche Qualitätsverbesserungen hinweisen können.

Drittens nennt Kalecki eine Zunahme des Verhältnisses von Gemeinkosten (wozu bei ihm auch die Gehälter der Angestellte zählen) zu den direkten Produktionskosten. Diese Veränderung führt zu einer Senkung der Profite, es sei denn, sie wird durch eine Erhöhung der Erlöse kompensiert. Die Folge könnte eine stillschweigende Übereinkunft sein, die Preise im Verhältnis zu den direkten Produktionskosten zu erhöhen, um die Profile zu ‘‘schützen‘‘.

Viertens meint Kalecki:

„Die Existenz mächtiger Gewerkschaften kann dazu führen, dass die Profitsätze aus folgenden Gründen verringert werden: Ein im Verhältnis zu den Löhnen hoher Profit stärkt die Verhandlungsposition der Gewerkschaften bei der Durchsetzung ihrer Forderungen nach höheren Löhnen, da Lohnerhöhungen dann mit „vernünftigen Profiten“- bei unveränderten Preisen – vereinbar sind. Wenn in einer solchen Situation nach gewährter Lohnerhöhung die Preise steigen sollten, würde dies neue Lohnerhöhungen nach sich ziehen. Es folgt daraus, dass ein solches Verhältnis von hohem Profit gegenüber den Lohnsätzen nur bei Bestehen einer Tendenz zu steigenden Kosten aufrechterhalten werden kann. Dieser für die Wettbewerbssituation ungünstige Effekt gibt Anreiz zur Verfolgung einer Politik niedrigerer Profitsätze. Der Monopolgrad wird deshalb bis zu einem gewissen Grad durch die Tätigkeit der Gewerkschaften in Schranken gehalten. Dies ist um so eher der Fall, je stärker die Gewerkschaften sind.“

Kalecki hat seinen Überlegungen die Hypothese zugrundegelegt, dass die Güterpreise durch einen Zuschlag auf die gesamten direkten Produktionskosten (also Löhne und Materialkosten) und nicht nur auf die Lohnkosten je Stück festgelegt werden. Daher steht er vor der weiteren Aufgabe, den Lohnanteil am Bruttosozialprodukt (entspricht grosso modo der Summe der von Kalecki auch als Gesamterlös bezeichneten Nettoproduktionswerte der einzelnen Branchen) zu bestimmen. Dies unternimmt Kalecki im anschließenden Kapitel. Dafür geht er wie folgt vor:

„Der Nettoproduktionswert, der Wert der Produkte abzüglich des Wertes der Vorleistungen, ist gleich der Summe aus Löhnen, Gemeinkosten und Profiten. Wenn wir die gesamten Löhne mit W, die gesamten Vorleistungen mit M, und das Verhältnis der Gesamterlöse zu den gesamten direkten Produktionskosten mit k bezeichnen, erhalten wir:

Gemeinkosten + Profite = (k-1) (W + M)

wobei das Verhältnis k den vorigen Ausführungen gemäß durch den Monopolgrad bestimmt wird. Der relative Anteil der Löhne am Nettoproduktionswert einer Industrie kann folgendermaßen dargestellt werden:

Wenn wir das Verhältnis Gesamtwert der Vorleistungen zur Summe der Löhne mit j bezeichnen, erhalten wir:

Daraus folgt, dass der relative Anteil der Löhne am Nettoproduktionswert durch den Monopolgrad und durch das Verhältnis Summe der Vorleistungen zur Summe der Löhne bestimmt wird.“

Damit ist geklärt, wie Änderungen des Monopolgrads die Anteile der Löhne und der Summe aus Profiten und Gemeinkosten verändern Der erste Anteil sinkt, wenn der Monopolgrad steigt. Der Anteil der Profite steigt ebenfalls, solange es keinen Anhaltspunkt gibt, dass die Gemeinkosten durch den steigenden Monopolgrad beeinflusst werden. Nun bleibt zu klären: Wie verändern sich die absoluten Werte, wenn die Anteile der Profite steigen? Diese Frage beantwortet Kalecki im nächsten Kapitel. Dazu greift er auf seine makroökonomische Theorie zurück, mit der zentralen Aussage, dass die Profite der Unternehmen insgesamt so hoch sind wie ihre Ausgaben für Konsum und Investitionen.
Während der einzelne Unternehmer damit rechnet, dass durch den steigenden Anteil der Profite auch sein absoluter Gewinn steigt, betont Kalecki, dass diese Erwartung enttäuscht wird, solange die Ausgaben der Unternehmen nicht steigen. Dies begründet er so (S.50):

