Keynes
Gesellschaft

„Ich bin ein Keynesianer“,
ein solches Bekenntnis eines Bundesfinanzministers wäre vor 15 Jahren undenkbar gewesen.

Dabei gab es damals auch eine Krise, das Platzen der Dotcom Blase mit anschließender globaler Rezession, wenngleich sie aus heutiger Sicht geradezu zwergenhaft erscheint. Seinerzeit wurde die gesamtwirtschaftliche Nachfrage als weitgehend irrelevant angesehen. Das kam 2005 sehr deutlich im sogenannten „Hamburger Appell“ zum Ausdruck (Hamburger Appell). Fast 300 Professoren postulierten mit explizitem Verweis auf ihren wissenschaftlichen Status:

„….erliegen maßgebliche Politiker der Versuchung, wissenschaftlich nicht fundierte Konzepte zu propagieren, die das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden sollen: Durch geeignete Maßnahmen, so wird suggeriert, könne eine Erhöhung der Binnennachfrage erreicht werden, die eine Überwindung der strukturellen Wachstumsschwäche nach sich ziehen würde. Diese Vorstellung ist falsch und gefährlich.“ (S.1).

Das war in der Tat eine Position, die jener von Keynes fundamental widerspricht, der der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage eine Schlüsselrolle zuweist. Mehr noch, es wird eine Konnotation aufgebaut, die dem Keynesianismus unterstellt, er sei eine Schönwetter Lehre, die allein auf die Verteilung von Annehmlichkeiten gerichtet sei.

Mit einem Sprung in die Gegenwart lässt sich jedoch ein signifikanter Wandel der Einstellungen erkennen. Bereits in der Finanzmarktkrise wurden wieder Konjunkturprogramme aufgelegt, die gezielt die gesamtwirtschaftliche Nachfrage stimulierten, in dem sie z.B. durch die Abwrackprämie den Kauf von für PKWs anregten oder durch merklich erhöhte öffentliche Investitionen im Rahmen des Konjunkturpakets II von 2008.

Seinerzeit kamen diese Schritte sehr überraschend und waren durch keinen öffentlichen Diskurs vorbereitet. Im Grunde waren sie der Tatsache geschuldet, dass die vorherrschenden neuklassischen makroökonomischen Theorien bzw. der eher neukeynesianische Washington Consensus der Wirtschaftspolitik keine für sie tragfähigen Hinweise zu geben vermochten, wie eine Krise von der Tragweite der Finanzmarktkrise rasch zu bekämpfen wäre. Auf Abwarten zu setzen, bis die in neuklassischenTheorien vertretenen Selbstheilungskräfte wirken, war angesichts der Massivität des Einbruchs bei Investitionen und Exporten zu riskant. Allein der Geldpolitik die Stabilisierung zu überlassen, wie der Washington Consensus es empfehlen würde, ebenfalls. Insofern war es folgerichtig, dass in Ermangelung glaubwürdiger Alternativen auf eine diskretionäre Finanzpolitik als Mittel der Stabilisierung zurückgegriffen wurde und damit der Keynesianismus nach Jahren der wirtschaftspolitischen Bedeutungslosigkeit wieder kurzzeitig ins Rampenlicht rückt.e

Es blieb eine kurzzeitige Blüte, da unmittelbar nach Abklingen der Finanzmarktkrise sowohl in Deutschland als auch im Euroraum im Verlauf der Eurokrise der wirtschaftspolitische Kurs der Vorkrisenzeit wieder aufgenommen wurde. Er wurde sogar institutionell verschärft. Die Einführung der Schuldenbremse mit Verfassungsrang in Deutschland und ähnlicher Regelungen im Euroraum durch den Stabilitätspakt engten den Spielraum der Fiskalpolitik wieder ein. Die gesamte wirtschaftspolitische Strategie zur Bekämpfung der Eurokrise basierte zudem auf fiskalpolitischer  Restriktion, die in den harten Auflagen für Griechenland kulminierten.

