A.II.9. A Treatise on Money, two volumes, 1930, London(Macmillan), (C.W., Vol. V und VI).
Dt: Vom Gelde, München 1932, Duncker & Humblot
Hans-Michael Trautwein(Uni Oldenburg)
Zwei Jahre nach der Fertigstellung des Tract on Monetary Reform (1923) begann Keynes mit den Arbeiten an einer „Abhandlung vom Gelde“, die nach seinen Vorstellungen ein Standardwerk der modernen Geldtheorie werden sollte. Als die Treatise schließlich 1930 erschien, hatte sie sich zu einem zweibändigen Werk von fast 800 Seiten entwickelt, mit dem allerdings weder der Verfasser noch die übrige Fachwelt zufrieden waren. Im Vorwort spricht Keynes von mühsamen Wandlungen seiner Ansichten, die ihre Spuren im Werk hinterlassen haben, und schon kurz nach der Veröffentlichung wurde die Treatise von verschiedenen Seiten heftig kritisiert. Gleichwohl bildet dieses Werk einen wichtigen Zwischenschritt auf dem Weg zur Entwicklung der General Theory of Employment, Interest and Money, die 1936 veröffentlicht werden sollte. Es wird auch nach wie vor als fruchtbarer Ausgangspunkt für die Diskussion von Kapitalmarktversagen in modernen Geldwirtschaften betrachtet (siehe z.B. Hicks 1967, Leijonhufvud 1981 und Klausinger 1991). Denn der Gedanke, dass Preis- und Mengenänderungen auf Güter- und Arbeitsmärkten dadurch erzwungen werden, dass der Zinsmechanismus bei der Koordination der Investitions- und Spartätigkeit versagt, spielt nicht erst in der General Theory, sondern schon in der Treatise eine zentrale Rolle.
Die Treatise ist in die „reine Theorie“ (Band 1) und die „angewandte Theorie des Geldes“ (Band 2) unterteilt. Band 1 bildet den theoretischen Teil, während Band 2 vornehmlich empirische Aspekte des Bankenwesens, der Investitionstätigkeit und der Geldpolitik behandelt. In der Rückschau ist vor allem der erste Band von Interesse.
Zentrales Thema des ersten Bandes ist die Bestimmung des Geldwerts durch eine dynamische Analyse der (pro-)zyklischen Schwankungen des Preisniveaus. Dabei rückt Keynes von dem quantitätstheoretischen Ansatz ab, den er noch im Tract (1923) vertreten hatte. Die Entwicklung des Preisniveaus wird nun nicht mehr durch die Kassenhaltung bei exogen gegebener Geldmenge bestimmt, sondern durch das Verhältnis von Investieren und Sparen im Einkommenskreislauf und in der Vermögensanlage. Beides wird durch die Kreditvergabe der Geschäfts- und Zentralbanken entscheidend beeinflusst. Geld wird als Resultat der Kreditschöpfung der Geschäftsbanken betrachtet, wobei das im gleichen Zuge entstehende „repräsentative Geld“ der Zentralbank nur noch eine Forderung auf sich selbst darstellt (Keynes nimmt dies selbst für den Goldstandard oder andere Konvertibilität in „Warengeld“ an, da das politische Management der betreffenden Währung die Möglichkeit der Aufhebung der Konvertibilität einschließt). Vor allem aber kritisiert Keynes, dass die traditionelle Quantitätstheorie bestenfalls eine Bestimmung des Preisniveaus im monetären Gleichgewicht liefert, aber die Anpassungprozesse bei Störungen des Gleichgewichts vernachlässigt. Das zentrale Kriterium für ein monetäres Gleichgewicht ist die Übereinstimmung des Marktzinses mit dem „natürlichen Zins“, der die Investitionstätigkeit mit den gesamtwirtschaftlichen Ersparnissen in Einklang bringt. Wenn die beiden Zinssätze voneinander abweichen, entsteht ein Missverhältnis von Investitionen und Ersparnissen, das Kreditzyklen und kumulative Veränderungen des Preisniveaus auf den Gütermärkten nach sich zieht. Dass beide Zinsen voneinander abweichen, ist in einer modernen Kreditwirtschaft normal. Denn der „natürliche Zins“ variiert ständig aufgrund vieler Einflüsse auf die Rentabilität von Investitionen und die intertemporalen Konsumpräferenzen, während die Zinssetzungen im Bankensystem auf Konventionen beruhen und sich in der Regel relativ langsam verändern.