„Wenn die Periode, welche wir betrachten, kurz ist, können wir sagen, dass der Konsum und die Investitionen der Kapitalisten durch Entscheidungen in der Vergangenheit determiniert sind. Denn die Verwirklichung von Investitionsentscheidungen beansprucht eine gewisse Zeit, und auch der Konsum der Kapitalisten reagiert auf die ihn beeinflussenden Faktoren nur mit einer gewissen Verzögerung.“

Das bedeutet: Da ein steigender Monopolgrad die Profite zu Lasten der Löhne erhöht, werden die Arbeiter weniger verdienen und konsumieren und damit einen Schrumpfungsprozess auslösen, der die absoluten Profite wieder auf das Ausgangsniveau vor der Erhöhung des Monopolgrads sinken lässt. In Kaleckis Worten (S.51/52:

„Solcherart bestimmen der Konsum und die Investitionen der Kapitalisten gemeinsam mit den ‘‘Verteilungsfaktoren‘‘ den Konsum der Arbeiter und damit die Gesamtproduktion und die Gesamtbeschäftigung.“

Nachdem Kalecki anschließend einige vereinfachende Annahmen aufgehoben hat, sieht er seine Überlegungen bestätigt und fasst sie zusammen (S.69):

„Stellen wir uns vor, dass zum Beispiel als Folge einer Zunahme des Monopolgrades der relative Anteil der Profite am Bruttoeinkommen steigt: Die Profite werden weiterhin unverändert bleiben, weil sie weiter von den in der Vergangenheit erfolgten Investitionen bestimmt werden, die Ihrerseits von Investitionsentscheidungen in der Vergangenheit abhängen. Die ‘‘realen‘‘ Löhne und Gehälter sowie das Bruttoeinkommen oder –Produkt werden fallen. Das Niveau des Einkommens oder des Produktes wird bis zu jenem Punkt sinken, an dem der höhere relative Anteil der Profite dieselbe absolute Höhe der Profite ergibt.“

B.VI.4. Analyse der Investitionstätigkeit und der Konjunkturschwankungen

In den weiteren Abschnitten vertieft Kalecki seine makroökonomische Analyse, insbesondere im Bezug auf die Investitionen. Dafür liefert er zunächst eine Erklärung der Zinssätze. Der kurzfristige Zinssatz werde durch die Nachfrage nach Transaktionskasse bestimmt, der langfristige durch die erwarteten zukünftigen kurzfristigen Zinssätze. Er berichtet, dass der langfristige Zins, der für die Investitionen wichtig ist, wenig schwankt, sodass er als Konjukturauslöser kaum infrage kommt. Dabei geht Kalecki weder auf die Unterschiede zu Keynes ein noch erwähnt er irgendeine konkurrierende Zinserklärung.
Anschließend erörtert er die Bestimmungsgründe der Investitionen (den Konsum der Unternehmen hatte er schon vorher auf einen autonomen und einen profitabhängigen Teil zurückgeführt). Eine wichtige Begrenzung der Investitionen sieht er in der Verfügung über Eigenkapital, selbst bei Kapitalgesellschaften. Er nennt dafür drei Gründe (S.109/110)

„An erster Stelle muss erwähnt werden, dass eine Aktiengesellschaft keine gleichberechtigte Gemeinschaften von Aktionären ist, sondern von einer beherrschenden Gruppe von Großaktionären geleitet wird, während der Rest der Aktionäre sich von Besitzern nicht festverzinslicher Schuldverschreibungen keineswegs unterscheidet. Diese Gruppe kann nun nicht in unbegrenzter Anzahl Aktien an das ‘‘Publikum‘‘ ausgeben, wenn sie ihren beherrschenden Einfluss weiterhin ausüben will. Es ist richtig, dass diese ‘‘Schwierigkeit‘‘ beispielsweise durch Verschachtelung teilweise überwunden werden kann.
Zweitens, es besteht das Risiko, dass die durch eine Aktienausgabe finanzierte Investition nicht im selben Verhältnis den Profit der Gesellschaft erhöht, wie die Emission das Aktien- und Reservekapital erhöhen würde. Wenn der Ertrag der neuen Investition nicht zumindest der alten Profitrate gleich ist, wird die Dividende der alten Aktionäre im allgemeine und der kontrollierenden Gruppe im besonderen beschnitten.
Drittens werden Aktienemissionen durch den beschränkten Markt begrenzt, der für die Aktien einer bestimmten Gesellschaft vorhanden ist.“

