Keynes
Gesellschaft

A.III.5. Alternative Theories of the Rate of Interest

“Economic Journal” Vol.47, 1937.
“Collected Writings”, Vol. 14, S. 201- 215
1. Zum Entstehungszusammenhang

Nach dem Erscheinen der “General Theory” setzte eine weltweite Diskussion über dieses Buch ein, an der auch prominente schwedische Ökonomen teilnahmen. Diese hatten sich unabhängig von Keynes ebenfalls von der (besonders in Großbritannien stark dominierenden) herrschenden Lehre mit ihr expliziten oder zumindest impliziten Annahme einer starken und rasch wirkenden Tendenz zur Vollauslastung aller Ressourcen befreit. Sie hatten bereits Theorien ausgearbeitet, die sich mit der zentralen makroökonomischen Fragestellung befassen, wovon das tatsächliche Niveau von Produktion und Beschäftigung abhängt. Sie hatten dabei die sehr hilfreiche Unterscheidung zwischen (geplanten) ex ante-Größen und (realisierten) ex post-Größen entwickelt.

Im Zuge dieser Diskussion schrieb Bertil Ohlin (1937) als führendes Mitglied der „Stockholmer Schule“ den Artikel „Some Notes on the Stockholm Theory of Saving and Investment II“ für das „Economic Journal“, auf den Keynes als dessen Herausgeber sofort mit dem hier vorgestellten Artikel antwortete.

Die Artikel zeigen eine weitgehende Übereinstimmung in den Grundpositionen: Ohlin betont, der Zinssatz sei nicht in der Lage, für die Übereinstimmung von Ersparnissen und Investitionen zu sorgen. Das gelte für deren ex post-Größen, weil diese definitionsgemäß einander stets gleich sind, aber auch für die ex ante-Größen. Dies sei offensichtlich – wobei Ohlin darauf hinweist, dass sich die Konjunkturtheorie schon seit langem mit diesem Problem beschäftige. Die Übereinstimmung scheint jedoch bei der Zinserklärung zu enden; dies ist jedenfalls die Ansicht von Keynes in seinem Artikel.

 

2. Aufbau und Inhalt des Artikels

Im Abschnitt I rekapituliert Keynes den Kern der Ausführungen von Ohlin zur Zinserklärung: Ohlin sei entsprechend der wohlbekannten „Theorie der verleihbaren Fonds“ der Ansicht, der Zins sei der Preis für Kredite und werde folglich durch Angebot und Nachfrage nach Krediten bestimmt, die beide vom Zinssatz abhängig seien. Keynes zitiert wörtlich folgenden Satz von Ohlin: „Naturally, the quantities each individual is willing to supply depend on the interest rate.” Keynes erwähnt anschließend, auch Hicks habe den Zins ähnlich erklärt, nämlich als den Preis für “loans” (Kredite und Anleihen) und darauf hingewiesen, dass der Markt für “loans” das Spiegelbild des Geldmarkts sei.

Besonders stört es Keynes, dass Ohlin das Nettoangebot an Krediten als Zuwachs an Aktiva (assets) während einer Periode definiert; denn dies sei nichts anderes als die Ersparnis in dieser Periode. Folglich suggeriere Ohlin, die Ersparnis sei abhängig vom Zinssatz. Damit wäre man aber wieder bei den klassischen Positionen, wonach der Zinssatz Sparen und Investieren in Übereinstimmung bringe, was Ohlin selbst eingangs zurückgewiesen habe.

Gegen diese Vorgehensweise wendet sich nun Keynes und verteidigt seine Zinstheorie, wonach der Zins die Belohnung dafür darstellt, dass jemand auf Liquidität verzichtet. Aus der Sicht des Geldhalters stellt der Zinssatz die Opportunitätskosten des Haltens von zinslosen monetären Aktiva dar, für den Emittenten von Wertpapieren die Prämie (den Preis), die (den) er zahlen muss, damit die Käufer auf Liquidität, also auf liquides, jederzeit verfügbares Geld (Bargeld und Sichtguthaben) verzichten.

Keynes hebt in Abschnitt II hervor, dass Geld eine Bestandsgröße ist, Sparen und Kreditgewährung dagegen Stromgrößen. Er akzeptiert, dass ein Bedarf an Finanzmitteln, der vor der Realisierung einer Sachinvestition auftritt, ein Motiv für eine erhöhte Geldhaltung sein kann, aber das habe nichts mit Ersparnis zu tun.