Im Ansatz der Treatise bewegte sich Keynes somit in der Tradition von Knut Wicksell, der 1898 in seinem Werk über Geldzins und Güterpreise die Dynamik von kumulativen Inflations- und Deflationsprozessen bei Differenzen zwischen Marktzinsen und Profiterwartungen aufgezeigt hatte. Wicksells Inflationstheorie wurde um 1930 von vielen anderen Ökonomen zu ganz unterschiedlichen Konjunkturtheorien ausgebaut. Wesentliche Beiträge lieferten Friedrich A. Hayek (1929, 1931), Erik Lindahl (1930), Gunnar Myrdal (1932) und nicht zuletzt Dennis Robertson (1926), der in Personalunion Student, Kollege, Mitarbeiter und ständiger Kritiker von Keynes war. Von anderen wicksellianischen Werken seiner Zeit unterscheidet sich Keynes‘ Treatise aber vor allem in folgender Hinsicht:
Anders als in den meisten wicksellianischen Ansätzen ergeben sich die Koordinationsfehler des Zinsmechanismus bei Keynes nicht allein daraus, dass Banken in der industriellen Zirkulation zwischen die Investoren und die Sparer treten und Abweichungen des Marktzinses vom „natürlichen Zins“ ermöglichen. Durch ihre Wahl zwischen Spareinlagen, Wertpapieren und Realinvestitionen üben auch die Vermögensbesitzer in der finanziellen Zirkulation großen Einfluss auf die langfristigen Marktzinsen aus. Diese Zinsen bestimmen das Preisniveau der Kapitalgüter und somit deren Nachfrage in der industriellen Zirkulation.
Die Entscheidungen der Vermögensbesitzer hängen von den Ertragserwartungen ab. Hier betont Keynes eine systematische Unsicherheit, die aus dem Zusammenspiel von rationalen Informationsdefiziten, Massenpsychologie und spekulativem Spiel gegen den Markt entsteht. Die Unsicherheit führt zu abrupten Stimmungsänderungen auf den Finanzmärkten, die letztlich die Entstehung von Kreditzyklen erklären. Im Aufschwung fließt Liquidität aus der finanziellen in die industrielle Zirkulation, im Abschwung wird sie der industriellen Zirkulation wieder entzogen. So entstehen die antizyklischen Schwankungen des Geldwertes (bzw. prozyklischen Schwankungen des Preisniveaus), die Keynes erklären will.
In der Abhandlung vom Gelde (1930) deutete Keynes somit zwei Ideen an, die er später in das Zentrum seiner Allgemeinen Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes (1936) rücken sollte: Zum einen findet eine intertemporale Abstimmung der Produktions- und Konsumpläne (Investitionen und Ersparnisse) durch den „klassischen“ Zinsmechanismus nicht automatisch statt; daher kann eine Erhöhung des Sparens durch den Ausfall von laufender Nachfrage negative Kreislaufwirkungen auf das Volkseinkommen erzeugen. Zum anderen klingt mit der Betonung des Einflusses von Vermögenskalkülen auf den Geldkreislauf das Motiv der Liquiditätspräferenz an, das für Keynes (1936) schließlich zum zinsbestimmenden Moment wird. Doch bei all diesen Gemeinsamkeiten besteht zwischen der Treatise und der General Theory ein entscheidender Unterschied: Die Abhandlung von 1930 dreht sich um die Erklärung von Schwankungen des Preisniveaus im Ungleichgewicht; Mengenänderungen des Sozialprodukts und der Beschäftigung werden ausgeblendet oder spielen allenfalls eine untergeordnete, vermittelnde Rolle. In der Allgemeinen Theorie von 1936 geht es hingegen um die Bestimmung des Sozialprodukts und um den Nachweis der Existenz von makroökonomischen Gleichgewichten mit Unterbeschäftigung.