Kalecki argumentiert, dass neue Investitionsentscheidungen nur getroffen werden, wenn sich bei den Bestimmungsfaktoren der Investitionen etwas ändert. Dies seien vor allem Änderungen bei:

a) den Bruttoersparnissen der Unternehmen
b) den aktuellen Profiten
c) dem fixen Kapital

Zu a) schreibt Kalecki:

„Es besteht eine Tendenz, diese Ersparnisse für Investitionen zu verwenden. Darüber hinaus können Investitionen aus neuen externen Mitteln nach Maßgabe des vorhandenen Haftungskapitals finanziert werden. Die Bruttoersparnisse der Unternehmungen dehnen die Grenzen, die den Investitionsplänen durch die Enge des Kapitalmarktes und das steigende Risiko gesetzt sind.“ (S.114)

Zu b): „Wenn die laufenden Profite zunehmen, werden bestimmte Projekte attraktiv, die vorher als unrentabel erachtet wurden.“

Bei c) vermutet Kalecki, dass ein höherer Bestand an Sachkapital die Investitionstätigkeit negativ beeinflusst:

„Denn eine Zunahme der Kapitalausrüstung bei gleichbleibenden Profiten P bedeutet ein Sinken der Profitrate. Wie eine Zunahme der Profite innerhalb des Untersuchungszeitraumes zusätzliche Investitionsprojekte attraktiv macht, so löst eine Erhöhung der Kapitalausrüstung die Verengung der Grenzen für Investitionspläne aus.“ (S. 115)

An dieser Stelle erwähnt Kalecki ausnahmsweise konkurrierende Theorien, hier insbesondere das naive Akzelerationsprinzip, soweit es fälschlich davon ausgeht, die vorhandenen Produktionskapazitäten seien voll ausgelastet. In Wirklichkeit verfügten die Unternehmen (außer im Boom) über große unausgenutzte Kapazitäten. Daher kann sich die Produktion unverzögert an die Änderungen der Investitionen anpassen.

Die keynesianische Wachstums- und Konjunkturtheorie hat diesem Punkt Rechnung getragen, indem sie das Akzeleratorprinzip durch eine Kapitalanpassungshypothese ersetzt hat (s. dazu Rubrik E.VI sowie Kromphardt (1993), Abschnitt VI. 2).

Eine Krönung der Darlegungen liefert der nächste Abschnitt über den „Mechanismus des Konjunkturzyklus“. Kalecki sieht den Motor der Konjunkturzyklen in den Sachinvestitionen. Er fügt seine Überlegungen daher zu einer Differenzengleichung 2. Ordnung zusammen, die drei Zeitperioden zueinander in Beziehung setzt, nämlich die Investitionen in der zukünftigen Periode, in der die Investitionen fertig gestellt sein werden, die aktuelle Periode t und die Änderungen der Investitionen in der Vorperiode. Eine solche Differenzengleichung kann gleichbleibende, sich abschwächende und explosive Schwankungen ausweisen, je nach Parameterkonstellation.

Leider verzichtet Kalecki auf jeden Hinweis auf Hicks (1950), der ebenfalls diese Tatsache nutzt, um eine Konjunkturtheorie zu entwickeln: Dies hätte es der Fachwelt erleichtert, sein ziemlich kompliziertes Konjunkturmodell zu verstehen und zu würdigen. Wie Hicks befasst sich auch Kalecki mit dem Problem der für das Modell exogenen Obergrenze und Untergrenze, die beide erhebliche Schwierigkeiten bereiten (siehe dazu die Rubrik E.VI sowie Kromphardt (1993, Abschnitt VI.2))

B.VI.5. Zur langfristigen Entwicklung des Kapitalismus und zu den Grenzen einer Vollbeschäftigungspolitik