Im Abschnitt III betont er, das Neue an seiner Analyse von Ersparnissen und Investitionen sei die Behauptung, diese würden nicht durch den Zinssatz, sondern durch das Volkseinkommen (d.h. über den Multiplikatorprozess- J.K) und einige andere Faktoren in Übereinstimmung gebracht. In diesem Abschnitt zeigt sich, wie verwirrend der Sprachgebrauch von Keynes war. Einerseits überlegt er, wie die Gleichheit von Sparen und Investitionen gesichert wird, anderseits schreibt er, diese beide Größen seien notwendigerweise (also definitorisch – J.K) einander gleich. Das erste gilt aber nur für die geplante (ex ante-) Größen, das zweite nur für die realisierten (ex post-)Größen einschließlich ungeplanter Lager-Investitionen! Zusätzlich unterscheidet Keynes noch zwischen gleich und identisch: Identisch seien S und I nicht, weil sie bei den einzelnen Individuen auseinander fallen, gleich sind sie jedoch auf gesamtwirtschaftlicher Ebene.

In Abschnitt IV betont Keynes, die vorhandene Geldmenge könne nicht dadurch steigen, dass die Leute mehr Geld halten wollen. Sie kann nur steigen, wenn die Banken bereit sind, zusätzlich Aktiva zu erwerben. Er wendet sich damit gegen die damalige Diskussion über das „Horten“ von Geld, die so geführt wurde, als ob das Publikum (und nicht das Bankensystem) über die Höhe der Geldmenge entscheide, die insgesamt von den Nichtbanken gehalten wird.

 

3. Kritische Würdigung

Am Ende des Artikels von Keynes angekommen, stellt man fest, dass Keynes auf das von ihm wörtlich zitierte Argument von Hicks (1936) nicht eingegangen ist, wonach der Markt für „loans“ ein Spiegelbild des Geldmarkts sei. In einem vereinfachten Modell, in dem der Geschäftsbankensektor außer Acht gelassen wird und es nur zwei monetäre Aktiva gibt, nämlich (zinsloses) Geld und (zinstragende) Wertpapiere, gilt eindeutig: Bei gegebener, von der Zentralbank fixierter Geldmenge bedeutet eine höhere Nachfrage nach Geldhaltung ein größeres Angebot an Wertpapieren, und umgekehrt. Insofern kann man den Zins entweder über das Angebot und die Nachfrage nach Kassenhaltung erklären oder über die Nachfrage und das Angebot von Wertpapieren.

Diese Überlegungen gelten auch, wenn man die Wertpapiere mit Hicks durch Kredite und Anleihen (loans) ersetzt. Daher hat Hicks formal recht, wenn er – was Keynes in seinem Artikel zitiert – behauptet: „The choice between them (den beiden Verfahren zur Zinsbestimmung) is purely a question of convenience(1936, S.246)“. In Wirklichkeit ist dies nicht eine Frage der Annehmlichkeit, sondern kann viel folgenreicher sein.

Wählt man wie Keynes den Erklärungsweg über Geldangebot und Geldnachfrage, so trennt man deutlich die Entscheidung zu sparen von der nachgelagerten Entscheidung, in welcher Weise die Ersparnis angelegt wird, nämlich zinslos in höchst liquider Form, oder zinstragend, aber weniger liquide, in Wertpapieren der verschiedensten Art. Die Höhe der Ersparnis ist vor allem vom Einkommen abhängig, die Entscheidung zur Geldhaltung teils vom Einkommen, teils vom Zinssatz (Opportunitätskosten der Geldhaltung). Der Zinssatz erreicht in dieser Betrachtung die Höhe, bei der die gewünschte Geldhaltung genau der vorhandenen, von der Zentralbank fixierten Geldmenge entspricht. Die Nachteile dieser Betrachtungsweise sind:

a) Da der Wertpapiermarkt als Spiegelbild des Geldmarkts im Hintergrund bleibt, werden die Bestimmungsgründe des Verhaltens der Emittenten von Wertpapieren nicht beleuchtet.
b) Das Bankensystem und seine Kreditvergabe werden nicht thematisiert.

Beide Nachteile sind mit der alternativen Herangehensweise nicht verbunden. Auch bei ihr muss man die Ersparnisbildung und den Finanzierungsaspekt über Anleihen und Kredite deutlich voneinander trennen: Wenn die Haushalte aus ihrem gegebenen Einkommen weniger konsumieren und mehr sparen, bedeutet dies im ersten Schritt, dass dem Unternehmenssektor (ohne Finanzinstitute) nicht mehr, sondern weniger Mittel zufließen, da die Konsumausgaben der Haushalte zurückgehen. Die Unternehmen können diesen Verlust an Mittelzufluss ausgleichen, indem sie sich bei den Haushalten direkt (über zusätzliche Verkäufe von Wertpapieren an die Haushalte) oder indirekt über die Geschäftsbanken verschulden.