Schon zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Treatise war Keynes über sein magnum opus nicht mehr glücklich. Es waren verschiedene Entwicklungen, die ihn in der Folgezeit auf die Spur zur Allgemeinen Theorie bringen sollten (siehe Moggridge 1992, Kap. 19-20). Eine große Rolle spielten die Weltwirtschaftskrise und der Zusammenbruch des Goldstandards in den Jahren 1930/31. Die massiven Einbrüche in Produktion, Beschäftigung und Außenhandel legten den Schluss nahe, dass die effektive Güternachfrage das Sozialprodukt weit stärker beeinflusst als von der „klassischen Preistheorie“ angenommen. Zweitens machte die massive Kritik an der Treatise, die insbesondere von Ralph Hawtrey, Dennis Robertson und Friedrich A. Hayek vorgebracht wurde, einigen Eindruck auf Keynes. Hawtrey bemerkte in seiner Korrespondenz mit Keynes, dass dieser die Outputwirkungen von Kreditzyklen nicht hinreichend berücksichtigt habe. Robertson (1931) zeigte, dass Keynes im Hinblick auf die Preisentwicklungen bei Kapital- und Konsumgütern inkonsistent argumentierte, und Hayek (1931/32) bemängelte das Fehlen einer Kapital- und Zinstheorie als Grundlage für die Bestimmung des Gleichgewichtszinses. Last, but not least wurde Keynes zu Änderungen seiner makroökonomischen Ansichten durch den „Circus“ getrieben, einen Diskussionzirkel von jüngeren Ökonomen in Cambridge, der sich in der Auseinandersetzung mit Keynes und seinen Kritikern gebildet hatte. Dieser Gruppe gehörten u.a. Richard Kahn, James Meade, Joan und Austin Robinson sowie Piero Sraffa an. Ihr Einfluss auf die allmähliche Entstehung der Allgemeinen Theorie ist nicht zu unterschätzen.
Literatur
Hayek, Friedrich A. (1929), Geldtheorie und Konjunkturtheorie. Wien: Julius Springer.
Hayek, Friedrich A. (1931), Preise und Produktion. Wien: Julius Springer.
Hayek, Friedrich A. (1931/32), Reflections on the Pure Theory of Money of Mr. J.M. Keynes, Economica 11: 270-95 (Part I) und 12: 22-44 (Part II)
Hicks, John (1967), A Note on the Treatise. In Critical Essays in Monetary Theory. Oxford: Oxford University Press. 189-202.
Klausinger, Hansjörg (1991), Theorien der Geldwirtschaft. Von Hayek und Keynes zu neueren Ansätzen. Berlin: Duncker & Humblot.
Leijonhufvud, Axel (1981), The Wicksell Connection: Variations on a Theme. In Information and Coordination. Essays in Macroeconomic Theory. New York: Oxford University Press. 131-202.
Lindahl, Erik (1930), Penningpolitikens medel. Malmö: Förlagsaktiebolaget (Englisch 1939: The Rate of Interest and the Price Level, Part II in Studies in the Theory of Money and Capital. London: George Allen & Unwin. 137-268).
Moggridge, Donald E. (1992), Maynard Keynes. An Economist’s Biography. London: Routledge.
Myrdal, Gunnar (1932), Der Gleichgewichtsbegriff als Instrument der geldtheoretischen Analyse. In Beiträge zur Geldtheorie, hrsg. von Friedrich A. Hayek. Wien: Julius Springer. 361-487.
Robertson, Dennis (1926), Banking Policy and the Price Level. An Essay in the Theory of the Trade Cycle. London: Macmillan.
Robertson, Dennis (1931), Mr. Keynes‘ Theory of Money. Economic Journal 41: 395-411.
Wicksell, Knut (1898), Geldzins und Güterpreise. Eine Untersuchung über die den Tauschwert des Geldes bestimmenden Ursachen. Jena: Gustav Fischer.