Im letzten Abschnitt des Buches stellt Kalecki einige Überlegungen zur langfristigen Entwicklung der kapitalistischen Wirtschaften an. Er betont, dass technische Neuerungen zusätzliche Investitionsprojekte rentabel machen, die das Wachstumstempo erhöhen. Er meint allerdings, es sei eine abnehmende Intensität der technischen Neuerungen zu erwarten, ohne dies überzeugend zu begründen. Außerdem stehen ihrer Wirkung auf die Beschäftigung insbesondere die zunehmenden Ersparnisse der Vermögensbesitzer entgegen.
Was das Wachstum der Bevölkerung betrifft,

„so weite diese die Möglichkeit einer langfristigen Expansion der Produktion aus, es bleibt allerdings nachzuweisen, ob eine Zunahme der Bevölkerung auch eine langfristige Entwicklung stimuliert, die zur wirksamen Nutzung dieser Möglichkeiten beiträgt“ (1954/1966, S.190).

So komme es vor allem auf eine steigende Kaufkraft der zunehmenden Bevölkerung an. Diese spiele auch eine wichtige Rolle, wenn es um die Frage geht, wie sich eine hohe Beschäftigung erreichen und aufrecht erhalten lässt. Diese ist notwendig, wenn eine hohe und steigende Kaufkraft der breiten Masse zustande kommen soll.

In einem Vergleich der „Theorien des Wachstums in verschiedenen Gesellschaftssysteme“ betont Kalecki (1963/1982) (S.17/18):

„Meiner Ansicht nach ist das zentrale Problem im System des Laisser-faire-Kapitalismus, auf das sich diese Theorien beziehen, jenes der effektiven Nachfrage, also das Problem, für die Produkte, die bei voller Auslastung der Produktionskapazität erzeugt werden können, Absatzmärkte zu finden. Diese Problem ist es auch, das in den fünfziger Jahren noch allgemein im Mittelpunkt des Interesses der westlichen Nationalökonomie stand, nämlich im Zusammenhang der Theorie der zyklischen Konjunkturschwankungen und dem Problem der staatlichen Eingriffe zu deren Neutralisierung.“

Kalecki kritisiert dann die in den 1960er Jahren beginnende Verdrängung des Nachfrageaspekts zugunsten von Theorien, in denen die Lösung des Nachfrageproblems vorausgesetzt wird oder in denen behauptet wird, bei flexiblen Löhnen und Preisen werde das Nachfrageproblem durch den Preismechanismus gelöst. Die daraus folgende alleinige Analyse der Angebotsseite sei falsch. Nur in sozialistischen Systemen müsse die Angebotsseite in den Mittelpunkt gerückt werden. Seine Analyse dieses Systems, vor allem in Kalecki 1963/1982 sowie in Kalecki (1979),(1972),(1986), bleibt hier jedoch außer Betracht.
Da für Kalecki keine Automatik besteht, Vollbeschäftigung zu erreichen, skizziert er schon vor Kriegsende „Drei Wege zur Vollbeschäftigung“(1944/1987, S.212f). Die drei Wege bestehen aus:

„1) Staatsausgaben für öffentliche Investitionen, z.B. Schulen, Spitäler, Straßen usw., oder für die Subventionierung des Massenkonsums (Familienbeihilfe, Verminderung der indirekten Besteuerung, Subventionen zur Stützung der Preise von lebensnotwendigen Gütern), wobei diese Ausgaben durch Anleihen finanziert werden. Wir werden diese Methode kurz „Deficit-spending“ nennen.

2) Stimulierung der privaten Investitionen (durch Herabsetzung des Zinssatzes, Senkung der Einkommenssteuer oder andere Maßnahmen zur Förderung privater Investitionen).

3) Redistribution der Einkommen von den höheren zu den niedrigeren Einkommensklassen.“

Das Deficit-spending erzeugt zusätzliche Nachfrage, indem entweder der Massenkonsum oder öffentliche Investitionen durch Mehrausgaben oder Milderung der Steuerbelastung gefördert werden, die beide durch öffentliche Anleihen finanziert werden. Dabei sei zu beachten, dass durch expansive Fiskalpolitik die Steuereinnahmen ansteigen, sodass das Budget-Defizit im Endeffekt kleiner ist als die zusätzlichen Staatsausgaben.
Kalecki setzt sich auch mit den üblichen Einwänden auseinander und betont:

a) Bei geeigneter Geldpolitik wird der Zinssatz nicht steigen.