Eine Zunahme der Ersparnisse der Haushalte bei gegebenem Einkommen erhöht deren Geldvermögen, verringert aber jenes der Unternehmen. Das gesamtwirtschaftliche Geldvermögen nimmt also nicht zu; es wird nur anders verteilt (Spahn, 2006, S.7ff). Dementsprechend führt die höhere Ersparnis zugleich zu einer höheren Kreditnachfrage (durch die Unternehmen) und zu einem höheren Kreditangebot, sowohl direkt durch die Haushalte als auch indirekt über das Bankensystem.

Ein zinssenkender Effekte kann nur eintreten, wenn das Bankensystem aufgrund des bei ihnen angelegten Teils der zusätzlichen Ersparnisse willens und in der Lage ist, im Rahmen des Kreditschöpfungsmultiplikators mehr zusätzliche Kredite anzubieten, als die Unternehmen allein aufgrund der höheren Ersparnisse nachfragen, und die Zinsen senken, damit die Unternehmen diese Kredite nachfragen. Haben die Banken damit Erfolg, steigt die Geldmenge. Die negative Wirkung der erhöhten Ersparnis auf das Volkseinkommen wird dadurch (teilweise) ausgeglichen.

Übertragen auf das IS/LM-Diagramm bedeutet dies: Die Linksverschiebung der IS-Linie wird dank der Rechtsverschiebung der LM-Linie (teilweise) ausgeglichen, die sich durch die Erhöhung der Geldmenge ergibt. Das Einkommen geht also weniger zurück als bei unveränderter Geldmenge.

Es spricht einiges dafür, dass es für die Interpretation und Verteidigung der Theorie von Keynes günstiger gewesen wäre, wenn Keynes sich der Zinsbestimmung durch Angebot und Nachfrage nach Krediten und Wertpapieren mit dem Hinweis angeschlossen hätte, dass die Ersparnis vor allem vom Einkommen und dieses von den Investitionen bestimmt wird. An seiner Botschaft, dass auch ein voll flexibler Zins nicht in der Lage ist, ständig für Investitionen in Höhe der Ersparnisse zu sorgen, die sich bei Vollbeschäftigung ergäben, hätte sich dadurch nichts geändert. Gleichzeitig hätte er sich damit weiter von der Hinterlassenschaft der Quantitätstheorie entfernt, vorrangig mit einer gegebenen, exogenen Geldmenge zu argumentieren, statt diese als endogen zu betrachten.

Diese Annahme hat es leichter gemacht, Keynes Theorie wieder in neoklassisches Fahrwasser zurückzulenken. Vor allem bei der Neoklassischen Synthese und der AS/AD-Analyse (s. die entsprechende Rubrik) sowie bei der Diskussion über den Zusammenhang zwischen Lohnniveau und Beschäftigung (s. die Rubrik „The General Theory – Kernaussagen“, Punkt C) ist die exogene Geldmenge einer der Stützpfeiler der neoklassischen Argumentation. Vermutlich diente Keynes’ Annahme einer gegebenen Geldmenge in der „General Theory“ vor allem der Vereinfachung; er stellte sie nur an einigen wenigen Stellen zur Disposition, z.B. bei der Diskussion über Lohnniveau und Beschäftigung.

Über Keynes’ Haltung zur Frage der Exogenität oder Endogenität der Geldmenge ist viel geschrieben worden. Detaillierte Untersuchungen zu diesem Problemkreis findet man bei Streißler (2002) und – speziell auf Keynes bezogen – bei Sheila Dow (1997).

Zusammenfassend bleibt festzuhalten: Keynes hat durch sein Beharren auf seiner Liquiditätspräferenztheorie und durch seine Ablehnung der Ohlin’schen Argumentation einen unnötigen Streit angefacht und die neoklassische Uminterpretation seiner Theorie eher erleichtert als erschwert.
Literatur:

Dow, Sheila (1997), Endogenous Money.In: Harcourt, Geoffrey/ Riach, Peter (Hrsg)
A “Second Edition” of the General Theory, Vol.2, London & New York (Routledge), S.61-78.

Hicks, John (1936) Review Article: Mr. Keynes’ Theory of Employment. “The Economic Journal”, Vol. 46, S.238-253.

Ohlin, Bertil (1937), Some Notes on the Stockholm Theory of Saving and Investment II. “The Economic Journal”, Vol. 47, S.221-240.

Spahn, Heinz-Peter (2006), Geldpolitik. Finanzmärkte, neue Makroökonomie und zinspolitische Strategien, München (Vahlen)

Streißler, Erich (2002), Endogenität und Neutralität des Geldes in theoriegeschichtlicher Perspektive. In: Bertram Schefold (Hrsg), Exogenität und Endogenität. Die Geldmenge in der Geschichte des ökonomischen Denkens und in der modernen Politik, Marburg (Metropolis) S. 65-88.