Die akademische Forschung hat seit dem den Wissensstand prägenden Papier von Blanchard und Leigh 2013 (Siehe hier) , die eine signifikante Unterschätzung der Multiplikatorwirkung in der Eurokrise durch die Wirtschaftspolitik nachwiesen, eine eher kritische Haltung zu dieser Konsolidierungsstrategie eingenommen. Daran änderten auch die Differenzierungen von Alesina und Giavazzi 2019 ( hier), die sich für eine Konsolidierungsstrategie über die Kürzungen von Ausgaben anstelle von höheren Steuer aussprechen, nichts. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund anderer Untersuchungen, die eindeutig zeigen, dass der Ausgabenmultiplikator in der Regel, wenn auch nicht für jede Ausgabenkategorie, größer ist als der Steuermultiplikator (Gechert,Horn,Paetz 2017). Das gilt sogar auf die lange Sicht Fatas and Summers 2016.

Vor diesem Hintergrund ist es wenig verwunderlich, dass es zu Beginn der Corona Krise anders als bei der Finanzmarktkrise keine Grundsatzdiskussion über die Notwendigkeit von Konjunkturprogrammen aufflammte. Neben der veränderten akademischen Sichtweise liegt dies aber auch an der Natur der Krise. Sie ist wie keine vor ihr. Schließlich ist sie ökonomisch ganz bewusst herbeigeführt worden, um die medizinische Krise zu bekämpfen.

Am Anfang steht anders als in einer üblichen Konjunkturkrise mit dem Lockdown für viele Branchen ein negativer Angebotsschock. Mit dieser Maßnahme sollte, indem sozialer Konsum weitgehend unterbunden wurde, der Verbreitung des Corona Virus Einhalt geboten werden. Das ist nicht der übliche Beginn einer Konjunkturkrise durch einen Nachfrageausfall. Es ist aber auch nicht die klassische Angebotskrise durch den Verlust von Wettbewerbsfähigkeit. Schließlich ist der Angebotsschock nicht das Ergebnis ökonomischer Kalküle, sondern exogen aus medizinischen Gründen entstanden. Man kann also von einer exogenen Angebotskrise sprechen.

Es ist aber offenkundig, dass sich der anfängliche negative Angebotsschock in seinem weiteren Verlauf in einen negativen Nachfrageschock wandelt (Siehe Abbildung).

Die Corona-Krise

Der Produktionsstopp verursacht teilweise totale Einnahmeausfälle bei den Unternehmen und macht die Beschäftigung dort unrentabel. Daraus folgende Entlassungen reduzieren die Einkommen der privaten Haushalte und erzeugen einen binnenwirtschaftlichen Nachfrageausfall. Da der Schock global ist, verstärkt sich dieser Ablauf. Zum einen wird über die globalen Lieferketten, der negative Angebotsschock verstärkt, da auf diese Weise Firmen, die im Inland vielleicht zunächst nicht vom Lockdown betroffen sind, durch den Ausfall ihrer ausländischen Lieferanten am Ende dennoch ihre Produktion einstellen müssen. Zum zweiten reduziert sich auch die Nachfrage aus dem Ausland, was die Exporte belastet.

Unter diesen speziellen Umständen ist die Wirtschaftspolitik in vielfältiger und bisher unbekannter Weise gefordert. Es gilt den anfänglichen dramatisch negativen Angebotsschock, und die nachfolgenden ebenfalls negativen binnen- wie außenwirtschaftlichen Nachfrageschocks zu bewältigen. Dies erfordert Anstrengungen auf allen Ebenen.

Der erste nicht nur in Deutschland vollzogene Schritt, bestand darin, das Angebot gleichsam künstlich zu stabilisieren. Liquiditätshilfen, billige Kredite und Kurzarbeit sollten Unternehmen wie auch Beschäftigte weitgehend vor den unmittelbaren Folgen des Lockdown bewahren, so dass der zu erwartende negative Nachfrageschock zumindest anfänglich durch Einkommensstabilisierung gedämpft wurde (BMF 1). Schon dies kann man als eine keynesianisch inspirierte Maßnahme begreifen, da sie einen erwarteten Nachfrageausfall an der Wurzel der Einkommensentstehung bekämpfen will (Keynes Gesellschaft Homepage 1 ). 