b) Eine Inflationsgefahr besteht nur, „bei einer so starken Zunahme der wirksamen Nachfrage, dass sich eine allgemeine Knappheit an Arbeit oder Kapitalausrüstung (oder an beidem) ergibt. Bis zu einem gewissen Punkte sind die Kurven des kurzfristigen Angebots für die meisten Waren horizontal oder leicht steigend.“

c) Zur Schuldenlast führt Kalecki aus (S.219):

„Zuallererst sei festgestellt, dass die Zinsen einer steigenden Staatsschuld (wie übrigens aller Schulden) keine Belastung der Gesellschaft als Ganzes bedeuten, da die Verschuldung in Wirklichkeit ja nichts anderes als eine interne Übertragung darstellt. Und zweitens muss diese Übertragung in einer expandierenden Wirtschaft bei gegebenen Steuersätzen nicht unbedingt über jedes Verhältnis zu den Steuereinnahmen hinauswachsen. Um die zunehmenden Zinszahlungen für die Staatsschuld zu finanzieren, braucht der Einkommensteuersatz nicht erhöht zu werden – falls nur die Wachstumsrate des Volkseinkommens genügend hoch ist (aufgrund der Bevölkerungszunahme und des technischen Fortschritts). Doch selbst wenn wir diesen Aspekt außer acht lassen, ist es nicht schwer, ein Besteuerungskonzept zu entwerfen, das den Schuldendienst in den Griff bekommt, ohne Störungen des Sozialprodukts und der Beschäftigung hervorzurufen.“

Beim zweiten Weg – Förderung der privaten Investitionen – sieht Kalecki den folgenden Nachteil (S.229):

„Staatsausgaben können es nie verfehlen, sofort die gewünschte Beschäftigungswirkung zu erreichen, wenn sie genügend hoch sind, weil sie die effektive Nachfrage direkt erzeugen. Die Wirkung der Stimulierung auf die privaten Investitionen hängen jedoch von der Reaktion der Unternehmer ab, und es ist sehr wohl möglich, dass sie, wenn sie in eher pessimistischer Stimmung sind, selbst auf beträchtliche Anregungen nicht reagieren. Dies kann beispielsweise geschehen, wenn sie kein Vertrauen zur politischen Situation haben“

Wesentlich mehr verspricht sich Kalecki von einer Umverteilung der Einkommen von den Beziehern höherer Einkommen zu den Geringverdienern durch eine verstärkte Progression bei der Einkommensteuer. Diese hätten den Vorteil, dass man die für die Vollbeschäftigung nötigen zusätzlichen Staatsausgaben aus Steuermehreinnahmen finanzieren könnte, ohne dass der private Konsum stark zurückging.

Allerdings hatte Kalecki schon ein Jahr zuvor die Hoffnung, in der Politik könne sich eine Mehrheit für ein entsprechendes Vollbeschäftigungs-Programm finden, aus politikwissenschaftlicher Perspektive einen argen Dämpfer versetzt. Kalecki (1943/1987) argumentiert in seinem stark beachteten Aufsatz, den Rothschild (1986) als „wahrhaft prophetisch“ bezeichnet, wie folgt

„Das Big Business hat Bedenken gegenüber eine Aufrechterhaltung der Vollbeschäftigung durch Staatsausgaben. Es hat diese Haltung während der großen Depression der dreißiger Jahre klar zum Ausdruck gebracht, indem es sich Experimenten zur Beschäftigungserhöhung einhellig widersetzte – und zwar in allen Ländern mit Ausnahme Nazi-Deutschlands. Es ist nicht leicht, für diese Haltung eine Erklärung zu finden, denn eine Output- und Beschäftigungserhöhung kommt ja klarerweise nicht nur der Arbeiterschaft zugute, sondern auch der Geschäftswelt, da sie deren Profite erhöht. Eine Vollbeschäftigungspolitik, die auf kreditfinanzierten Staatsausgaben beruht, bringt keine zusätzliche Besteuerung mit sich und beeinträchtigt daher die Profite in keiner Weise. In der Depression hungert die Geschäftswelt nach einer Hochkonjunktur“ (S. 235).

Zur Begründung führt Kalecki an, dass die „Führer der Wirtschaft“ sich eine Vollbeschäftigung, die der Staat durch seine Ausgaben erzeugt widersetzen. Die Gründe hierfür lassen sich in drei Gruppen einteilen:

1) Das Unbehagen an der Einmischung des Staates in das Beschäftigungsproblem an sich.