Wichtiger noch als der rein quantitative Impuls ist jedoch, dass mit der schnellen Reaktion eine angesichts der Untiefen der Krise aufkeimende Unsicherheit unter Produzenten wie Konsumenten gleich zu Beginn entgegen getreten wurde. Diese fundamentale Unsicherheit, die vor allem den Investitionsprozess zum Erliegen bringen kann, ist ein zentraler Bestandteil des keynesianischen Gedankengebäudes (Siehe Keynes Gesellschaft Homepage 2). Sie unterscheidet sich wesentlich von dem auch in neukeynesianischen Ansätzen verwendeten Begriff der Unsicherheit. Letzterer setzt zumindest die Kenntnis der Verteilung der Zufallsereignisse voraus. Dann aber besteht ein Bodensatz an Sicherheit, der aus sich heraus stabilisierend wirkt, weil die Zufallsverteilung in einem Abschwung eine zunehmende Wahrscheinlichkeit einer Erholung signalisiert. Doch gerade bei zuvor unbekannten Krisenphänomenen wie der Corona Krise ist die Unterstellung einer solchen Sicherheit unrealistisch. Insofern war dieser Schritt essentiell für eine Stabilisierung.

Der zweite Schritt war dann ein Konjunkturpaket von bisher unbekanntem finanziellem Ausmaß, das im Kern aus zwei Komponenten besteht. Die erste ist als Nachfrageimpuls und die zweite als Transformationsimpuls konzipiert (BMF 2). Der Nachfrageimpuls besteht im wesentlichen aus steuerlichen Anreizen wie einer degressiven Abschreibung und vor allem einer zeitlich befristeten Senkung der Mehrwertsteuer sowie einer Erhöhung von Transfers wie dem Kinderbonus. Eine unmittelbare Erhöhung der öffentlichen Investitionen ist nicht vorgesehen. Stärkere investive Elemente enthält die zweite Komponente. Sie bestehen aber im wesentlichen aus Anreizen, die erst in der Zukunft wirksam werden. Das gilt besonders vor dem Hintergrund, dass das Angebot an Autos mit Elektroantrieb durch Mangel an Komponenten wie vor allem Batterien derzeit restringiert ist. Insofern kann ein Nachfrageimpuls allenfalls preistreibend wirksam werden, nicht aber unmittelbar zu einer höheren Produktion und Beschäftigung führen.

Neben dieser nationalen Reaktion auf die Corona Krise, gab es auch eine zweistufige europäische. In einem ersten Schritt beschlossen die Finanzminister, dass der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) besonders betroffenen Mitgliedsstaaten verbilligte Kredite gewährt, die Europäische Investitionsbank (EIB) ein Investitionsprogramm für kleinere und mittlere Unternehmen auflegt und eine Europäische Arbeitslosenrückversicherung bei der EU Kommission(SURE) etabliert wird. Als zweite Stufe beschloss der Europäische Rat ein European Recovery Program in Höhe von 750 Mrd. €, das gut zur Hälfte aus Zuschüssen besteht, während der Rest als Kredit vergeben wird. Es soll die Wirtschaft in den besonders betroffenen Krisenländer durch Überweisungen die jeweiligen Regierungen stabilisieren Bemerkenswert ist, dass dieses Programm durch Kreditaufnahme am Kapitalmarkt seitens der EU Kommission finanziert wird. Deren Refinanzierung erfolgt über die entsprechend erhöhten Beiträge der Mitgliedstaaten im Rahmen der mittelfristigen Budgetplanung. Damit entsteht eine neue Qualität europäischer Finanzpolitik, die nunmehr auf der Basis einer gemeinsamen Finanzierung aus europäischen Perspektive symmetrische Schocks, die ja alle Länder betreffen zu bewältigen versucht. Dies erhöht die Stabilisierungsfähigkeit der EU als Ganzes wie auch des Euroraums beträchtlich.

Die vorgestellten Maßnahmen folgen im Grundsatz keyesianischen Überlegungen und waren in ihren Grundzügen weitgehend unstrittig. Das keynesiansches Denken hat wieder Eingang in die aktuelle Wirtschaftspolitik gefunden.