2) Das Unbehagen am Verwendungszweck der Staatsausgaben (öffentliche Investitionen und Subventionierung des privaten Konsums).

3) Das Unbehagen an den sozialen und politischen Veränderungen, die eintreten, wenn Vollbeschäftigung zum Dauerzustand wird. Die Förderung des Massenkonsums (z.B. Steuersenkungen im Bereich niedriger Einkommen oder durch erhöhte Transferzahlungen) verstoße gegen ein „Grundprinzip der kapitalistischen Ethik“: „Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen, … es sei denn, du verfügst zufällig über privates Vermögen“ (1943/1957, S. 237).

Außerdem würde

„In einem Zustand permanenter Vollbeschäftigung nämlich würde die Kündigung aufhören, als Disziplinierungsmaßnahme eine Rolle spielen. Die soziale Position des Chefs würde unterminiert, und gleichzeitig würden in der Arbeitsklasse Selbstsicherheit und Klassenbewußtsein wachsen. Streiks zur Erreichung höherer Löhne und verbesserter Arbeitsbedingungen würden politische Spannungen schaffen.“ (S.237)

Aus diesen Gründen werde der Zustand der Vollbeschäftigung nie von Dauer sein und es könnte ein „politischer Konjunkturzyklus hervorgerufen werden.

B.VI.6. Resonanz auf Kaleckis Preisbildungs- und Verteilungstheorie
Kaleckis Ansatz, Preisbildung und Verteilung aus strukturellen Gegebenheiten auf der Angebotsseite, die sich im Monopolgrad niederschlagen, zu erklären, hat in der Nachkriegszeit erhebliche Aufmerksamkeit gefunden.

In Deutschland ist besonders Preiser (1961) zu nennen, dessen Theorie eine große Nähe zu der Theorie von Kalecki aufweist. Preiser nennt am Anfang Kaleckis Theorie als eine von zwei „Publikationen, denen die hier entwickelten Thesen am nächsten stehen“ (S. 7), geht dann aber nicht im Detail auf Kalecki ein.

In Großbritannien erregten Kaleckis Theorien große Aufmerksamkeit; insbesondere war Joan Robinson von Kaleckis Lehren sehr beeindruckt, nachdem Kalecki diese ab 1936 in Cambridge persönlich vortragen konnte. Kaleckis Betonung der Rolle der Einkommensverteilung und seine Ansätze, ihre Änderungen zu erklären, füllten eine Lücke in Keynes‘ Theoriegebäude. Keynes (1936) hat zwar an mehreren Stellen auf die Notwendigkeit hingewiesen, zur dauerhaften Herstellung und Bewahrung eines hohen Beschäftigungsstandes die Einkommensverteilung gleichmäßiger zu gestalten, aber bei der Darstellung seiner Theorie setzt er fast durchgängig die Einkommensverteilung konstant. Eine Ausnahme bilden seine Überlegungen in Kapitel 19 seiner „Allgemeinen Theorie“ (1936), wie eine Senkung des Lohnniveaus auf Produktion und Beschäftigung wirken würde (siehe B.II.3). Aber auch dort liefert er keine Theorie zur Erklärung der Einkommensverteilung.
Daher haben sich besonders Ökonomen, die in Cambridge studiert und geforscht haben, um die Einbettung von Kaleckis Theorien in das keynesianische Theoriegebäude verdient gemacht. Unter diesen Ökonomen sind sehr viele Italiener, die anschließend an italienische Universitäten lehren oder gelehrt haben (siehe dafür z.B. das von Mario Sebastiani (1989) herausgegebene Buch „Kaleckis Relevance Today“). Sawyer (1981) hebt besonders hervor, dass die konventionellen makroökonomischen Ansätze auf der Annahme der vollständigen Konkurrenz beruhen (dies gilt im Übrigen auch für manche neoklassisch inspirierte Keynes-Interpretationen-J.K.). Kaleckis Ansatz dagegen basiere explizit auf oligopolistischen Strukturen.

In Deutschland wird diese Erweiterung der Theorie von Keynes insbesondere von vielen am „Forschungsnetzwerk Makroökonomie und Makropolitik“ (FMK) beteiligten Ökonomen aufgegriffen, verfeinert und fortgeführt (siehe https://www.boeckler.de/index_netzwerk-makrooekonomie.htm), als Beispiel sei Eckhard Hein (1998) genannt.

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